Hausarztzentrierten VersorgungHZV als gelebte Prävention: Viele Zahnräder, die Patienten schützen

Prävention funktioniert in der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) deutlich besser als in der Regelversorgung – auf allen vier Ebenen. Das belegen mehrere Studien. Aber warum klappt es in der HZV besser? Und wie kann dieses HZV-Präventionspfund mehr Rückenwind bekommen?

Prävention: Bei Themen rund um die Gesundheit greift oft ein Zahnrad ins andere.

Bei Themen rund um die Gesundheit greift oft ein Zahnrad ins andere. So auch bei der Prävention, die – vor allem in einer alternden Gesellschaft – ein zentrales Element der Gesundheitspolitik sein muss. Es gilt, so lange wie möglich gesund zu bleiben, sich vor Krankheiten zu schützen und auch bei Erkrankungen optimal betreut zu werden.

Für Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth, erste stellvertretende Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, zeigt sich hier ein bedeutender Vorteil der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV): “Das Fundament der Versorgung in den Hausarztverträgen ist Prävention”, weiß sie. Die Folge:

“Die HZV ist der Regelversorgung in allen vier Präventionsebenen überlegen, angefangen von der Primärprävention – also höheren Impfquoten – bis zur Quartärprävention, sprich dem Schutz vor Über-, Unter- und Fehlversorgung durch Steuerung.”

1. Ebene: Primärprävention

Die Impfquoten liegen in der HZV signifikant höher als in der Regelversorgung. Dies zeigt sich gerade mit Blick auf den Grippeschutz bei Älteren ab 65, Impfungen gegen Pneumokokken oder Herpes Zoster [1].

So kommt auch die Impfanalyse der GWQ, die unter anderem verschiedene BKKen und IKKen vertritt, zu dem Schluss, dass sich die Impfquote “aufgrund der Einschreibung dauerhaft und stabil erhöht”. “Es wird deutlich, dass der Effekt auch mit fortschreitender Teilnahmedauer bestehen bleibt”, heißt es in der Analyse [2].

Die Gründe dafür sind vielfältig. “Der regelmäßigen Überprüfung des Impfstatus und dem präventiven Gedanken werden in der HZV eine höhere Bedeutung eingeräumt”, erklärt Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Hausarzt in Bremen und Vorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IHF).

Wenn Patienten sich in die HZV einschreiben, meint Mühlenfeld, folge sofort eine strukturierte Vorgehensweise – und dazu gehöre eben auch die Überprüfung auf Impflücken. Sprich: Der Hausarzt weiß sofort, welche Impfungen überhaupt vorhanden sind, und kann nötige Auffrischungen oder auch Ergänzungen innerhalb der engen Arzt-Patienten-Beziehung in der HZV gut thematisieren.

Zudem ist die Überprüfung des Impfstatus in der HZV fest verankert, sie kann in der Regel alle zwei Jahre abgerechnet werden. In der Regelversorgung hingegen ist eine regelmäßige Überprüfung des Status nicht vorgesehen.

Für Mühlenfeld entscheidend ist die “Verbindlichkeit” der Arzt-Patienten-Beziehung in der HZV. “Ich fühle mich verantwortlich für den Patienten – und beispielsweise seinen Impfstatus –, und auch der Patient erkennt durch seine Unterschrift diese Verbindlichkeit unserer Beziehung an.”

Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Primärprävention: Der Anteil der Krankenhausaufnahmen mit der Hauptdiagnose “Grippe” oder “Pneumonie” ist bei HZV-Patienten im Vergleich zu Nicht-HZV-Patienten um 9,1 Prozent geringer [3].

2. Ebene: Sekundärprävention

“In der HZV haben Hausärztinnen und Hausärzte insgesamt mehr Zeit für die Patienten”, erklärt Mühlenfeld. Dies ist nicht zuletzt ein Vorteil, wenn es um die frühe Erkennung von Krankheiten geht.

Mühlenfeld sieht das darin begründet, dass in der HZV mehr als in der Regelversorgung pauschaliert vergütet werde und Praxen beispielsweise weniger Zeit mit Abrechnungsziffern verschwenden müssten. Während der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) mitunter Arzt-Patienten-Kontakte ohne medizinische Notwendigkeit vorschreibe, baue die HZV auf den Grundgedanken, mehr Zeit für Patienten freizusetzen.

Darüber hinaus ist das freiwillige Einschreibesystem essenziell für die Koordinierung durch die Hausarztpraxis: In der HZV kennen Hausärztinnen und Hausärzte ihre Patienten – und auch die mitbehandelnden Kolleginnen und Kollegen.

Durch diesen umfassenden Überblick über das individuelle Versorgungsgeschehen können Hausärzte gezielt identifizieren, welche Maßnahmen den Einzelnen helfen können, gesund zu bleiben oder eine Krankheit frühzeitig zu erkennen und zu lernen, damit umzugehen.

So werden in der HZV beispielsweise Menschen mit Lipidstoffwechselstörungen oder koronaren Herzerkrankungen im Vergleich zur Regelversorgung nachweislich besser medikamentös versorgt (Statine; ACE-Hemmer/AT1-Blocker) [4].

3. Ebene: Tertiärprävention

Auch konnte nachgewiesen werden, dass Diabetikerinnen und Diabetiker in der HZV seltener an Folgeerkrankungen leiden.

So hat die Evaluation der Universitäten Frankfurt und Heidelberg zum 15-jährigen Bestehen der HZV in Baden-Württemberg (siehe Artikel “HZV-Patienten leben länger” aus HA 11/23) unter anderem gezeigt, dass Menschen mit Diabetes in der HZV seltener erblinden, bei ihnen seltener eine Amputation erforderlich ist, sie auch signifikant seltener einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleiden und sogar eine höhere Lebenserwartung haben [1].

Mitverantwortlich sieht Prof. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Uni Frankfurt, “sehr wahrscheinlich” die um rund 20 Prozent höhere Teilnahme an Disease-Management-Programmen (DMP), die in der

HZV gezielt angereizt werde, sagte er bei der Vorstellung der Studienergebnisse [5]. In DMP erlernen Betroffene einen besseren Umgang mit ihrer Erkrankung, was zu tertiärer Prävention gezählt werden kann.

4. Ebene: Quartärprävention

Nicht zuletzt werden Patientinnen und Patienten, die sich für die HZV und damit für die Betreuung und Koordination durch eine feste Hausarztpraxis entscheiden, vor Doppeluntersuchungen, Wechselwirkungen bei der Einnahme verschiedener Medikamente von diversen Verordnern sowie unnötigen Krankenhauseinweisungen und damit letztlich Überversorgung geschützt.

Eine Modellrechnung für Baden-Württemberg untermauert das: Demnach gab es 2020 in der HZV zwei Millionen Hausarztkontakte mehr und 1,9 Millionen unkoordinierte Facharztkontakte ohne Überweisung weniger [1].

Weitere Ergebnisse im Bereich der quartären Prävention sind, dass der organisierte Notdienst von HZV-Versicherten signifikant seltener in Anspruch genommen wird und in der HZV weniger Verordnungen potenziell inadäquater Medikamente erfolgen. [4]

Folge: Ein Bonus für mehr Prävention

Summa summarum lässt sich zeigen: Die HZV trägt dem Leitgedanken der Prävention, Krankheiten oder gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden, das Risiko einer Erkrankung zu verringern oder ihr Auftreten zu verzögern, auf allen vier Präventionsebenen Rechnung.

Konsequent wäre also, wenn der Gesetzgeber die Teilnahme an der HZV als Präventionsleistung anerkennen würde. Dafür setzt sich der Hausärztinnen- und Hausärzteverband explizit ein.

“Die HZV-Teilnahme ist aus unserer Sicht die beste Prävention und ein Bonus für teilnehmende Versicherte überfällig”, fasst Buhlinger-Göpfarth zusammen. Ein Bonus für die Einschreibung könnte der HZV zu weiterem Schwung verhelfen und der Prävention Vorschub leisten.

“Es wäre wichtig, dass alle Akteure erkennen, dass es ohne HZV zukünftig schwierig wird, die Sicherstellung zu gewährleisten”, sagt Buhlinger-Göpfarth. “Seit zehn Jahren beweist eine Evaluation nach der anderen, dass die HZV die beste Medizin für unser kränkelndes Gesundheitssystem ist. Die einzige Konsequenz daraus kann und muss sein, die HZV endlich entsprechend zu fördern. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür!”

red

Quellen

  1. Evaluation der HZV der AOK Baden-Württemberg 2023, Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt und Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg.
  2. HANA-Impfanalyse 2015-2022, GWQ ServicePlus AG.
  3. Evaluation der HZV der AOK Baden-Württemberg 2016, s.o.
  4. Evaluation der HZV der AOK Baden-Württemberg 2020, s.o.
  5. www.hausarzt.link/TL6v7
  6. Weniger Krankenhauseinweisungen bei HZV-Patienten mit Hauptdiagnose Grippe und Pneumonie. Evaluationsbericht der Hausarztzentrierten Versorgung; Zusammenfassung der Ergebnisse 2011-2016: S. 19.
  7. Bessere Versorgung der Patienten mit Medikamenten: Evaluationsdaten der Hausarztzentrierten Versorgung Baden-Württemberg, Berichtsjahr 2019-2020, Institut für Allgemeinmedizin, Arbeitsbereich Qualitätsförderung u. Versorgungsepidemiologie Johann Wolfgang Goethe Universität, Frankfurt a. Main, s. Anlage Primärprävention – Querschnittanalyse 2019/20 – K. Karimova et al.
  8. Niedrigere Fünf-Jahres Sterblichkeit bei HZV-Patienten: “Nat Sci Rep 2019; Strong primary care and patients’ survival, M. Wensing, J. Szecsenyi et al., 9:10859 | https://doi.org/10.1038/s41598-019-47344-9 .)”
  9. HZV-Versicherte häufiger in DMP Programmen eingeschrieben: Sawicki OA, Müller A, Glushan A, Klaaßen-Mielke R, Gerlach FM, Beyer M, Karimova K (2021)
  10. Influenza-Impfrate in der älteren Bevölkerung in und außerhalb der HZV in Baden-Württemberg. Zeitschrift für Allgemeinmedizin 97(5): 195-199
  11. Goethe Universität, Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Arbeitsbereich Qualitätsförderung und Versorgungsepidemiologie– Querschnittanalyse 2019/20 – K. Karimova et al.
  12. “Auswirkung der Teilnahme an der Hausarztzentrierten Versorgung auf die Impfquote; 7/2023”, Untersuchung der GWQ ServicePlus AG Gesellschaft für Wirtschaftlichkeit und Qualität bei Krankenkassen: https://hausarzt.link/tVuSh
  13. Evaluation der HZV der AOK Baden-Württemberg 2023
  14. GWQ ServicePlus AG
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