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EinwilligungsfähigkeitWann der Patientenwille (nicht) bindend ist

Was tun, wenn der Patient eine gebotene Behandlung ablehnt? Eine Checkliste hilft beim Entscheidungsprozess.

Bei Ablehnung einer gebotenen Behandlung oder Entschluss zu einer Zwangseinweisung ist eine strukturierte Dokumentation wichtig.

Was tun, wenn der alkoholisierte Patient seine Platzwunde nicht versorgen lassen möchte, die ältere Dame mit einem frischen ST-Hebungsinfarkt den Transport in die Klinik ablehnt oder der Ruf der Angehörigen nach psychiatrischer Zwangseinweisung des randalierenden Familienvaters laut wird?

Alles andere als trivial stellen sich solche Fragestellungen dar, bewegt sich der Hausarzt doch auf sensiblem Terrain, schweben potenzielle Straftatbestände wie ein Damoklesschwert über ihm: Folgt er dem Patientenwillen, könnte er sich der unterlassenen Hilfeleistung strafbar machen, tut er dies nicht, droht ihm wohlmöglich eine Anklage aufgrund der veranlassten Verletzung von Freiheitsrechten der betroffenen Person. Hier tut auch beim Mediziner ein Basiswissen zur rechtlichen Situation von Einwilligungsfähigkeit und Patientenwillen not.

Sein Wille geschehe – die Einwilligungsfähigkeit

Einwilligungsfähigkeit setzt eine geistige und sittliche Reife voraus, die Trageweite und Bedeutung der geplanten Handlung erkennen und beurteilen lässt [1] [3]. Für den Arzt geht es hier allein um Zustimmung/Ablehnung von medizinischen Eingriffen. Eine „Geschäftsfähigkeit“ (diese betrifft Rechtsgeschäfte aller Art) ist dafür nicht zwingend erforderlich. So können Geschäftsunfähige einwilligungsfähig sein – auch ein gesetzlicher Betreuter kann selbstständig eine Blutentnahme ablehnen oder dieser zustimmen!

Wirksame Aufklärung als Basis der Einwilligungsfähigkeit

Bevor die Tragweite und Bedeutung (s.o.) überhaupt abgeschätzt werden können, muss eine wirksame Aufklärung erfolgen. Ohne dieses Verständnis besteht kein Rechtfertigungsgrund für Körperverletzung (= jeglicher Eingriff, auch eine Blutentnahme) oder Freiheitsentzug, und alle diese Handlungen erfüllen einen Straftatbestand. Auf Detailaspekte einer wirksamen Aufklärung soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

Ohne ausreichende geistige und sittliche Reife keine Einwilligung

Für eine solche Forderung müssen Informationen des Arztes verstanden werden, Vorteile und Nachteile einer Entscheidung gegeneinander abgewogen werden können [2]. Die Basis hierzu stellt ein Arzt-Patienten-Gespräch dar, in dem gezielte Fragen zur Abschätzung der geistigen Situation gestellt werden müssen. Einen Anhalt für mögliche Gesprächsinhalte gibt Tabelle 1. (nach [4] [5] [7]).

Schon vor diesem Hintergrund wird klar, dass weder alkoholisierte noch demente oder geistig behinderte Menschen grundsätzlich nicht einwilligungsfähig sind. Anders als bei der Beurteilung der Fahrtüchtigkeit existiert keine klar definierte „Promillegrenze“, die den Betroffenen eine Urteilsfähigkeit abspricht. Beispielhaft kann nach Rechtsprechung auch mit einer Blutalkoholkonzentration von 4 Promille noch in eine Blutentnahme eingewilligt werden und auch mit über 2 Promille noch eine Einwilligungsfähigkeit für Eingriffe bestehen [8] [9]. Ebenso wird bei Dementen und geistig Behinderten stets die individuell vorhandene Möglichkeit zur strukturierten Gesprächsführung den wesentlichen Anteil zur Entscheidung beitragen müssen.

„Ich gehe nicht ins Krankenhaus!“ – Vorgehen bei fehlender Einwilligungsfähigkeit

Eine alleinig fehlende Einwilligungsfähigkeit rechtfertigt aber bei weitem noch keine Zwangsbehandlung, dafür sind zwei Bedingungen obligat zu erfüllen [6]:

  1. Es liegt eine unmittelbar bevorstehende oder jederzeit zu erwartende nicht anders abwendbare erhebliche Eigen- oder Fremdgefährdung
  2. Als Ursache besteht eine behandlungsbedürftige Psychose (oder andere psychische Störung mit vergleichbarer Schwere) oder eine Sucht-/Abhängigkeitserkrankung mit ähnlicher Ausprägung.

Für das Vorliegen einer Eigengefährdung muss dabei ein konkreter Gefährdungsaspekt erkennbar sein, eine vage Möglichkeit des Schadenseintrittes genügt nicht. Eine Nichtbehandlung muss eine unmittelbare Lebensgefahr (z.B. C2-Intoxikation mit Verlust der Schutzreflexe) zur Folge haben. Immer ist auch die Möglichkeit einer Gefahrenabwendung durch geeignetere Maßnahmen zu prüfen. So könnte zum Beispiel eine latent suizidgefährdete Person von den sie bis zur stationären Aufnahme beaufsichtigenden Angehörigen selbst in der Klinik vorgestellt werden. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass Verwahrlosung und Gefahr von Hab und Gut keine Gründe für eine Zwangseinweisung darstellen [10].

Ebenso müssen Gefährdungsaspekte für Dritte (sog. Fremdgefährdung) für eine Zwangseinweisung in diesem Sinne konkret erkennbar sein. Verbale Drohungen allein („Ich bringe dich um!“) genügen hier genauso wenig wie ungebührliches Verhalten oder Beschimpfungen. Gerade bei Drohgebärden ist es die Aufgabe des Arztes, die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung nach einem Arzt-Patienten-Gespräch abzuschätzen.

Liegen alle Voraussetzungen (fehlende Einwilligungsfähigkeit, psychiatrisches Krankheitsbild, konkrete Selbst- oder Fremdgefährdung) vor, muss in den meisten Bundesländern vor Ort noch durch Ordnungsamt oder Polizei die Zwangsverbringung angeordnet werden. In Baden-Württemberg dagegen kann der einweisende Arzt die „fürsorgliche Aufnahme und Zurückhaltung“ für maximal 24 Stunden selbst anordnen.

„Wer schreibt der bleibt“ – Dokumentation ist alles!

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen mögen die Fragen nach Einwilligungsfähigkeit und Zwangsbehandlung einem juristischen Minenfeld gleichen, liegt doch dem Entschluss zur Behandlung gegen den Patientenwillen reichlich Ermessensspielraum und Optionen zur individuellen Einschätzung durch den behandelnden Arzt zu Grunde.

Ordnung in das scheinbare Chaos und Sicherheit in der Entscheidung bringt eine strukturierte Dokumentation. Bei jeglichen Fällen mit Ablehnung einer gebotenen Behandlung und/oder Entschluss zu einer Zwangseinweisung sind alle folgenden Punkte in der Akte festzuhalten:

  • Aufklärung über die geplante Maßnahme/Behandlung
  • Einschätzung zur Einwilligungsfähigkeit
  • Einschätzung zu Aspekten einer Selbst- oder Fremdgefährdung mit konkretem zu erwartendem Schaden
  • ursächliche Diagnose aus dem psychiatrischen Bereich (eine Eingrenzung auf Symptomebene, z.B. paranoid, delirant, desorientiert oder intoxikiert ist hier ausreichend)

Der Autor hat für diesen Zweck eine leicht zu handhabende Checkliste erarbeitet, die alle Dokumentationsinhalte abdeckt und durch den Entscheidungsprozess führt (s.o.).

Mögliche Interessenkonflikte des Autors: Mitglied der VV der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, Landesdelegierter des Hausärzteverbandes BW, stv. Koordinator einer Notfallpraxis, entgeltliche Dozententätigkeit bei Hausärzteverband und IhF.

Literatur:

  1. Wessels/Beulke/Satzger, StrafR AT, 43. Auflage Heidelberg 2013, Rdn. 374
  2. Nedopil N. Forensische Psychiatrie. Stuttgart: Thieme; 2007
  3. Bühler E: Der nicht einwilligungsfähige Patient – Wie der Hausarzt rechtssicher entscheidet. Der Allgemeinarzt, 2019; 41 (14) Seite 68-70
  4. Habermeyer E. Psychiatrische Gesichtspunkte und Begutachtungsfragen der Geschäftsfähigkeit. In: Kröber H-L, Dölling D, Leygraf N, Saß H, Hrsg. Handbuch der forensischen Psychiatrie: Band 5: Forensische Psychiatrie im Privatrecht und Öffentlichen Recht. Heidelberg: Steinkopff; 2009: 51–100
  5. Weber S, Schneider F. Begutachtung. In: Schneider F, Hrsg. Klinikmanual Psychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie. Heidelberg: Springer; 2008: 432–444
  6. Dettmeyer R: Medizin und Recht – rechtliche Sicherheit für den Arzt. Springer. 2. Auflage 2006
  7. Bühler E, Kren R, Stolz K: Betreuungsrecht und Patientenverfügungen. Springer. 5. Auflage 2015.‘
  8. OLG Hamm, Beschluss vom 20.02.2011, III-3 RVs 104/10
  9. OLG Thüringen, Beschluss vom 06.10.2011, 1 Ss 82/11
  10. J. Hummes · T. Hartmann· Pajonk F.-G.B.: Feststellung von Einwilligungsfähigkeit und Notwendigkeit von Zwangsmaßnahmen bei Eigen- und Fremdgefährdung in der Notfallmedizin
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