Serie "Seltene Erkrankungen"Seltene im Fokus: Lambert-Eaton-Syndrom

Das Lambert-Eaton-Syndrom, auch als Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS) bekannt, ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigt und bei Betroffenen Schwäche auslöst.

Beim Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom kommt es zu einer gestörten Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln.

Definition

Bei LEMS handelt es sich um eine präsynaptische Störung, bei der das Immunsystem blockierende Antikörper gegen spannungsabhängige Kalziumkanäle (VGCC, P/Q-Typ, bei mehr als 85 Prozent der LEMS-Fälle nachweisbar) an den präsynaptischen Nervenendigungen bildet. Dies führt zu einer verminderten Freisetzung von Acetylcholin und somit zu einer gestörten Signalübertragung zwischen Nerven und Muskeln.

Das LEMS gehört mit der klassischen Myasthenia gravis (MG) zu den häufigsten Entitäten innerhalb der Gruppe der neuromuskulären Übertragungsstörungen; ist aber deutlich seltener als die MG, bei der Antikörper gegen den postsynaptischen Acetylcholinrezeptor-Komplex ursächlich sind – dafür jedoch deutlich häufiger als die MG paraneoplastischer Genese.

Nach ICD wird die Erkrankung kodiert als G73.1 (paraneoplastisch) bzw. G70.8 (idiopathisch) in der ICD10 bzw. (voraussichtlich) 8C62 in der ICD11. Die Prävalenz des LEMS weltweit beträgt ca. 2-4 Betroffene auf 1 Million Menschen. Bei der paraneoplastischen Form sind mehr Männer als Frauen betroffen (parallel zur Geschlechtsverteilung der Raucher), an der nicht-paraneoplastischen “idiopathischen” Form leiden etwas mehr Frauen.

Symptome

Das Lambert-Eaton-Syndrom entwickelt sich typischerweise nach dem 40. Lebensjahr. Die Symptome entstehen perakut und können variieren. Typisch sind:

  • Muskelschwäche: Vor allem in der proximalen Extremitätenmuskulatur, meist beinbetont, sodass typischerweise das Aufstehen aus dem Sitzen oder das Treppensteigen erschwert ist. Die Sehnenreflexe sind oft abgeschwächt oder nicht auslösbar. Typisch ist ein Kraftinkrement: eine Verbesserung der Muskelkraft durch wiederholte Muskelanspannung. Dies steht im Gegensatz zur Myasthenia gravis, für die ein Dekrement (Abnehmen) typisch ist.
  • Okuläre (Ptose, Doppelbilder) oder bulbäre Symptome (Dysarthrie / Dysphagie) sind seltener als bei der Myasthenia gravis und treten erst im Verlauf hinzu.
  • Muskelschmerzen und -krämpfe: Betroffene berichten häufig über schmerzhafte Muskelkrämpfe.
  • Autonome Störungen: Nachdem dem LEMS eine präsynaptische Störung der Acetylcholinausschüttung zu Grunde liegt, ist auch der cholinerge Schenkel des autonomen Systems betroffen. Mundtrockenheit, Erektionsstörungen, Verstopfung oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen sind daher typisch.
  • Müdigkeit: Eine allgemeine Erschöpfung und schnelle Ermüdung sind häufig – und oft ein erstes unspezifisches Zeichen.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen des Lambert-Eaton-Syndroms sind nicht geklärt. Bei der idiopathischen Form ist wohl eine (genetisch determinierte) Suszeptibilität gegenüber Autoimmunerkrankungen entscheidend. Bei der häufigeren paraneoplastischen Form wird eine hohe Expression von VGCC-Kanälen auf den Tumorzellen, die im Rahmen der Tumorabwehr eine Immunisierung gegen VGCC hervorruft, als zentraler Pathomechanismus angenommen. Risikofaktoren sind daher:

  • maligne Tumore: ca. 60 Prozent der Fälle, vor allem in höherem Lebensalter sind mit malignen Tumoren assoziiert, vor allem dem kleinzelligen Lungen-Karzinom (SCLC). Rauchen ist entsprechend ein indirekter Risikofaktor. Seltener assoziierte Tumorentitäten sind Thymome und Lymphome. Ein LEMS kann sich auch auf eine Tumortherapie mit Checkpoint-Inhibitoren entwickeln!
  • Die Diagnose des LEMS geht der Entdeckung des SCLC häufig 1-2 Jahre voraus. Klinische Hinweise für eine paraneoplastische Genese sind Alter > 50 Jahre, Rauchen, Gewichtsverlust, frühes Einsetzen bulbärer Symptome und ataktische Symptome. Der sogenannte Delta-P-Score kann den Verdacht auf einen (okkulten) SCLC als Auslöser erhärten (s. Kasten unten).
  • Genetische Prädisposition: Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen könnten. Dies trifft insbesondere auf familiäre Autoimmunerkrankungen zu.
  • Autoimmunerkrankungen: Personen, die bereits an anderen Autoimmunerkrankungen leiden, haben möglicherweise ein erhöhtes Risiko für ein LEMS.

Untersuchungen und Diagnose

Die Diagnose des Lambert-Eaton-Syndroms basiert auf einer Kombination von klinischen Befunden, elektrophysiologischen Tests und Laboruntersuchungen:

  • Klinische Untersuchung: Beurteilung der Muskelkraft und Muskeleigenreflexe; Hinweis auf ein Kraftinkrement (z. B. beim Handgeben oder im Manometertest / Dynamometertest) und Suche nach Anzeichen autonomer Dysfunktionen.
  • Elektrophysiologische Untersuchung: diese ist entscheidend zum Nachweis des krankheitstypischen Inkrements. Die früher übliche repetitive Nervenstimulation mit einer Stimulationsfrequenz von 30/s, die sehr schmerzhaft ist, wurde bei wachen / kooperativen Patienten zugunsten des sogenannten Kimura-Tests verlassen (s. Abb.). Bei diesem wird ein Dekrement durch ein Ansteigen des Muskelsummenpotenzials nach willkürlicher Maximalinnervation nachgewiesen.
  • Laboruntersuchungen: Nachweis von Antikörpern gegen spannungsabhängige Calciumkanäle VGCC (P/Q-Typ) im Serum. Der zusätzliche Nachweis von SOX-1-Antikörpern gilt als Hinweis auf ein paraneoplastisches LEMS. Ein Screening auf begleitende Autoimmunerkrankungen (z.B. Schilddrüse) kann erwogen werden.
  • Tumor-Screening / Bildgebung: CT (Thorax); bei negativem Befund FDG-PET.

Differenzialdiagnosen

LEMS-Patienten werden primär häufig fehldiagnostiziert. Typische Differenzialdiagnosen sind die Myasthenia gravis, das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) oder dessen chronische Form (CIDP), die amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine (lumbale) Spinalkanalstenose, – oder auch jedwede “funktionelle Störungen”.

Behandlung

Die Behandlung des Lambert-Eaton-Syndroms zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die zugrunde liegende Ursache zu behandeln.

Zur symptomatischen Therapie (Verbesserung der neuromuskulären Übertragung) werden 3,4-Diaminopyridin/Amifampridin Tabletten verabreicht: Beginn mit 15 mg/d, Steigerung um 5 mg alle 4–5 d, max. 60 mg/d in 3–4(–5) Einzeldosen.

Diaminopyridin ist ein reversibler K+-Kanal-Blocker, der die Öffnung der VGCC verbessert (der bei der Myasthenia gravis typischerweise verwendete Cholinesterasehemmer Pyridostigmin hilft nicht oder allenfalls wenig).

Kontraindikation für die Behandlung mit 3,4-Diaminopyridin ist eine bestehende Epilepsie; Vorsicht ist bei Nieren-/Leberinsuffizienz geboten. Bei ausgeprägter Klinik können IvIg oder Plasmaaustauschverfahren helfen, die die Antikörperlast reduzieren.

Bei einem paraneoplastischem LEMS ist als ursächliche Therapie die Therapie des Tumorleidens entscheidend. Bei “idiopathischem” LEMS und ggf. auch nach Primärtherapie des Tumors ist eine Immuntherapie wie bei der Myasthenia gravis indiziert (u.a. Steroide, Azathioprin, B-Zell depletierende Therapien; Vorsicht: off-label!)

Krankheitsverlauf und Prognose

Der Krankheitsverlauf des Lambert-Eaton-Syndroms hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache ab. Bei nicht-paraneoplastischem LEMS kann die Krankheit stabil und mit einer normalen Lebenserwartung verlaufen.

Bei paraneoplastischem LEMS hängt die Prognose des LEMS wesentlich von der Prognose und Behandlung des zugrunde liegenden Tumors ab. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung des Tumors kann die Symptome des LES erheblich verbessern oder sogar zur Remission führen.

Prävention

Da die genauen Ursachen des Lambert-Eaton-Syndroms nicht vollständig verstanden sind, gibt es keine spezifischen Präventionsmaßnahmen. Die Beachtung von Symptomen, die auf eine neuromuskuläre Störung hinweisen, ist aber wichtig, um eine frühzeitige Diagnose und Behandlung sowohl des LEMS als auch eines möglichen Tumors zu erlauben.

Ist das LEMS diagnostiziert und initial kein Tumor nachweisbar, sind die bildgebenden Screening-Verfahren in den ersten zwei Jahren alle sechs Monate und – bei bestehender Risikokonstellation – weitere drei Jahre jährlich zu wiederholen. Da das LEMS häufig dem expandierenden Tumor vorausgeht, dient dies der Prävention, einen zunächst okkulten, dann aber fortschreitenden Tumor nicht zu übersehen.

Interessenskonflikte: Der Autor hat keinen Interessenkonflikt deklariert.

Quellen:

1. Wiendl H, Meisel A et al. (2022) Diagnostik und Therapie myasthener Syndrome, S2k-Leitlinie, DGN, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (abgerufen am 09.10.2024)

2. Weinberg DH (2024) Lambert-Eaton myasthenic syndrome: Clinical features and diagnosis, www.uptodate.com (abgerufen am 09.10.2024

3. Lipka AF, Verschuuren JJGM. Lambert-Eaton myasthenic syndrome. Handb Clin Neurol. 2024;200:307-325. doi 10.1016/B978-0-12-823912-4.00012-8

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