Bewusstseinsstörungen gehören mit zu den häufigsten Notfällen, verursachen etwa jeden 5. Notruf. Unter quantitativen Bewusstseinsstörungen versteht man unterschiedliche Vigilanzminderungen die von Somnolenz mit Restweckbarkeit bis hin zum Koma mit fehlender Erweckbarkeit reichen. Unter qualitativen Bewusstseinsstörungen versteht man Trübungen der Bewusstseinsklarheit, dazu gehören etwa Desorientiertheit, Agitation, Angst, Halluzinationen oder auch Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus.
Abgegrenzt werden muss die Synkope, eine kurze Bewusstseinsstörung die sich zumeist durch eine Schocklage bessert.
Bei der Vielzahl möglicher Ursachen ist es in der Akutphase hilfreich zumindest an Unterzuckerung (BZ-Test Pflicht!), SHT, Apoplex, Infektionen, Epilepsie, Addisonkrise, Hypovolämie, oder andere Kreislaufstörungen sowie Intoxikationen zu denken.
Diagnostisch gilt es nun für den Hausarzt neben der körperlichen Untersuchung, der Anwendung der Glasgow-Coma-Scale, der BZ- und Temperaturmessung rasch ein Puls-oximeter anzuschließen, denn unentdeckte Kreislauf- oder Atemstörungen wären fatal. Wenngleich extrem selten, rettet der Gedanke an eine mögliche Kohlenmonoxidvergiftung Patient und Arzt in dieser Situation das Leben.
Vorgehen
Neben der Sicherung von Atmung und Kreislauf sollte schon bei Verdacht eine empirische Therapie eingeleitet werden. Kaum ein Komanotfall entwickelt sich so glücklich, wie die Hypoglykämie nach Gabe von 40 ml G40% i.v. . Weiter kann die Gabe von Thiamin 100 mg (C2-Anamnese), Kortison (Addisonkrise z.B. bei abruptem Kortisonentzug), Benzodiazepinen (Krampfanfall), Antibiotika (Ceftriaxon und Umgebungsschutz bei V.a. Meningitis) oder Antidota (Naloxon bei Opioiden, Flumazenil bei Benzodiazepinen) im entsprechenden Verdachtsfall sinnvoll sein.
Der Transport mit Arztbegleitung in die nächste Klinik mit Schockraum ist bei jeder nicht banalen Bewusstseinsstörung indiziert.
"Herzinfarkt der Neurologie"
Der häufigste echte Neuro-Notfall, auch als "Herzinfarkt der Neurolgie" bezeichnet, ist der Schlaganfall. Schlaganfälle stellen nach wie vor die dritthäufigste Todesursache bei uns dar, 40 Prozent der Betroffenen versterben innerhalb von 12 Monaten, gut 60 Prozent der Überlebenden sind fortan schwerst pflegebedürftig, nur einer Minderheit gelingt die Rückkehr in ihr altes Leben. Somit stellt der Schlaganfall die weitaus größte Ursache für dauerhafte Behinderung oder Krampfanfälle sowie die zweithäufigste Demenzursache dar.
Der bereits Anfang der 90er Jahre geprägte Ausdruck "time is brain" ist also nach wie vor gültig. Die Akutstrategie besteht in
a) an die Diagnose denken, Notruf
b)Vitalfunktionen sichern unter Beachtung von Blutdruck, SO2 und BZ
c) schnellstmöglicher Transport in eine Klinik mit stroke unit.
a) Denken Sie an die Diagnose Schlaganfall!
Die Symptomatik tritt plötzlich ("Schlaganfall") auf: Halbseitenlähmungen oder -gefühlsstörungen, Sprachstörungen, Gesichtsfeldausfälle oder Augenmuskellähmungen sind zu beachten. Laien orientieren sich an dem Akronym "FAST": face (Mimik), arms (Armlähmung), speech (Sprachstörungen), time (Zeitfaktor).
Wir Ärzte sollten noch die dritte große Symptomgruppe "im Auge" haben: Doppelbilder, Nystagmus mit Schwindel oder Gesichtsfeldausfälle sind klassische Schlaganfallzeichen. Vorübergehende Blindheit (Amaurosis fugax) auf einem Auge ist ein Warnzeichen für einen drohenden Schlaganfall.
Nur sehr selten kommt es auch zu Bewusstseinsstörungen, diese sind ein schlechtes Zeichen und machen das Vorliegen einer Hirnblutung wahrscheinlicher.
Etwa zu 30 Prozent liegen Differenzialdiagnosen vor: Dies sind vor allem die akute Hypoglykämie, die Aura bei Migräne, der epileptische Anfall mit Verwirrung und Todd-Parese, periphere vestibuläre Störungen, benigne Facialisparesen oder psychogene Störungen.
Mit der Feststellung der Verdachtsdiagnose sollte umgehend ein rascher Transport mittels Rettungswagen per Notruf 112 organisiert werden.
Unser Praxispersonal sollten wir im Telefonmanagement schulen, der einfache Gesicht-Arm-Sprache-Test hilft, die wesentliche Entscheidung zu treffen. Wird eine Frage positiv beantwortet heißt es Notruf 112 statt Hausbesuch mit Verzögerung:
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Können Sie lachen? Hängen Mundwinkel oder Augenlid?
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Können Sie beide Arme heben?
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Können Sie klar sprechen und verstehen?
b) Sichern Sie die Vitalfunktionen!
Der erstbehandelnde Arzt sollte Kreislauf – Atmung und Blutzuckerstoffwechsel optimieren. Eine Venenverweilkanüle wird am nichtgelähmten Arm angelegt und eine Vollelektrolytlösung angeschlossen. Mit Pulsoximetrie wird kontinuierlich überwacht, nur bei SO2 Werten unter 95 Prozent ist Sauerstoff indiziert (4 l/ min.). Ergibt die Blutdruckmessung erniedrigte Werte, sollte Volumen gegeben werden, nur selten sind Katecholamine notwendig.
Zu hohe Werte sind allenfalls bei Werten über 220/140 vorsichtig durch Titration mit Urapidil i.v. oder Nitrogaben zu senken. Der Erfordernishochdruck sollte nicht unter 180/100 gesenkt werden. Nicht hypotone Patienten werden mit 30 Grad oberkörperhochgelagert.
Hypo- (40 ml G40%) oder Hyperglykämien (NaCl-Gabe) und Fieber (Paracetamol) sollten konsequent behandelt werden, wegen der häufig begleitenden kardialen Störungen ist die EKG-Überwachung wichtig.
c) Rascher Transport in geeignete Klinik mit Voranmeldung!
Per Rettungswagen mit Sonderrechten geht es in eine Klinik mit stroke unit. Denn eine Lyse macht in der Regel nur binnen viereinhalb Stunden Sinn, je früher desto besser. Ein Schlaganfall ohne Störungen der Vitalfunktionen stellt keinen Grund für eine Notarztbegleitung dar, mithin ist es auch nicht sinnvoll diesen nachzufordern oder ein verspätetes Eintreffen abzuwarten. Der Kollege in der Klinik wird im Arzt zu Arzt-Gespräch informiert. Wichtige Fakten sind Symptombeginn, alltagsrelevante Behinderungen oder wesentliche Begleiterkrankungen. Die Königsdisziplin ist die Mitteilung des Ausschlusses von Lysekontraindikationen. In der Klinik erfolgt rasch ein CCT, nach Ausschluss einer Blutung beginnt noch im CT die Lysetherapie. Eine zusätzliche Angiographie kann Verschlüsse größerer Arterien darstellen, nur hier haben mechanische Verfahren noch einen Stellenwert.
"Wer viel misst, misst viel Mist"
Der Nutzen von Stroke units in Bezug auf Überleben und Rehabilitationserfolg bei jüngeren Betroffenen ist unbestritten. Doch es gibt eine Schattenseite dieser Intensivmedizin. Die Komplexbehandlung des Schlaganfalls wird in der Klinik für eine untere Grenzverweildauer von zwei Tagen mit ca. 5.100 Euro vergütet. Der Krankenhausökonom spricht von einem "positiven Deckungsbeitrag". Benötigten 2005 noch 51.407 Patienten in Deutschland diese Behandlung, wurde sie 2016 bereits 230.191 Mal abgerechnet, eine Zunahme auf 447 Prozent in gut zehn Jahren. Die wahre Inzidenz des Schlaganfalls dagegen sinkt, die indexierten Verhältnisse zeigt Abbildung 1.
Intensivbehandlung ist nicht unproblematisch, daher hat sich der Spruch durchgesetzt "Wer viel misst, misst viel Mist". Eine nicht notwendige Intensivbehandlung verschlechtert in der Regel die Situation des Patienten erheblich, hier sei nur auf das Delirrisiko aufgrund des Umgebungslärms und die Infektionsrisiken verwiesen. Sogar die Sterblichkeit steigt einer aktuellen Untersuchung zufolge um 18 Prozent. Infolge zunehmender Intensivtherapie überleben die ersten 30 Tage deutlich mehr Schlaganfallbetroffene. Dagegen änderte sich die Gesamtsterberate am Schlaganfall bei den Älteren nicht. D.h. mehr Medizin schafft längere Verläufe schwerbehindert bis zum Tod. Und befragt man Senioren, so fürchten sie Behinderung mehr als den Tod. 90 Prozent von Ihnen lehnen Rettungsmaßnahmen mit hohem Risiko für Behinderung ab: "Lieber tot als behindert". Solange derlei Fehlanreize bestehen, kommt dem Hausarzt die entscheidende Weichenstellung zu: Intensiv- oder Palliativbehandlung – behalten Sie ihren gesunden Menschenverstand!
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Literatur
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1 Stemmler HJ; Pilhusch H: Bewusstseinsstörung oder –trübung. Internist 2017 · 58:883–891
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2 Gomez CR (1993) Editorial: time is brain! J Stroke CerebrovascDis 3:1–2
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4 Valley T; Ann Am Thorac Soc 2017; 14:943
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5 Guidet, B., Leblanc, G., Simon, T., Woimant, M., Quenot, J. P., Ganansia, O., … & Fartoukh, M. (2017). Effect of systematic intensive care unit triage on long-term mortality among critically ill elderly patients in France: a randomized clinical trial. Jama, 318(15), 1450-1459.
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6 Unterhofer, C., Ho, W. M., Wittlinger, K., Thomé, C., & Ortler, M. (2017). "I am not afraid of death"—a survey on preferences concerning neurosurgical interventions among patients over 75 years. Acta neurochirurgica, 159(8), 1547-1552.