Forum PolitikZiel: Weniger Gefälle in Versorgungslandschaft

Mitte Juli ist das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) in weiten Teilen in Kraft getreten. Vor allem die Regelungen zu Praxisaufkauf und Terminservicestellen ernteten viel Kritik. Die wichtigsten Änderungen für Hausärzte finden Sie als Serie auf www.medizinundmedien.eu noch einmal zum Nachlesen.

Im Netz der Vertragsärzte drohen immer mehr Lücken aufzureißen. Deshalb will der Gesetzgeber mit dem Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) Ungleichheiten abbauen. So will er etwa erneut an der Bedarfsplanung schrauben.

Abbau von Überversorgung

Daher soll der Gemeinsame Bundesausschuss bis 1. Januar 2017 die Bedarfsplanungsrichtlinie anpassen – sie soll bedarfsgerechter und kleinräumiger werden. Dabei soll er die Morbidität berücksichtigen. Um Arztsitze besser zu verteilen, verschärft der Gesetzgeber Vorgaben zum Praxisaufkauf. Sie bestimmen die finanzielle Entschädigung (anzusetzen ist der Verkehrswert der Praxis) für Ärzte, denen eine Nachbesetzung ihrer Praxis nicht genehmigt wird. Künftig sollen Kassenärztliche Vereinigungen (KV) also in gesperrten Gebieten Sitze aufkaufen, wenn der Versorgungsgrad bei mindestens 140 Prozent liegt. Möglich bleibt ein Aufkauf weiter ab einem Grad von 110 Prozent. Was bedeutet das für Praxen?

Grundsätzlich gilt: Endet in einem wegen Überversorgung gesperrten Planungsgebiet die Zulassung eines Vertragsarztes durch Tod, Verzicht oder Entziehung und soll die Praxis von einem Nachfolger weitergeführt werden, entscheidet der Zulassungsausschuss auf Antrag (des Vertragsarztes oder der Erben), ob ein Nachbesetzungsverfahren stattfinden soll. Der Ausschuss kann den Antrag ablehnen, wenn eine Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist.

Neu ist: Der Zulassungsausschuss soll (muss) einen Antrag ablehnen, wenn der Landesausschuss festgestellt hat, dass der allgemeine bedarfsgerechte Versorgungsgrad um 40 Prozent überschritten ist. Außer eine Nachbesetzung ist aus Versorgungsgründen nötig. Ausnahmen: Ein Antrag kann nicht abgelehnt werden, wenn Ehegatten, Lebenspartner, Kinder oder angestellte Ärzte des Vertragsarztes sowie Ärzte, mit denen der Inhaber die Praxis gemeinsam betrieben hat, die Praxis fortführen wollen. Das gleiche gilt, wenn der Bewerber nach Inkrafttreten der Neuregelung mindestens fünf Jahre in einem unterversorgten Gebiet vertragsärztlich tätig war. Zum Nachbesetzungsverfahren kommt es auch, wenn der Bewerber sich verpflichtet, den Sitz in ein unterversorgtes Gebiet des Planungsbereichs zu verlegen.

Lücken schließen

Da diese Regelungen nicht reichen werden, damit Ärzte sich auf dem Land niederlassen, beinhaltet das VSG weitere Maßnahmen:

  • Künftig können Ärzte auch „fachgleiche“ MVZ gründen. Gerade Hausärzten bietet sich hier eine Menge neuer Betriebsformen (vgl. Der Hausarzt 07/15). Außerdem können nun auch Gemeinden, Städte und Landkreise eigenständig ein MVZ errichten.

  • In unterversorgten Regionen sollen Krankenhäuser leichter als bisher bei der ambulanten fachärztlichen Versorgung aushelfen können.

  • Praxisnetze sollen besser gefördert werden. Dazu sollen die KVen ihre Honorarverteilungsmaßstäbe anpassen. Für anerkannte Praxisnetze braucht es also gesonderte Vergütungsregelungen. Es können auch eigene Honorarvolumina für Netze gebildet werden.

  • Der Bewertungsausschuss soll prüfen, in welchem Umfang Hilfspersonen wie VERAH® delegationsfähige Leistungen qualifiziert erbringen und wie diese angemessen vergütet werden können. Angesichts immer mehr multimorbider und älterer Patienten sollen sich Ärzte so gezielter um diejenigen kümmern können, die ärztliche Hilfe brauchen. Der EBM soll entsprechend geändert werden.

  • Die Mittel aus dem Strukturfonds zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung können künftig nicht mehr nur in unterversorgten Regionen oder bei lokalem Versorgungsbedarf eingesetzt werden.

Terminservicestellen

Neben dem Praxisaufkauf entzündete sich vor allem an den geplanten Terminservicestellen heftige Kritik. KVen müssen nun Servicestellen einrichten, die gesetzlich Versicherten innerhalb einer Woche einen Facharzt-Termin vermitteln. Die Wartezeit auf einen Termin darf nicht länger als vier Wochen dauern, die Entfernung muss zumutbar sein. Vorrangig soll der Termin bei einem Leistungserbringer der vertragsärztlichen Versorgung vereinbart werden (Vertragsärzte, zugelassene MVZ, ermächtigte Ärzte). Dabei haben Versicherte keinen Anspruch auf einen Termin bei einem bestimmten Arzt. Bei Augen- und Frauenärzten ist keine Überweisung vorzulegen; nachdem eine psychotherapeutische Akutsprechstunde eingeführt wurde, müssen die Servicestellen auch hierfür Termine vermitteln.

Kann die Stelle keinen Termin bei einem Vertragsarzt in vier Wochen anbieten, muss sie dem Versicherten einen Termin zur ambulanten Behandlung in einer Klinik vermitteln. Das Krankenhaus kann dann auch nötige Folgebehandlungen übernehmen, um den Behandlungserfolg zu sichern. Die Klinik muss sich aber an die Bestimmungen der vertragsärztlichen Versorgung halten. Ausnahme: Die Vermittlungspflicht greift nicht bei verschiebbaren Routineuntersuchungen, Bagatellerkrankungen sowie vergleichbaren Fällen. Näheres soll der Bundesmantelvertrag regeln.

Angleichung der Gesamtvergütung

Massive, sachlich nicht gerechtfertigte Unterschiede bei den regional verhandelten morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen (MGV) sollen verringert werden. Ein Urteil des Bundessozialgerichts (Az.: B 6 KA 6/14 R, 13.8.2014) zwang den Gesetzgeber nachzubessern: Demnach kann die Basis der Gesamtvergütung nur neu bestimmt werden, wenn sie an die Vorjahresbasis anknüpft. Erstmals mit Wirkung für 2017 können Kassen und KVen einmalig für die MGV 2016 eine basiswirksame Erhöhung vereinbaren. Dies gilt aber nur, wenn die an eine KV gezahlte MGV für 2014 (inklusive Bereinigungen) niedriger ausgefallen ist als der Durchschnitt der MGV je Versicherten aller KVen.

Weitere Bedingungen: Eine einmalige basiswirksame Erhöhung der MGV ist nur möglich, wenn die Basis 2014 unbegründet zu niedrig war. Ob und in welchem Umfang dies der Fall war, muss die KV nachweisen. Die Basis ist dann in dem Umfang anzuheben, wie diese 2014 zu niedrig war. Um neuen Ungleichheiten vorzubeugen, darf die erhöhte MGV in 2014 die durchschnittliche an alle KVen entrichtete MGV für 2014 nicht übersteigen. Sollte es damit ab 2017 zu höheren MGV in einzelnen KVen kommen, können die zusätzlichen Mittel über mehrere Jahre verteilt ausgezahlt werden. Die Gelder sollen besseren Versorgungsstrukturen zugutekommen.

Notdienst mit Kliniken

KVen sollen künftig (bisher konnten) den Notdienst auch durch Kooperationen mit zugelassenen Kliniken sicherstellen. Sie sollen zudem mit den Landesapothekerkammern, wegen des Notdienstes der Apotheker, sowie den Rettungsleitstellen zusammenarbeiten. Ob und inwieweit sich die Notfallversorgung verbessert, will der Gesetzgeber beobachten. Dabei wird es vor allem darum gehen, dass sich ein erheblicher Teil der Notfallversorgung in die Klinikambulanzen verlagern wird, während vertragsärztliche Praxen geschlossen sind. Entsprechend wollen Bund und Länder derzeit mit der Klinik-Reform die Vergütung entsprechender Vorhaltungen und Leistungen der Krankenhäuser neu ordnen.

Zweitmeinung

Mit dem VSG erhalten Versicherte den Anspruch, vor einem planbaren Eingriff eine zweite Meinung einzuholen. Ärzte müssen ihre Patienten über diese Option und entsprechende Informationsangebote aufklären.

Für eine Zweitmeinung kommen Ärzte aber nur infrage, wenn sie über langjährige fachärztliche Expertise in einem Fachgebiet verfügen, das für die Indikation zum Eingriff maßgeblich ist. Zudem müssen sie Kenntnisse über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung zur jeweiligen Diagnostik, Therapie sowie Alternativen besitzen. Zunächst soll aber der G-BA festlegen, für welche planbaren Eingriffe der Anspruch auf Zweitmeinung gilt und welche eingriffsbezogenen Anforderungen Leistungserbringer zusätzlich vorweisen müssen. Berechtigt sind zugelassene Ärzte, MVZ, ermächtigte Ärzte/Einrichtungen sowie zugelassene Krankenhäuser. Zudem können zum Beispiel privatärztlich tätige Ärzte zur Erbringung von Zweitmeinungen ermächtigt werden.

Ausblick

Das VSG sieht ein Bündel von Maßnahmen vor, um allen Patienten, unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer Erkrankung, eine qualitativ hochwertige Versorgung zugänglich zu machen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die neuen Regelungen tatsächlich auswirken und welche Maßnahmen wirklich ihr Ziel erreichen: die Versorgung zu stärken.

Buchtipp: „Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) – Was ändert sich für Ärzte, Krankenhäuser und Patienten?“, ISBN 978-3-86216-217-8.

Alle Serienteile zum Nachlesen auch unter www.medizinundmedien.eu

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