Wenn das Schäfchenzählen nicht mehr hilft und die dringend benötigte Nachtruhe zur Herausforderung wird: Die Zahl der Schlafgestörten steigt stetig. Ihnen widmete sich die 27. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) vom 7. bis 9. 11.2019 in Hamburg.
Unserem inneren Taktgeber auf der Spur
Im Mittelpunkt der diesjährigen Tagung standen die innere Uhr und aktuelle Erkenntnisse aus der chronobiologischen Forschung. Die noch recht junge Disziplin der Chronomedizin befasst sich mit den im Körper ablaufenden Prozessen des circadianen Systems.
Diese komplexen Vorgänge rücken zunehmend in den Fokus des Interesses, keineswegs nur in der Schlafmedizin. Denn unsere innere Uhr koordiniert fast alles, was im Körper stattfindet. Das breite Spektrum reicht vom Anschalten von Genen und Aktivieren von Stoffwechselprozessen über die Fähigkeit zur Konzentration bis hin zur Steuerung der Wirksamkeit von Medikamenten – um nur einige Aspekte zu nennen.
Angesichts dieser multiplen Funktionen ist es gut verständlich, dass es weitreichende Konsequenzen hat, wenn die innere Uhr falsch tickt. Ist diese aus dem Takt geraten und läuft nicht mehr synchron mit der Tageszeit, spricht die Chronomedizin von einer internen Chronodisruption.
Bleibt diese über einen längeren Zeitraum bestehen, fördert das laut Prof. Dr. Henrik Oster, Direktor des Instituts für Neurobiologie an der Universität zu Lübeck, die Entstehung von Krankheiten: “Auf ihr Konto gehen unter anderem Infekte, Verdauungsstörungen, Adipositas und Typ 2-Diabetes wie auch psychischen Erkrankungen”. Auch die Wirkung von Impfungen kann beeinträchtigt werden. Denn das Immunsystem wird stark durch die circadiane Uhr reguliert. “Schlafen wir zu wenig oder zur falschen Zeit, hemmt dies die Effektivität der Immunantwort”, so Prof. Oster.
Lichtverschmutzung und ihre Folgen
Mit der Entwicklung von künstlichem Licht hat sich die effektiv nutzbare Zeit eines Tages, also unsere Aktivitätsphase, verlängert. Denn Beleuchtung ist allgegenwärtig. So ist es inzwischen nahezu unmöglich, sich in der eigentlichen Dunkelphase des Tages keinem künstlichen Licht auszusetzen. “Auf diese Lichtverschmutzung kann sich unser Körper nur schwer einstellen”, warnt Prof. Oster. Eine Folge dessen ist die Chronodisruption.
Zirkadianes System stabilisieren
Nach den Worten von Prof. Oster belegen zahlreiche Studien, dass eine Stabilisierung des circadianen Systems sehr erfolgreich der Entwicklung von Krankheiten entgegenwirken kann. “Chronomedizinische Ansätze wie Intervallfasten, Lichttherapie oder die noch in der Erforschung befindlichen sogenannten Chronobiologicals können Abweichungen der inneren Uhr wirksam ausgleichen”. Der Lübecker Chronobiologe blickt sehr optimistisch in die Zukunft: “Wir werden für jeden Patienten individuell chronobiologisch optimierte Therapien entwickeln, die das Entstehen einer Krankheit optimal beeinflussen, also das Krankheitsrisiko minimieren können”. Die sogenannte Chronotherapie, die tageszeitlich optimierte Gabe von Medikamenten, wird bereits erfolgreich in der Therapie vieler Volkskrankheiten angewendet.
Behandlung von Insomnien mi Hilfe von Hausärzten verbessern
Als Insomnien gelten Ein- und Durchschlafstörungen, die mindestens einen Monat bestehen und bei den Betroffenen zu einer beeinträchtigten Leistungsfähigkeit oder Befindlichkeit am Tag führen. Fünf bis zehn Prozent der Bundesbürger leiden darunter chronisch über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg. Um deren Lebensqualität zu steigern und das Risiko für psychische und körperliche Folgeerkrankungen zu senken, empfiehlt die DGSM eine Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnien (KVT-I). Sie kann in vier bis acht Sitzungen pro Woche durchgeführt werden und ist sehr wirksam. Leider erhält jedoch nur ein Bruchteil der Betroffenen die KVT-I.
Das Projekt “GET Sleep – Stepped Care Modell für die Behandlung von Schlafstörungen” soll das ändern. Dessen Ziel ist es, die Versorgungsqualität für Insomnie-Patienten mit Hilfe von Hausärztinnen und Hausärzte und einem telemedizinischen Behandlungsangebot auf Basis der KVT-I zu verbessern. Hauptverantwortlicher Initiator dieses Projekts ist Dr. phil. Dr. med. Kai Spiegelhalder, stellvertretender Abteilungsleiter Psychophysiologie und Schlafmedizin Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg.
Auskunftspflicht bei Schlaferkrankungen?
Schlafmedizinische Erkrankungen können das Leistungsvermögen beeinträchtigen. Besonders jene, die Tagesschläfrigkeit, Kataplexie und Restless-Legs-Syndrom verursachen. Diese Einschränkungen müssen dem Arbeitgeber allerdings nicht zwingend mitgeteilt werden. Es sei denn, der Arbeitnehmer ist durch die Symptomatik gefährdet. Dann kann das Verschweigen der Erkrankung eine Kündigung rechtfertigen. Das gilt insbesondere für Berufe mit Fahrgastbeförderung und regelmäßigen Autofahrten wie etwa bei Bus- und Taxifahrern.
Biologische Dunkelheit kann krank machen
Licht und Dunkelheit sind die wichtigsten Taktgeber für das zirkadiane System und beeinflussen damit auch den Schlaf-Wach-Zyklus. In industrialisierten Gesellschaften wie der unseren bekommen die Menschen jedoch zu wenig Tageslicht ab. Vielmehr leben wir überwiegend mit künstlichem Licht – damit befinden wir uns jedoch in biologischer Dunkelheit. Diese verändert laut Dr. Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin im St. Hedwig Krankenhaus Berlin, unsere inneren Abläufe. “Das macht langfristig krank”. Besonders gefährdet sind junge Erwachsene in einer städtischen Umgebung im Winter.