Definition
- Ausgeprägte, schmerzhafte und unwillkürliche Kontraktion eines Teils oder der Gesamtheit eines Muskels oder einer umschriebenen Muskelgruppe, die mit einer tastbaren Verhärtung einhergeht, über Sekunden bis Minuten andauert und selbstlimitierend ist
Häufigkeit
- Junge Erwachsene: Vereinzelte nächtliche Muskelkrämpfe bei mehr als 90 Prozent
- Menschen über 65 Jahren: Regelmäßige Muskelkrämpfe (mindestens einmal pro Woche) bei 33–50 Prozent
Manifestation
- Oft in Ruhe und während der Nacht
- Überwiegend an den Muskeln der Wade und des Fußgewölbes
Ursachen
- Meist keine erkennbare Ursache
Differenzialdiagnosen
- Symptomatische Muskelkrämpfe
- Mögliche Ursachen:
- Körperliche Arbeit, sportliche Belastung, starkes Schwitzen, Salzverlust
- Schwangerschaft
- Hypovolämie, hypotone Dehydratation (Hyponatriämie) und unter der Hämodialyse
- Erkrankungen des zweiten Motoneurons (Mono- und Polyneuropathien), radikuläre Läsionen, Zustand nach Poliomyelitis, amyotrophe Lateralsklerose, neuronale Tumore
- Schilddrüsenfunktionsstörung, Hypoparathyreoidismus, Morbus Addison
- Leberzirrhose
- Alkohol
- Medikamente (Betasympathomimetika, Betablocker, Cholinergika/Acetylcholinesterasehemmer, Kalziumantagonisten, Statine, Diuretika)
- Hereditäre Belastung (sehr selten)
- Schmerzhafte Muskelkontraktionen anderer Genese
- Zentrale Störungen der Motorik
- Störungen der spinalen Inhibition
- Störungen des motoneuronalen Membranpotenzials, z.B. durch Hypokalzämie, Hypomagnesiämie
- Syndrome der neuronalen Hyperexziabilität
- Myogene Überaktivität, beispielsweise Hypothyreose, metabolische Myopathien
- Ischämischer Muskelschmerz
Diagnose
- Anamnese
- Provokationssituation
- Familienanamnese
- Medikamente
- Klinische Untersuchungen
- Neurologischer Status hinsichtlich potenzieller Ursachen der Krämpfe
- Laboruntersuchungen
- Elektrolytwerte inklusive Kalzium und Magnesium
- Nieren- und Leberwerte
- Blutzucker
- Schilddrüsenhormone
- Kreatinkinase
- Weiterführende Diagnostik
- Blutuntersuchungen: Kortisol und Aldosteron, Serumlaktat, Autoantikörper gegen neuronale Bestandteile
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Elek-tromyografie, Neurografie
- Funktionsuntersuchungen: Ischämie-Arbeitstest, Beindurchblutung (Dopplersonografie
Therapie
Physiotherapie
- Bei akuten Krämpfen Dehnung der verkrampften Muskulatur und/oder Anspannung der Antagonisten der betroffenen Muskeln
- Bei nächtlichen Wadenkrämpfen regelmäßige passive Dehnübungen der Wadenmuskulatur
Medikamentöse Therapie
- Chininsulfat oder Hydrochinin 200–400 mg
- Indiziert nach Ausschluss behandelbarer Ursachen und nur bei sehr schmerzhaften oder häufigen Muskelkrämpfen, bei regelmäßiger Störung des Nachtschlafs durch die Muskelkrämpfe und bei Wirkungslosigkeit physiotherapeutischer Maßnahmen
- Strenge Indikation bei Niereninsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und Störungen der Endplattenfunktion
- Kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
- Vor der Verordnung Behandlungsversuch mit Magnesium durchführen
- Seltene, aber potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen (Störungen der Gerinnung, vor allem immunologisch vermittelte Thrombozytopenie) beachten
- Komedikation beachten, das bedeutet gleichzeitige Behandlung mit Arzneimitteln, die die QT-Zeit verlängern, z.B. Antiarrhythmika Klasse Ia/III, Neuroleptika, oder die Blutgerinnung beeinflussen, vermeiden
- Behandlung alle drei Monate neu bewerten
- Behandlung beenden, wenn sich innerhalb von vier Wochen keine Besserung der Krämpfe zeigt
- Aufklärung des Patienten über Zeichen einer Gerinnungsstörung
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
Reduktion des Risikos belastungsabhängiger Krämpfe
- Dehnungsübungen vor der Belastung
- Anpassung der körperlichen Leistung und des Trainings
- Massagen nach der Belastung
Schwangerschaft
- Magnesium
Bei dialyseassoziierten Krämpfen
- Volumensubstitution
Quelle: S1-Leitlinie Crampi/Muskelkrampf, 2017