Einblicke in die neue Reizdarm-Leitlinie
Die S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom wurde komplett überarbeitet. Hinzugekommen ist bei der Labordiagnostik die Empfehlung, immer auch Zöliakie-Antikörper und Calprotektin im Stuhl als Biomarker für eine mögliche chronisch entzündliche Darmerkrankung mitzubestimmen, wie Prof. Peter Layer, Hamburg, berichtete. Bei anhaltender Diarrhö muss immer eine umfassende Diagnostik erfolgen, weil dann in mehr als der Hälfte der Fälle eine andere, behandelbare Ursache zugrunde liegt, beispielsweise Laktose-Intoleranz, Zöliakie oder Morbus Crohn.
Dominiert nicht die Diarrhö die Reizdarmbeschwerden und liegen keine Hinweise auf organische Ursachen vor, sollte die weiterführende Diagnostik nach individuellen Kriterien erfolgen, einerseits nach Schwere, Dauer und Dynamik der Symptome, andererseits nach Alter, Persönlichkeit und Besorgnisgrad des Patienten. Obligat sieht die Leitlinie vor, dass Rektum- oder Sigmakarzinom, Ovarialkarzinom, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen und Zöliakie auszuschließen sind. Bei etwa 90 Prozent der Patientinnen mit Eierstockkrebs treten beispielsweise Reizdarmbeschwerden als erstes Symptom des Malignoms auf. In jedem Fall sollte die Diagnose Reizdarm so umfassend gesichert werden, dass eine Wiederholungsdiagnostik vermieden wird. Die Therapie ist immer probatorisch. “Man weiß vorher nicht, was wirkt und was nicht”, betonte Layer. Wichtig ist die supportive Patientenführung – der Patient sollte sich ernst genommen fühlen. Es ist hilfreich, ein plausibles Krankheitsmodell anzubieten, beispielsweise die Barrierestörung oder eine Dysfunktion des enterischen Nervensystems.
Wende bei der Organspende?
Die Zahl der Menschen, die einer Organspende im Falle ihres Todes zugestimmt haben, ist in Deutschland relativ niedrig, die Zahl der realisierten Organspenden hinkt nach dem EUROTRANSPLANT-Register vielen anderen und bevölkerungsärmeren Ländern hinterher. 2017 sind 99 Menschen auf der Warteliste für eine Transplantation verstorben. Prof. Christian P. Strassburg, Bonn, vermutet zusätzlich eine erhebliche Dunkelziffer bei Personen, die von Ärzten gar nicht erst auf die Liste gesetzt wurden, weil sie keine Chance haben, ein Organ zu erhalten.
Als ersten Schritt in die richtige Richtung wertete er die im Februar dieses Jahres verabschiedete Änderung des Transplantationsgesetzes. Unter anderem wurde festgelegt, dass es in den Entnahmekrankenhäusern mit einem Schlüssel von 0,1/Intensivbett Transplantationsbeauftragte geben muss. Zudem gibt es neugestaltete Vergütungsregeln für die Organentnahme. Damit werden die Rahmenbedingungen besser, aber Strassburg forderte weitere Schritte und eine Diskussion ohne Denkverbote. Das betreffe auch die Organspende von “expanded criteria donor” (ECD), die bisherigen Spenderkriterien nicht entsprechen, oder Patientenverfügungen, die eine Organspende ausschließen, obwohl die Menschen eigentlich einer Organspende zugestimmt haben. Bei der Lebensspende gilt es zu überprüfen, ob Überkreuz- und Kettenspenden sowie altruistische Organspenden zugelassen werden. Weitere schwierige Fragen betreffen beispielsweise die Therapie am Spenderorgan oder die Organspende nach dem Herztod. Sehr begrüßte Strassburg die Diskussion zur Widerspruchslösung und hofft sehr, dass die fraktionsoffene Abstimmung im Bundestag dieser Lösung den Weg ebnet.
Intervallfasten nicht besser
Das Basisprogramm zur Adipositastherapie ist die Kombination von Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapien. Zur Gewichtsreduktion ist derzeit das Intervallfasten in Mode gekommen. Bei einer zwölfwöchigen Diät mit einer zweimal wöchentlich um 25 Prozent reduzierten Energieaufnahme nehmen Übergewichtige zwar kurzfristig etwas mehr ab als bei einer täglich 20-prozentigen Restriktion. Nach 50 Wochen ist der Unterscheid aber verschwunden, berichtete Dr. Clarissa Schulze zur Wiesch aus Hamburg. Die Adipositas-Leitlinie empfiehlt ein tägliches Energiedefizit von 500 kcal, egal ob durch Fett- oder Kohlenhydratreduktion oder beidem.
Entnervter Darm
Bei einer Reihe von funktionellen Darmmotilitätsstörungen gibt es inzwischen auch histopathologische Korrelate. So kann beim Megakolon eine teilweise oder bei Morbus Hirschsprung eine fast völlig Denervierung im Darm auftreten, wie Prof. Dr. Tilo Wedel von der Universitätsklinik Kiel berichtete. Auch bei Slow-Transit-Obstipation lässt sich eine Reduktion von Nervenzellen feststellen, während histopathologische Erklärungen für das Reizdarmsyndrom weiterhin nicht überzeugend sind.
Chronisch Leberkranke zur Koloskopie
Patienten mit chronischen Lebererkrankungen sollten zehn Jahre früher zur Vorsorgekoloskopie als ihre lebergesunden Geschlechtsgenossen. Nach einer beim Viszeralmedizinkongress preisgekrönten retrospektiven Untersuchung von Amelie Troschel und Kollegen von der Universität Münster haben sie ein deutlich erhöhtes Risiko für Polypen, Adenome und Hochrisiko-Herde im Darm [Troschel A et al. United European Gastroenterol J 2019; 7(5): 662-672]. Das gegenüber Lebergesunden erhöhte Risiko für Polypen und Krebsvorstufen wurde unabhängig von dem Vorhandensein einer Leberzirrhose und über alle Altersstufen hinweg beobachtet.
Krebsvorsorge aus dem Blut?
2030 wird die rein diagnostische Screeningkoloskopie zugunsten von Tests aus Blut und anderen Körperflüssigkeiten verschwunden sein, glaubt Prof. Dr. Thomas Seufferlein von der Universitätsklinik in Ulm. So erreichte der für die Detektion eines kolorektalen Karzinoms (KRK) entwickelte GLYCOCHIP kombiniert mit der Tumormarker-Analyse mit dem ONCOCHIP bei der Erkennung eines KRK jeden Stadiums eine Sensitivität von 88 Prozent und eine Spezifität von 98 Prozent und damit eine Genauigkeit wie die Koloskopie.