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Hausarzt MedizinPalliativversorgung frühzeitig planen

Krebspatienten sollten eine palliative Betreuung rechtzeitig und parallel zur onkologischen Therapie und nicht erst am Lebensende erhalten.

Mittlerweile überleben mehr als 50 Prozent der Betroffenen die Tumordiagnose um min­destens fünf Jahre. Eine Überlebensrate von mehr als fünf Jahren bedeutet oft eine Hei­lung. Durch eine stetige Verbesserung on­kologischer Therapien, der chirurgischen, strahlentherapeutischen und chemothera­peutischen Verfahren wurde diese Verbesse­ rung der Überlebensraten erreicht. Gleich­zeitig werden Tumorerkrankungen durch die gestiegene Lebenserwartung in der Bevölke­rung immer häufiger, denn fast alle Krebs­arten treten mit zunehmendem Alter ver­stärkt auf.

Symptome

Fortgeschrittene Tumoren führen zu recht ausgeprägten Symptomen und schränken die Lebensqualität deutlich ein. Je nachdem, welche Organsysteme durch den Primärtumor und vor allem die Metastasierung be­troffen sind, kommt es zu unterschiedlichen Symptomen. Einige exemplarische Situatio nen werden beispielhaft im Folgenden auf­ geführt:

Lungenbefall:

Leberbefall:

  • Aszites (bei größeren Mengen Schmerzen, Atemnot), Störung des Körperbildes

  • Periphere Ödeme

  • Ikterus (bei Cholestase Juckreiz)

  • Hepatorenales Syndrom

  • Hepatische Enzephalopathie

Gastrointestinale Obstruktionen und Ileus:

  • Viszeral nozizeptive Schmerzen (Koliken)

  • Übelkeit und Erbrechen

  • Obstipation, paradoxe Diarrhöen

Peritonealkarzinose:

  • Viszeral nozizeptive SchmerzenPeriphere Ödeme

  • Schwer therapierbare Übelkeit und Erbrechen

  • Komplikationen: Aszites, Darmver-schluss

Knochenbefall:

  • Schmerzen vor allem bei Bewegung (Incident Pain)

  • Pathologische Frakturen mit Schmerzen und beeinträchtigter Mobilität

  • Wirbelkörperfrakturen mit Querschnittslähmung

  • Hyperkalzämiesyndrom mit Verwirrtheit, Ganzkörperschmerz und Übelkeit/Erbrechen

Weichteilbefall:

  • Sichtbare und teilweise entstellende Veränderungen

  • Veränderung des Körperbildes

  • Unangenehme Geruchsbildung

Gehirnbefall:

  • Kopfschmerzen

  • Erbrechen unabhängig von der Nahrungsaufnahme

  • Verwirrtheit

  • Epileptische Anfälle

  • Neurologische Herdsymptome je nach befallener Gehirnregion (Sprachstörungen, Hemiparesen, Koordinationsstörungen etc.)

Fortschritte in der Therapie

Onkologische Therapien können

  • eine Heilung,

  • eine Verlängerung der Überlebenszeit und

  • eine Reduktion der tumorbedingten Symptome zum Ziel haben.

Am Beispiel der Chemotherapie kann man diesen Fortschritt deutlich sehen. Neben der klassischen zytostatischen Chemotherapie sind schonendere Möglichkeiten der Hormontherapie, Immuntherapie und der gezielten Beeinflussung molekularer Strukturen längst etabliert und können auch noch bei einem reduzierten Allgemeinzustand angewendet werden. Eine parallele onkologische und palliativmedizinische Behandlung wird dadurch teilweise bis in fortgeschrittene Krankheitsstadien möglich.

Die Zahl der palliativ zu versorgenden Tumorpatienten wird damit zunehmen, insbesondere wenn die Palliativversorgung entsprechend der aktuellen WHO-Definition und aktuellen Evidenzen bereits frühzeitig angeboten wird.

Der Nutzen der frühen Integration der Palliativversorgung konnte eindrucksvoll an Lungenkrebspatienten gezeigt werden [5]. Die Betroffenen hatten nicht nur eine höhere Lebensqualität, sondern sie lebten auch deutlich länger, wenn sie frühzeitig palliativmedizinisch mitversorgt wurden. Daher sollte eine Palliativversorgung bei Tumorerkrankungen nicht erst nach abgeschlossener onkologischer Therapie am Lebensende, sondern frühzeitig und während des gesamten Krankheitsverlaufs angeboten werden. Dazu ist eine gut vernetzte Zusammenarbeit von Onkologen und in der Palliativversorgung Tätigen notwendig.

Palliativversorgung: Wann und für wen?

In den palliativen Spezialeinrichtungen, den stationären Hospizen und Palliativstationen werden zu über 90 Prozent Tumorerkrankte versorgt. Auch in der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) sind über 50 Prozent der Versorgten Tumorpatienten. Tumorerkrankungen sind dagegen nur für etwas mehr als 25 Prozent der Todesfälle in Deutschland verantwortlich. Arbeitsgruppen gehen davon aus, dass 50 bis 89 Prozent aller Sterbefälle eine palliative Versorgung benötigen [3].

Mehrere Studien beweisen mittlerweile eindrücklich [5], dass eine frühe Palliativversorgung, frühzeitig im Krankheitsverlauf begonnen, die Lebensqualität erhöht und wohl auch zu einem verlängerten Überleben führt.

Wie ist der Krankheitsverlauf?

Man unterscheidet vier Verlaufsdynamiken des Krankheits- und Sterbeverlaufs fortgeschrittener Krankheiten [4]. Die erste Verlaufsdynamik (Abb. 1, orange Kurve) entspricht dem plötzlichen Tod. Viele werden vermuten, Betroffene mit diesem Verlauf dürften keine Adressaten einer Palliativversorgung sein. Das Beispiel des plötzlich an einer Hirnblutung Sterbenden, der Kopfschmerzen, Luftnot etc. in den wenigen Stunden bis zum Tod haben dürfte und schockierte Angehörige hinterlässt, mag den manchmal sogar hohen Versorgungsbedarf andeuten.

Die zweite Verlaufsdynamik (Abb. 1, rote Kurve) entspricht dem häufigen Verlauf einer Tumorerkrankung mit lange recht gutem Funktionsstatus, der dann zum Lebensende hin kontinuierlich abnimmt. Einen ähnlichen Verlauf haben viele Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) und manche AIDS-Patienten.

Die dritte Verlaufsdynamik (Abb. 1, blaue Kurve) entspricht dem typischen Verlauf bei Herzschwäche oder chronischer Lungenerkrankung. Bei stetiger Abnahme der Funktion kommt es immer wieder zu Dekompensationen und Rekompensationen. Es ist häufig nicht absehbar, ob die Betroffenen eine Dekompensation überleben oder in deren Rahmen versterben. Es kann daher sogar gleichzeitig ein hoher Bedarf an lebensrettender und palliativer Versorgung entstehen.

Die vierte Verlaufsdynamik (Abb. 1, grüne Kurve) entspricht den Alterserkrankungen, z. B. Demenz, Morbus Parkinson. Die Betroffenen leben lange in einem schlechten funktionellen Status. Abbildung 1 erklärt, weshalb es in der Regel gut gelingt, Tumorpatienten in stationären Hospizen oder Palliativstationen in den letzten Wochen ihres Lebens zu versorgen. Das Lebensende ist voraussagbar.

Anders sieht es bei den übrigen Krankheits­verläufen aus, da hier der Tod häufig nicht vorhersehbar nach längerem Leiden eintritt. Missverständnisse können durch die unter­schiedliche Verwendung des Begriffs „pallia­ tiv“ entstehen. In der Onkologie bedeutet „palliativ“ lediglich, dass eine Kuration nicht möglich ist. Eine lebensverlängernde Che­motherapie wird z. B. palliative Chemothe­rapie genannt, da sie nicht zur Heilung führt. Der umfassende multidimensionale und in­terprofessionelle Versorgungsansatz der Pal­liativmedizin ist damit jedoch in der Regel nicht gemeint.

Diagnose-/Prognoseaufklärung

Nach dem SPIKES­Modell, das für die Über­mittlung schlechter Nachrichten entwickelt wurde, wird immer wieder überprüft, ob das übermittelte verstanden wurde und wel­che Emotionen dadurch hervorgerufen wer­ den [1]. Dieses Modell beachtet besonders die emotionalen Hürden der Patientenauf­klärung, da es gezielt darauf eingeht, wie das Mitgeteilte erlebt wird und die ausgelösten emotionalen Reaktionen besonders beachtet (Tab. 1).

Ebenso wichtig wie Aufklärungsgespräche nach der Diagnosestellung sind weitere Gespräche über die jeweils aktuelle Prognose im Krankheitsverlauf. Dafür eignet sich das Modell PROGnose (Tab. 2) [3].

Evidenz zur palliativen Behandlung

Nach der S3­Leitlinie Palliativmedizinische Behandlung von erwachsenen Tumorpatienten im onkologischen Leitlinienpro­gramm, die von zahlreichen medizinischen Fachgesellschaften unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin erstellt und 2015 publiziert wurde, sind fol­gende Evidenzen hervorzuheben [2]:

  • Eine Palliativversorgung soll ab der Dia­gnose der Unheilbarkeit einer Krebs­erkrankung angeboten werden. Dies kann durchaus parallel zu onkologischen Thera­pien geschehen.

  • Opioide sind die erste Wahl für die medikamentöse Behandlung von mittelstarken bis starken Tumorschmerzen sowie der Atemnot. Andere Wirkstoffe sind bei der Behandlung der Atemnot nicht wirksam, auch wenn die klinische Erfahrung zeigt, dass zu den Opioiden kombinierte Benzo­diazepine bei ausgeprägter begleitender Angst gut genutzt werden können. Eine klinisch relevante Atemdepression wurde in keiner der ausgewerteten Studien un­ter den sachgerecht eingesetzten Opioiden beobachtet. Nach der Leitlinie wird beglei­tend zu den Opioiden eine Obstipations­ prophylaxe empfohlen.

  • Eine Depression sollte nach der Leitlinie auch bei kurzer Lebenserwartung behan­delt werden. Es sind psychotherapeutische Vorgehensweisen und bei mittelschweren bis schweren Verläufen auch Antidepressiva indiziert.

  • Kommunikationskompetenzen sind ein essenzieller Bestandteil der Palliativver­sorgung bei Gesprächen über Diagnose, Prognose und Todeswunsch.

  • Beim Eintritt in die Sterbephase sollten Krebstherapien beendet werden.

Fallbeispiel

Herr Müller (Name geändert), 58 Jahre, geht wegen Luftnot zu seinem Hausarzt. Er fühlt sich in letzter Zeit auch zunehmend kraftlos und müde. Die Diagnostik ergibt ein Bronchialkarzinom.

  • Parallel zur weiteren Diagnostik wird Herr Müller bereits palliativ mitbehandelt. Er erhält niedrig dosierte Opioide (Tilidin retardiert 50 mg alle 8 Stunden) wegen der Luftnot. Zusätzlich erhält er Krankengymnastik zur Verbesserung seiner Fatigue-Symptomatik.

  • In sehr zeitaufwendigen begleitenden Gesprächen wird mit ihm die aktuelle Situation besprochen. Es kommen dabei auch seine emotionale Situation, seine psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse angesichts der lebensbedrohlichen Diagnose/Prognose zur Sprache. Die Luftnot hat sich zwar unter 150 mg/Tag retardiertem Tilidin etwas gebessert (auf einer numerischen Rangskala von 0 – 10 gibt Herr Müller aktuell einen Wert von 5 an; vor der Therapie mit Tilidin gab er einen Wert von 8 an). Die Tilidindosis wird auf 3 × 100 mg retardiert (8-stündliche Intervalle) erhöht. Außerdem kann der Patient bis zu 6 × täglich zusätzlich 20 Tropfen Tilidin nicht retardiert (= 50 mg) erhalten. Unter diesem Regime ist die Luftnot nahezu vollständig rückläufig und der Patient gibt maximal Werte von 1 auf der Skala von 0 – 10 an. Die Fatigue-Symptomatik hat sich ebenfalls unter den physiotherapeutischen Maßnahmen verbessert.

Fazit

  • Auch in der Versorgung onkologischer Krankheitsbilder sollte die palliative Betreuung frühzeitig parallel zur onkologischen Therapie und nicht erst am Lebensende nach abgeschlossenen onkologischen Therapien angeboten werden.

  • Die frühzeitige parallele palliative und onkologische Versorgung führt nachweislich zu einer besseren Lebensqualität und einem längeren Überleben.

  • Onkologische Therapien sind mittlerweile wesentlich weniger belastend geworden und können daher zur Symptomlinderung oder Lebensverlängerung teilweise auch noch später im Krankheitsverlauf eingesetzt werden. Dies führt manchmal zu einer „späten Integration“ onkologischer Therapien parallel zur überwiegend auf palliative Konzepte ausgerichteten Versorgung.

  • Diese Parallelität erfordert eine gute Zusammenarbeit onkologischer und palliativer Versorgungsteams.

  • Die neue S3-Leitlinie dient zur Orientierung über derzeit verfügbare gesicherte Evidenzen zur Palliativversorgung von Tumorerkrankten.

Interessenkonflikte: keine

Literatur

  • 1 Baile WF, Buckman R, Lenzi R et al.: SPIKES—A Six-Step Protocol for Delivering Bad News: Application to the Patient with Cancer. The Oncologist 2000, 5 (4), S. 302-311

  • 2 Bausewein C, Simon ST, Pralong A et al.: Palliativmedizinische Behandlung von erwachsenen Krebspatienten. Deutsches Ärzteblatt 2015; 112: 863-70

  • 3 Gerhard C: Praxiswissen Palliativmedizin. Georg Thieme Verlag Stuttgart 2015

  • 4 Lunney JR, Lynn J, Foley DJ et al.: Patterns of functional decline at the end of life. JAMA 2003; 289: 2387-2392.

  • 5 Temel JS et al.: Early Palliative Care for Patients with Metastatic Non–Small-Cell Lung Cancer. New England Journal of Medicine 2010; 363: 733-42

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