Berlin. Immer noch dümpelt das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vor sich hin – ein Unding für den Hausärztinnen- und Hausärzteverband. „Wir müssen maximal Druck machen, damit es überhaupt kommt“, warnte Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes beim 45. Hausärztinnen- und Hausärztetag in Berlin. Das Gesetz wandere in der Prioritätenliste der Ampelkoalition immer weiter nach unten.
Das GVSG sei das wichtigste Anliegen der Hausärztinnen und Hausärzte, es müsse noch in dieser Legislatur kommen. Dabei seien allerdings nach wie vor Anpassungen am Gesetz notwendig – insbesondere bei der konkreten Ausgestaltung der Entbudgetierung, so Buhlinger-Göpfarth weiter. Damit das GVSG die gewünschte Wirkung für die Hausarztpraxen entfaltet, stellte Buhlinger-Göpfarth vier Forderungen auf:
- Eine Entbudgetierung etablieren, bei der dafür gesorgt wird, dass alle hausärztlichen Leistungen voll bezahlt werden – nicht nur die aus dem EBM Kapitel 3 sowie die Hausbesuche,
- Die HZV-Fälle müssen bei der Vorhaltepauschale berücksichtigt werden,
- Eine Bonifizierung der HZV. Das können 30 Euro sein (wie im Referentenentwurf) oder die Aufnahme der HZV in das Bonusprogramm der Kassen,
- Die Einführung eines Patienten-Praxis Kontakts: Die hausärztliche Versorgung der Zukunft ist Teamarbeit.
Sollte die Entbudgetierung nicht kommen, würden in Praxen bald das Licht ausgehen, warnte Buhlinger-Göpfarth. Vor allen Dingen in Berlin und Hamburg müssten die Hausärztinnen und Hausärzte mit Fallwerten leben, mit denen ihre Praxen nicht mehr betriebswirtschaftlich geführt werden könnten.
Hausärztliche Versorgung durch Kliniken? Eine “Illusion”
Das GVSG ist das wichtigste Gesetz, stimmte Dr. Markus Beier, Co-Bundesvorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, zu, allerdings gebe es noch mehr Baustellen. Dass eine Krankenhausreform nötig ist, wüssten die Hausärztinnen und Hausärzte aus ihrer täglichen Arbeit. So, wie das Gesetz zur Krankenhausreform jetzt ausgestaltet sei, sei es undurchschaubar.
Das Kliniken Lücken in der hausärztlichen Versorgung schließen könnten, sei eine Illusion, erklärte Beier. Im Gegenteil – die Kliniken, die dann ein Auge auf hausärztliche Versorgung werfen würden, seien eben nicht solche auf dem Land, sondern welche aus Ballungsgebieten. Diese würden dann auch keine umfassende hausärztliche Versorgung anbieten (wie etwa Palliativversorgung, Hausbesuche etc.), sondern unpersönliche Versorgung nach Schema F.
Die Gefahr von Rosinenpickerei sei groß. Die Folge sei klar: Die übrig gebliebenen Hausarztpraxen bekämen noch mehr zu tun, da sie die Lücken der Kliniken schließen müssten. Dieser Part, forderte Beier, müsse aus dem Gesetz gestrichen werden!
Paradebeispiel für Ressourcenverschwendung
Ein weiteres Paradebeispiel für Ressourcenverschwendung sei das „Gesunde-Herz-Gesetz. Jenseits der Evidenz werde versucht, massenweise Screenings durchzuführen oder vorzuschreiben, wann Medikamente zu verordnen sind. Der Widerstand, das habe sich hier gezeigt, lohne sich, meinte Beier.
Dank der Interventionen des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes und anderer Akteure sei die Rolle des GBA im Kabinettsentwurf deutlich gestärkt worden. Auch eine staatlich festgelegte Grenze, wann Statine zu verordnen sind, werde es nicht geben. Es gebe deshalb Hoffnung, dass sich das Gesunde-Herz-Gesetz noch weiter verändert werden kann, sagte Beier.
Bezüglich der Einführung der elektronischen Patientenakte (E-PA) zeigte sich Beier ernüchtert. Dabei seien die Hausärztinnen und Hausärzte die ersten gewesen, die der Einführung der E-PA gegenüber offen gewesen waren. Jetzt stelle sich die Lage so dar, dass nur ein Bruchteil der Praxisverwaltungssysteme die eh schon niedrigen Standards der E-PA erfüllen würden. Dabei hätten die Praxen – schon gar nicht während der Infektsaison – keine Ressourcen frei, um sich mit den Fehlern der E-PA zu beschäftigen.
Masterplan Medizinstudium: Machen statt meckern
Erneut erinnerte Beier außerdem an den Masterplan Medizinstudium 2020, der die hausärztlichen Delegierten bat: Wenn Landespolitiker sich beschweren, dass bei ihnen die hausärztliche Versorgung wegbricht, sollen sie daran erinnert werden, die Umsetzung des Masterplans nicht mehr weiter zu verhindern.
Buhlinger-Göpfarth warnte auch vor der schleichenden Aushöhlung der Honorartrennung zwischen Haus- und Gebietsärzten. Immer mehr hausärztliche Sitze würden besetzt, ohne dass dort hausärztliche Versorgung stattfinde. Die KVen, forderte Buhlinger-Göpfarth, müssten dafür sorgen, dass auf Hausarztsitzen auch hausärztliche Versorgung erfolge.
Neues Projekt: Team-Infekt-Sprechstunde
Angesichts des mageren Abschlusses der Honorarverhandlungen von 3,85 Prozent mahnte Beier: „Wir haben nur eine Chance, nämlich die HZV auszubauen.“ Diese sei innovativ. Im Übrigen habe der Verband viele innovative Projekte auf den Weg gebracht. Erst gerade habe das Institut für die hausärztliche Fortbildung (IHF) mit der Team-Infekt-Sprechstunde (TISS) das Teampraxismodell mit Leben gefüllt.
Hier würden nichtärztliche Fachkräfte mit möglichst wenig ärztlicher Unterstützung die Infektsprechstunde durchführen und damit die Hausärztinnen und Hausärzte entlasten. Projekte mit Strahlkraft seien auch die VERAH oder der Werkzeugkasten für junge Kolleginnen und Kollegen, der gerade sein zehnjähriges Jubiläum gefeiert habe.
Für die kommenden Bundestagswahlen mahnten Beier und Buhlinger-Göpfarth: „Wir müssen mehr in diesen Wahlprogrammen mit unseren hausärztlichen Themen und der Förderung der hausarztzentrierten Versorgung erscheinen!“ Und das GVSG müsse noch in dieser Legislatur auf den Weg gebracht werden. Diese Forderung bekräftigte die Delegiertenversammlung auch mit einem einstimmig angenommenen Leitantrag.
Bundegesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte beim späteren Festabend: “Sie können sich darauf verlassen – das GVSG wird kommen.” Die Verbesserungen für Hausärztinnen und Hausärzte stünden nicht zur Diskussion.