Selten wurde das Thema „Patientensteuerung“ in den vergangenen Jahren so heftig diskutiert wie aktuell. Für uns als Deutschen Hausärzteverband hat diese Thematik schon seit vielen Jahren eine sehr hohe Priorität, denn die anstehenden Herausforderungen für das deutsche Gesundheitswesen sind natürlich nicht erst seit gestern bekannt: Der demografische Wandel und der medizinische Fortschritt führen glücklicherweise dazu, dass die Menschen immer älter werden.
Damit steigt natürlich der Anteil an Menschen mit chronischen Erkrankungen und vor allem mit mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig. Die weiter voranschreitende Spezialisierung und Subspezialisierung in der Versorgung machen den hausärztlich-generalistischen Ansatz immer wichtiger. Der Bedarf an hausärztlicher Versorgung steigt und diesen gilt es zu decken!
Unsere Antwort auf diese Herausforderungen ist die Umsetzung der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) als Wahlmöglichkeit für die Versicherten. Wir haben in den vergangenen Jahren viel Energie und Arbeit in den Aufbau dieser alternativen und eigenständigen Versorgungsstruktur investiert und sehen, dass viele Menschen dieses Angebot wählen und schätzen. Die vorliegenden positiven Evaluationsergebnisse bestätigen zudem unseren Kurs. Die Behinderungen durch etliche Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen haben zwar die Umsetzung verzögern können, uns aber nicht aufgehalten. Die Triebfeder der versuchten Behinderung sind dabei weniger versorgungsrelevante Bedenken, als vielmehr standespolitische Interessen.
Das KBV-Modell: Qualität bleibt auf der Strecke
Da sich die Körperschaften und allen voran die KBV von der Politik inzwischen mehrfach und sehr nachdrücklich an den von ihr übernommenen Sicherstellungsauftrag erinnern lassen mussten, kam die KV-Welt zunehmend unter Zugzwang. Aber dienen die dort erdachten Antworten wirklich als Lösung für die aktuellen und zukünftigen Versorgungsprobleme?
Schaut man sich die Überlegungen der KBV konkret an, wird schnell deutlich, dass diese in der Realität vollkommen untauglich und eine ernste Gefahr für die Qualität der Versorgung sind. Als Primärärzte sollen nämlich nicht nur die hierfür weitergebildeten Hausärzte fungieren, sondern bei sogenannten „monomorbiden“ Patienten auch Fachärzte! (siehe Beitrag Festersen)
Ist es wirklich sinnvoll, anstelle der intensiven Förderung der hausärztlichen Praxen die Patientensteuerung zwar richtigerweise zu thematisieren, gleichzeitig aber damit dafür nicht weitergebildete Gebietsfachärzte zu betreuen? Selbstredend steht vollkommen außer Zweifel, dass die gebietsfachärztlichen Kollegen über unverzichtbare Kompetenzen in ihrem jeweiligen Bereich verfügen. Wir sehen in unseren Versorgungslandschaften, wie hervorragend die Zusammenarbeit vielerorts bereits funktioniert. Dass Gebietsfachärzte nun jedoch die Koordination von Behandlungen oder das Zusammenführen von Patientendaten übernehmen sollen, entspricht nicht ihren Aufgaben und Kompetenzen und ist auch aus rechtlicher Sicht mehr als zweifelhaft (siehe Beitrag Festersen).
Anstelle einer klaren für Patienten nachvollziehbaren Gliederung des Versorgungssystems mit gut weitergebildeten Hausärzten und ebenso gut weitergebildeten Gebietsfachärzten wird durch den KBV-Vorschlag das derzeitige System auf eine neue Stufe der unübersichtlichen Unordnung gehoben. Nach allen Studien versorgen Hausärzte deutlich über 80 Prozent aller gesundheitlichen Beschwerden in der Hausarztpraxis abschließend! Dies ist für einen „steuernden“ Gebietsfacharzt nicht zu bewältigen, er muss für jede zusätzliche Symptomatik wegen seiner Fachgebundenheit eine weitere fachärztliche Kompetenz einholen. Wenn es nicht so ernst wäre könnte man nebenbei gesprochen meinen: Das wäre ein ordentliches Arbeitsprogramm für die Terminservicestellen! Denn auch diese Aufgabe übernehmen hausärztliche Praxen für ihre Patienten sehr häufig!
Und noch ein letztes: Um die zunehmende Arbeitslast in den hausärztlichen Praxen zu bewältigen, haben wir mit dem Berufsverband der medizinischen Fachangestellten die VERAH® (Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis) entwickelt, von denen schon fast 8.000 uns täglich unterstützen; aber auch da wird mit komplett untauglichen Konzepten für eine NäPA (nichtärztliche Praxisassistentin) Geld bei der KBV geparkt.
Missachtung hausärztlicher Kompetenzen
Einer der Eckpfeiler eines funktionsfähigen Gesundheitswesens ist nach wie vor die klare Trennung der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgungsebenen. Auf dieser Basis können die sinnvollen und notwendigen Kooperationen zwischen Hausärzten und Fachärzten organisiert werden – auch hier tut sich die Selbstverwaltung im Übrigen schwer vernünftige Konzepte anzubieten. Diese sinnvolle Unterscheidung hat der Gesetzgeber in Paragraf 73b SGB V gesetzlich festgelegt (siehe Beitrag Kossow). Ihre konsequente Umsetzung findet sich u.a. in der Honorartrennung in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Topf.
Wenn jetzt versucht wird, diese klare Gliederung der Versorgungsebenen aufzuweichen und dabei hausärztliche Kompetenzen auf so genannte „grundversorgende Fachärzte“ (was auch immer das genau sein soll) zu übertragen, dann stellt dies eine eindeutige Missachtung der hausärztlichen Leistungen dar (vgl. Kossow). Gleichzeitig wird so getan, als ob die komplexen Qualifikationen des Hausarztes ohne weiteres ersetzbar wären!
Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass diese Anmaßungen nicht von den fachärztlichen Kolleginnen und Kollegen in den Praxen ausgehen. Diese wissen unsere Arbeit sehr wohl zu schätzen und profitieren ja auch selbst davon. Vielmehr handelt es sich um eine Diskussion von Funktionären, die sich offensichtlich von der versorgungspolitischen Realität schon lange verabschiedet haben.
Die gute Nachricht: Es gibt eine Alternative!
Es ist für uns Hausärzte ja wahrlich nicht das erste Mal, dass die Körperschaften der ärztlichen Selbstverwaltung versuchen, die Arbeit kleinzureden, die Hausärztinnen und Hausärzte jeden Tag in ihren Praxen erbringen. Das Gute diesmal ist: Wir sind vorbereitet!
Die Verträge, die wir selbst über unseren Dienstleister, die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft (HÄVG) und unser eigenes Rechenzentrum abrechnen, machen uns unabhängig von Hirngespinsten, wie denen, die ich versucht habe zu beschreiben. Um die sechs Millionen Patienten nehmen freiwillig an den HZV- Verträgen teil, etwa zwei Millionen an den so genannten add-on Verträgen und über vier Millionen an den komplett von uns organisierten und abgerechneten Vollversorgungsverträgen, die damit auch vollständig unabhängig vom Kollektivvertragssystem sind. Sie sind Garant des Wettbewerbs zugunsten der hausärztlichen Vergütung – auch in den add-on Verträgen!
Ein zentraler Grund, weswegen die Qualität bei dieser Form der Versorgung deutlich besser ist, ist die klare und eindeutige Strukturierung und Bündelung der Verantwortung. Der Hausarzt ist der Primärarzt. Er ist derjenige, der die Patienten ganzheitlich betreut, ohne vorherige Klassifizierung nach Diagnosen. Seine Aufgabe ist, die objektiven und subjektiven Daten zusammenzuführen und mit den Patienten die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Schritte einschließlich des Medikationsmanagements zu erörtern und zu entscheiden.
Bei der Erwägung, was für unsere Patienten und unsere Arbeit in der Praxis das Beste ist, haben die Überlegungen der KBV uns noch einmal deutlich in unserem eigenen Weg bestätigt!
Paradoxer Ansatz zur Patientenkoordination
„Wir glauben, dass wir eine koordinierte Inanspruchnahme (medizinischer Leistungen, A.d.R.) brauchen“, berichtete KBV-Chef Dr. Andreas Gassen Anfang März vor der KBV-Vertreterversammlung (VV). Bei einer Strategietagung Ende Februar hat sie daher Modelle der Patientenkoordination diskutiert. Es gehe darum, Patienten im komplexer werdenden Gesundheitsmarkt zu begleiten, so Gassen. Sicherlich wäre das Primärarztmodell, bei dem der Hausarzt koordiniere, für viele Versicherte das System der Wahl. Doch damit decke man nicht alle Bedarfe des Patienten ab. Vor der VV berichtete Gassen von der Strategietagung: „Darüber hinaus bestand Einigkeit darin, dass es auch eine gebietsärztliche Koordination geben soll, die sich an der Erkrankungssituation orientiert.“ Wie genau die KBV sich dies vorstellt, blieb bisher offen. Aktuell diskutiert sie aber daher, den Bundesmantelvertrag um eine neue Anlage 5a zu ergänzen, mit der eine fachärztliche Grundversorgung und eine weitergehende fachärztliche Versorgung eingeführt werden soll. (jvb)
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