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Bundeskongress für Allgemeinmedizin 202430 zu 70 Prozent – Das ambulante System steht auf dem Kopf

Dass die hausärztliche Versorgung gestärkt werden muss, darüber waren sich Experten auf dem BAM-Kongress 2024 einig. Dabei hat sich im KV-System in den letzten Jahrzehnten gar nichts getan – es muss an vielen Stellschrauben gedreht werden, mahnte Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth in Berlin.

Rege Diskussionen beim ersten BAM-Kongress in Berlin. Auf dem Podium von links: Ulrike Elsner, Boris Velter, Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Prof. Dr. Jean Francois Chenot, Theresa Buuck, Prof. Christoph Heintze, Institutsdirektor Charité Berlin

Berlin. Die Hausärztinnen und Hausärzte sind das Rückgrat der Versorgung, das betonten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion beim ersten Bundeskongress für Allgemeinmedizin (BAM) am Freitag (31.5.) in Berlin. Bei der Frage: „Wie soll die hausärztliche Versorgung der Zukunft gesichert werden, gingen die Meinungen der Expertinnen und Experten jedoch auseinander.

„Aktuell fehlen 5.000 Hausärztinnen und Hausärzte im System“ erinnerte Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Co-Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Um die hausärztliche Versorgung zu stärken, gebe es nicht die eine Antwort. Es müsste an vielen Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden.

Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020, Weiterentwicklung der Weiterbildung, Stärkung der Kompetenzzentren, Attraktivität des Hausarztberufs steigern, zählte Buhlinger-Göpfarth als Punkte auf. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband habe vieles entwickelt und eine “Überdosis Wissen” parat.

vdek setzt auf regionale Gesundheitszentren

Dass der Deutsche Ärztetag erst kürzlich einen Leitantrag zur Steuerung der Versorgung mehrheitlich beschlossen habe und dabei auch die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) erwähnt habe, sei ein Novum, unterstrich die Hausärztin. Mit der HZV könnten auch die Wünsche der Krankenkassen nach einer guten hausärztlichen Versorgung trotz knapper Gelder umgesetzt werden.

Die ambulante Gesundheitsversorgung müsse gesichert, gestärkt und ausgebaut werden, betonte auch Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen e.V. (vdek). Die hausärztliche Versorgung in Zukunft zu sichern, sei ein Problem. “Wir müssen weiter und neu denken”, sagte Elsner, die auf die Idee von regionalen Gesundheitszentren hinwies, die mit dem HÄPPI-Konzept des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes viel Ähnlichkeit hätten.

Mehr Kooperation, mehr Delegation, aber auch mehr Nutzung moderner Technik sei wichtig. Auch kleinere Krankenhäuser könnten hier eine Rolle spielen. Elsner verwies auf zwei Pilotprojekte, mit denen der vdek diese Woche an den Start gegangen sei.

Quartalsbindung im EBM “sinnfrei”

Eines sei ein kommunales MVZ in Niedersachsen, ein anderes eine Gemeinschaftspraxis ebenfalls in einer ländlichen Region. (Anmerkung der Redaktion: Gemeint sind das Regionale Versorgungszentrum Wurster Nordseeküste in Niedersachsen und die Gemeinschaftspraxis Gesenhues und Partner in Ochtrup und Gronau (NRW)). Hier würden Module zur Delegation erprobt, wie der Einsatz von Physician Assistants (PA), Case- und Care-Managerinnen und nicht-ärztliche Praxisassistentinnen (NäPA) mit telemedizinischem Rucksack ausgerüstet.

Hausärztinnen und Hausärzte spielen eine ganz besondere Rolle, pflichtete Boris Velter, Leitungsabteilung Bundesministerium für Gesundheit, bei. Im Mainstream sei es noch nicht angekommen, dass Ärztinnen und Ärzte fehlen. Es gebe hier aber ein echtes Problem.

Vergessen dürfe man dabei auch nicht, dass in den ambulanten Praxen “millionenfache Notfallversorgung” stattfinde. Gleichwohl sei es richtig, so Velter, auch Krankenhäuser für die Versorgung in den Blick zu nehmen. Was die Quartalsbindung im EBM angeht, nannte Velter diese “absolut sinnfrei”, diese müsse aufgebrochen werden.

Das wünscht sich der Nachwuchs

Bei der Frage, wie die hausärztliche Versorgung sichergestellt werden könnte, zählte Theresa Buuck, frisch gebackene Hausärztin und Sprecherin des Forums Weiterbildung im Hausärztinnen- und Hausärzteverband, zahlreiche Maßnahmen auf.

Sie wies auf die dringende Umsetzung des Masterplans 2020 hin. Außerdem wünscht sich Buuck die longitudinale Verankerung der Allgemeinmedizin im Studium, sehr gute Bedingungen im praktischen Jahr, eine koordinierte und strukturierte Weiterbildung – die – da wo es notwendig ist – ambulant stattfindet.

Auch sei die stetige Finanzierung der Kompetenzzentren wichtig. Wenn es gute Praxen gibt, “müssen wir auch Leute haben, die diesen Weg gehen. Aus- und Weiterbildung ist deshalb verdammt wichtig”, unterstrich Buuck.

Medizinstudium entschlacken

Da der größte Teil der medizinischen Versorgung ambulant stattfindet, plädierte Prof. Jean-Francois Chenot, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), dafür, dass “der Einstieg nicht so krankenhausorientiert” sein sollte.

Das Medizinstudium sei außerdem zu überladen und müsse entschlackt werden. Die Weiterbildung sei nach wie vor unstrukturiert – Weiterbildungsplätze würden dort vergeben, wo gerade eine Stelle frei sei. Die Kompetenzzentren seien ein wahrer Segen und müssten für weitere Facharztgruppen eingeführt werden.

In diesem Zusammenhang wollte Moderator Prof. Christoph Heintze, Institutsdirektor Charité Berlin, wissen, ob die Idee einer Quotierung Weiterbildung, die der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen in seinem Gutachten vorgeschlagen hatte, befürwortet wird oder eher nicht.

“Early bird-System” für die Allgemeinmedizin

“Das wäre auch ein wichtiger Beitrag”, erklärte Chenot. Die Kompetenzzentren, erklärte Elsner, seien eine wichtige Errungenschaft. Da es aber in allen Bereichen Bedarfe gebe, würde sie eher mit Anreizen als mit Quotierung arbeiten.

Anreize, kommentierte Buhlinger-Göpfarth, “finde ich gut.” Ein kardinaler Punkt sei dabei, dass der hausärztliche Beruf interessanter gestaltet werden müsse.

In Deutschland stelle sich die Lage so dar, dass den 30 Prozent Hausärzten 70 Prozent Gebietsärzte gegenüberstünden. Eigentlich müsste es umgekehrt sein – das System stehe auf dem Kopf.

Bereits 2008 habe die WHO festgestellt, dass mehr in ein Primärarztsystem investiert werden müsse. Es müsse zum Beispiel ein „Early bird“-System her, dass sich Medizinstudierende von Anfang an für die Allgemeinmedizin entscheiden würden.

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