Das telefonische Leitsystem von 112 und 116 117 soll in die richtige Versorgungsebene leiten. Quelle: BMG
Zeitplan: noch 2020 verabschiedet
Dieses Szenario skizziert der Referentenentwurf für die Notfallreform, den das Gesundheitsministerium zu Jahresbeginn vorgelegt hat. Ziel des lang diskutierten Gesetzes – bereits im Juli 2019 hatte Ressortchef Jens Spahn (CDU) den Ländern einen Arbeitsentwurf zukommen lassen – ist es, die in vielen Teilen der Republik überfüllten Notfallambulanzen zu entlasten. Das Gesetz soll laut Ministerium bis Ende 2020 verabschiedet werden. “Danach regelt zunächst der Gemeinsame Bundesausschuss die Details.” Gegen Jahresende könnte nach der aktuell durch Corona bedingten Ruhe damit der sprichwörtliche “Sturm” kommen.
Ärzte stellen Versorgung 24/7 sicher
Dass die Notfallreform der Zukunft noch nicht in Stein gemeißelt ist und – auch aus hausärztlicher Sicht (s. Kommentar) – an vielen Stellen Klärungsbedarf besteht, zeigt auch der bisher dynamische Entstehungsprozess. So hatte das Gesundheitsministerium zuletzt kräftig nachjustiert: Der Sicherstellungsauftrag für die sprechstundenfreien Zeiten war zunächst den Ländern zugesprochen worden – wofür Spahn kräftige Kritik geerntet hatte. Im nun vorliegenden Entwurf sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) wieder zuständig; die Länder bleiben verantwortlich für den Rettungsdienst. So sollen beispielsweise auch die neu aufzubauenden INZ von den KVen und den Krankenhäusern gemeinsam “unter fachlicher Leitung der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung” betrieben werden. Der Sicherstellungsauftrag soll dahingehend geändert werden, dass dieser 24 Stunden an sieben Tagen die Woche gilt – auch für Vertragszahnärzte.
Die Notfallzentren sollen außerhalb der Budgets der Kassenärzte finanziert werden; die Notfallrettung per Krankenwagen, die bislang in der finanziellen Verantwortung der Länder liegt, soll künftig zum Teil Leistung der Krankenkassen sein.
Notfallzentren hausärztlich besetzen?
Dabei zeigt sich gerade mit Blick auf die INZ, die nach dem “Ein-Tresen-Prinzip” arbeiten sollen, noch Klärungsbedarf. Denn diese sollen nur an ausgewählten Kliniken eingerichtet werden. Wo Standorte entstehen, wird unter Beachtung der Planungsvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) auf Landesebene festgelegt. Hierüber entscheiden die erweiterten Landesausschüsse, in denen jeweils Kassen, KV und Landeskrankenhausgesellschaft vertreten sind. Gerade im Sinne einer besseren Steuerung wird dabei mitzudenken sein, wie Patienten für diese Standorte auch mit Blick auf die Praxisöffnungszeiten zu sensibilisieren sind – und was mit Menschen passiert, die sich an Kliniken ohne INZ wenden. Denn letztere sollen zwar nur noch das halbe Honorar erhalten, wenn sie Patienten ambulant behandeln. Dies wiederum könnte aber Anreiz für eine stationäre Aufnahme sein.
Wie die INZ – auch personell – ausgestattet werden sollen, soll der G-BA festlegen. Im Zuge der Diskussion um die Notfallversorgung der Zukunft war dabei immer wieder das Ideal skizziert worden, in möglichst großen Teilen von hausärztlicher Kompetenz zu profitieren. Doch Hausärztinnen und Hausärzte sind schon heute in der Versorgung gefragt.
Auch vor diesem Hintergrund haben der Deutsche Hausärzteverband und andere Ärztevertreter schon früh gemahnt, dass bei der Reform auf bestehende, funktionierende Strukturen aufgebaut werden müsse anstatt neue Schnittstellen und Doppelstrukturen zu schaffen (s. Kommentar).
112 und 116 117 wachsen zusammen
Dies gilt auch für das sogenannte Gemeinsame Notfallleitsystem (GNL) von 112 und 116 117. Es soll nach einheitlichen Vorgaben entscheiden, ob eine Notfallversorgung vor Ort, eine Rettungsfahrt, eine telemedizinische Behandlung oder ein Hausbesuch durch einen ärztlichen Bereitschaftsdienst notwendig ist (s. Abb.). Dies soll explizit durch “digitale Vernetzung” unterstützt werden, heißt es im Entwurf. Einmalig 25 Millionen Euro sind als Anschaffungskosten für Softwarelösungen für Leitstellen der 112 vorgesehen. Auch hier zeigt sich jedoch eine deutliche Änderung zum ersten Arbeitsentwurf: Während dieser noch eine Verpflichtung zur Kooperation der verschiedenen Akteure vorgesehen hatte, ist dies nun lediglich als Ziel einer “umfassenden Kooperation” festgehalten.
Fazit
Bis Ende 2020 soll die Reform der Notfallversorgung verabschiedet sein; bei Redaktionsschluss lag der Referentenentwurf vor.
Zentrales Element ist die Steuerung von Notfallpatienten, etwa durch die Triage in Integrierten Notfallzentren (INZ) an ausgewählten Kliniken oder durch eine Zusammenarbeit der weiter eigenständig bestehenden 112 und 116 117. Die KVen erhalten einen 24/7-Sicherstellungsauftrag.
Der Deutsche Hausärzteverband warnt insbesondere vor dem Entstehen von Doppelstrukturen und wird das parlamentarische Verfahren weiter eng begleiten.
Kommentar: Es dürfen keine Doppelstrukturen entstehen
Tjarko Schröder, Gesundheitspolitik, Deutscher Hausärzteverband
Als ersten Gesetzentwurf in diesem Jahr legte das Bundesgesundheitsministerium die Reform der Notfallversorgung vor. Aber während in den letzten Wochen, auch durch die Corona-Pandemie bedingt, etliche Gesetzesvorhaben beschlossen und Verordnungen erlassen wurden, ist es um die Notfallversorgung ruhig geworden.
Der Deutsche Hausärzteverband hat sich in weiten Teilen kritisch zur geplanten Reform geäußert, vor allem zu den Regelungen für die geplanten Integrierten Notfallzentren (INZ).
Schon früh warnten wir, dass durch die parallele Versorgung mit den INZ während der Praxisöffnungszeiten die Patienten aus den Praxen dorthin weggesteuert werden und so Doppelstrukturen entstehen könnten. Die feste Zuständigkeit des Hausarztes für seine Patienten ist aber für die Versorgung von enormer Bedeutung – mal ganz abgesehen von dem zusätzlichen Aufwand an Personal und Kosten.
Nach wie vor ist zudem unbeantwortet, woher die Ärztinnen und Ärzte zur Besetzung der INZ kommen – insbesondere, wenn diese rund um die Uhr betrieben werden sollen. Ein Abzug von Hausärzten aus den eigenen Praxen kann nicht gewollt sein.
Doch wohin geht die Reise? Nach der Verbändeanhörung im Februar dieses Jahres wurde es still um die Notfallreform. Es steht kein fester Zeitplan, wie es sonst bei solchen Verfahren üblich ist. Im Lichte der Corona-Krise wird die Rolle der Krankenhäuser politisch neu bewertet werden. Die strukturellen Defizite in der Notfallversorgung und der sich daraus ergebende Regelungsbedarf bleiben gleichwohl bestehen. Auch hier hat die Corona-Krise die zentrale Bedeutung der Hausärzte als erste Anlaufstelle der Versorgung unterstrichen. Immerhin waren sie es, die einen Schutzwall vor der Überlastung der Kliniken bildeten.
Es ist vieles offen, aber der Verband wird das Verfahren auch weiterhin im Auge behalten und im Sinne der Hausärztinnen und Hausärzte begleiten.
Link-Tipp: Die Stellungnahme des Deutschen Hausärzteverbands zur Reform: www.hausarzt.link/yiTct