Seit März breitet sich in den USA das Vogelgrippevirus Influenza A/H5N1 (Klade 2.3.4.4b) in Milchkühen aus. Aktuell sind 138 Herden in zwölf Bundesstaaten von H5N1-Infektionen betroffen, diese Woche ist der vierte Fall eines infizierten Farmarbeiters bekannt gegeben worden. Das berichtet das “Science Media Center”.
Laut der US-Gesundheitsbehörde CDC ist die betroffene Person mild erkrankt und hat lediglich Symptome einer Konjunktivitis, eine Therapie mit Oseltamivir sei eingeleitet worden. Vermutlich wurde die Augeninfektion durch eine Schmierinfektion verursacht und nicht wie bei Influenza üblich über die Atemwege: “Das könnte zu den relativ milden Verläufen führen”, erklärte der Virologe Professor Leif Erik Sander bei einem Pressegespräch.
Bei Milchkühen war der Indexfall offenbar eine sehr seltene einzelne Übertragung des Virus aus einem Vogel auf das Rind. Einzig das Eutergewebe des Rinds scheint laut Friedrich-Loeffler-Institut hoch empfänglich für das Virus zu sein. Daher werde ein zufallsabhängiger, direkter Eintrag von virushaltigem Material (kontaminierte Einstreu o. ä.) in den Euter einer Milchkuh im Norden von Texas als Startpunkt vermutet. Die weitere Übertragung innerhalb einer Milchviehherde seien vermutlich durch kontaminiertes Melkgeschirr erfolgt.
Virus kursiert seit Jahrzehnten
Bei H5N1 handelt es sich nicht um ein neues Virus: Es zirkuliert seit Jahren in verschiedenen Varianten verstärkt unter Vögeln – zunächst im asiatischen Raum, mittlerweile nahezu weltweit. Nach Angaben des Health Alert Network des CDC sind seit 1997 über 900 Menschen an durch H5N1 hervorgerufener aviärer Influenza erkrankt, wobei etwa die Hälfte der Infizierten verstorben ist.
Die Erkrankungen traten laut CDC bisher in 23 verschiedenen Ländern auf. Seit 2015/2016 seien die Erkrankungszahlen stark zurückgegangen, seit 2020 wurden deutlich weniger Fälle gemeldet. Seit 2022 ist der Behörde zufolge weltweit nur noch eine geringe Zahl sporadischer Fälle gemeldet worden.
Die Letalität bei einer H5N1-Infektion ist hoch. “Das liegt daran, dass diese Viren nur die tiefen Abschnitte der menschlichen Lunge befallen können und es dann zu schweren Entzündungen der Lunge führen kann”, so Sander. Die Verläufe der Vogelgrippe beim Menschen variieren zwischen sehr milden Erkrankungen mit Konjunktivitis und leichten Atemwegssymptomen und kritischen Erkrankungen bis hin zum Multiorganversagen, berichtet das Online-Portal Deximed in seinem aktuellen Newsletter.
Mensch-zu-Mensch-Übertragung möglich?
Die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC schätzt die Übertragung von infizierten Wildvögeln auf Säugetiere als möglichen ersten Schritt der Anpassung von H5N1 an neue Wirte ein, wobei bisher weltweit keine fortgesetzte Mensch-zu-Mensch-Übertragung festgestellt wurde.
Ob dies möglich sein könnte, hat eine aktuell veröffentlichte Studie untersucht. Das Forschungsteam prüfte dabei im Säugetiermodell, ob H5N1 von Tier zu Tier übertragen werden kann und infizierte dazu Mäuse und Frettchen mit aus Kuhmilch isolierten H5N1-Viren.
Das Virus konnte sich in den Versuchstieren vermehren und infizierte in weiblichen Tieren auch deren Milchdrüsen. Beim Säugen übertrugen diese das Virus anschließend auf ihre Nachkommen. Die Autorinnen und Autoren untersuchten zudem, ob eine Übertragung durch Tröpfcheninfektion der Atemwege bei Frettchen möglich ist, berichteten hier aber über eine lediglich sehr begrenzte Übertragung.
In weiteren in-vitro-Rezeptorbindeversuchen stellte das Team zudem fest, dass das Virus aus Kühen an einen Sialinsäure-Rezeptor binden kann, der in den oberen Atemwegen des Menschen zu finden ist. Ob das Virus aber tatsächlich auch im Gewebe und nicht nur in Rezeptorbindeversuchen an Sialinsäure-Rezeptoren binden kann, ist aber unklar.
„Die Versuche an Mäusen ergaben, dass unter den gewählten Versuchsbedingungen eine Übertragung von der Mutter auf ihre Jungen sehr wahrscheinlich ist, nicht aber eine Übertragung auf erwachsene Tiere”, betont Martin Schwemmle vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Freiburg in einer Mitteilung des Science Media Center. Die Ergebnisse der Studie zeigten zudem klar, dass das Virus nicht in relevantem Maße zwischen Frettchen übertragen werde.
Es gibt zugelassene Impfstoffe
Unvorbereitet steht der Mensch dem Virus indes nicht gegenüber: Im Fall einer Vogelgrippe-Pandemie könnten Impfstoffe für Menschen nach Einschätzung von Leif Erik Sander rasch zur Verfügung stehen. “Wir haben Impfstoffe, die zugelassen sind, die in dem Moment, in dem ein Virus eine Pandemie auslöst, sehr schnell angepasst werden könnten.”
In der Europäischen Union sind mehrere pandemische H5N1-Impfstoffe zugelassen, diese sind reglementiert und nur im Rahmen von nationalen Impfplänen einsetzbar. Zudem ist für eine ganze Reihe von Unternehmen die Entwicklung von Impfstoffen gegen neue Grippevirenstämme Routine, Impfstoffe könnten daher rasch an ein pandemisches H5N1-Virus angepasst werden.
Für Menschen in Deutschland besteht Sander zufolge derzeit kein Grund zur Sorge. “Momentan gibt es noch keine Veranlassung, Menschen aktiv zu impfen”, sagte Sander und ergänzte: “Es geht nicht darum, die Sorge zu verbreiten, dass eine Pandemie unmittelbar bevorsteht. Man sollte aber alles machen, um vorbereitet zu sein.”
Auch RKI, ECDC und CDC schätzen das Risiko durch H5N1 für die Bevölkerung in Deutschland, Europa und den USA weiter als niedrig ein, wie Deximed berichtet. Grundsätzlich sollten keine kranken oder verendeten Wildtiere und Wildvögel angefasst werden.
In Finnland werden Risikopersonen geimpft
Für wen eine Impfung infrage kommt, hänge ganz vom Szenario ab, so Leif Erik Sander. Wenn es in Deutschland größere Ausbrüche bei Nutztieren gebe, könnte man überlegen, die Mitarbeiter der Betriebe vorsorglich zu impfen. Sinnvoll sei auch die Entwicklung von Impfstoffen für Tiere.
In Finnland, wo es zuletzt mehrere H5N1-Ausbrüche in Nerzfarmen gab, können aktuell bereits Menschen aus bestimmten Risikogruppen gegen H5N1 geimpft werden, etwa Personen, die auf Pelztier- oder Geflügelfarmen arbeiten, Tierärztinnen und Tierärzte oder auch Personen, die an der Entsorgung kranker Vögel oder anderer Tiere beteiligt sind. H5N1-Infektionen beim Menschen hat es in Finnland bisher nicht gegeben.
(mit Material von dpa)