Berlin. Notfallpatienten sollen in Deutschland künftig deutlich weniger Krankenhäuser vorfinden, die offiziell auf eine solche Situation eingerichtet sind. Die verbleibenden Notfallkliniken sollen dafür garantieren, dass sie die Patienten auch angemessen betreuen können.
Das sieht ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen vor, den das Gremium am Donnerstag (19. April) in Berlin fasste. Von den heute 1.748 allgemeinen Krankenhäusern sollen künftig 1.120 entsprechende Zuschläge bekommen. Etwa ein Drittel wird also nicht gefördert. Diese Häuser hätten aber “überwiegend auch in der Vergangenheit keine Notfallversorgung erbracht: Auf diese 36 Prozent der Krankenhäuser entfallen nur circa fünf Prozent der im letzten Jahr behandelten Notfälle”, sagte G-BA-Vorsitzender Josef Hecken.
Um die gestaffelten Zuschläge zu erhalten, müssen die Häuser bestimmte Qualitätskriterien erfüllen. Auf basis des Stufensystems werden Krankenkassen und Krankenhäuser nun die Zu- und Abschläge für die Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Notfallversorgung vereinbaren.
Das Stufenkonzept
Stufe 1: Für die Zuordnung in die Basisnotfallversorgung mindestens über die Fachabteilungen Chirurgie/Unfallchirurgie sowie Innere Medizin am Standort verfügen muss. Die Aufnahme von Notfällen erfolgt überwiegend in einer Zentralen Notaufnahme. Hier wird auf der Grundlage eines strukturierten Systems über die Priorität der Behandlung entschieden und der Notfallpatient spätestens 10 Minuten nach der Aufnahme dazu informiert. Darüber hinaus muss gewährleistet sein, dass die entsprechende Betreuung durch einen Facharzt – bei Bedarf auch durch einen Anästhesisten – innerhalb von maximal 30 Minuten am Patienten verfügbar ist. Für eine möglicherweise angezeigte Intensivbetreuung muss eine Intensivstation mit der Kapazität von mindestens sechs Betten vorhanden sein.
Um die stationäre Notfallversorgung auch in strukturschwachen Regionen zu stärken, werden alle Krankenhäuser, die die Voraussetzungen für den Erhalt von Sicherstellungszuschlägen erfüllen, mindestens als Basisnotfallversorgungskrankenhäuser eingestuft. Sicherstellungszuschläge dienen dazu, in strukturschwachen Regionen eine stationäre Basisversorgung aufrecht zu erhalten.
Darüber hinaus gibt es die Stufe 2 zur erweiterten und Stufe 3 zur umfassenden Notfallversorgung. Diese sind für Schwerverletzte oder Kinder gedacht. Kliniken ohne Notfallstatus müssen künftig – wie bisher schon – finanzielle Abschläge hinnehmen.
Der G-BA-Vorsitzende Josef Hecken nannte es sachgerecht, dass Kranke nach einem Unfall oder Herzinfarkt in einem Notfallkrankenhaus auch die entsprechenden Fachärzte und eine Intensivstation vorfinden. Andere Kliniken könnten die nötige Versorgung eben nicht bringen. Zugleich versicherte Hecken: “Die stationäre Notfallversorgung bleibt bundesweit künftig auch in strukturschwachen Gebieten gesichert.”
Kliniken setzen auf Bundesländer
Der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zufolge nehmen derzeit 1.456 Krankenhäuser an der Notfallversorgung teil, nach der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sind es rund 1.700. Laut DKG könnten “bis zu 700 Akut-Kliniken den Status als Notfallkrankenhaus verlieren”. Sie appelliert daher an die für die Klinikplanung zuständigen Bundesländer, die “teilweise überzogenen Kriterien” des G-BA nicht anzuerkennen. Die Länder können laut G-BA in “Sonderfällen” von den Vorgaben abweichen und Krankenhäuser als “Spezialversorger” ausweisen. Diese gelten dann als besondere Einrichtungen und nehmen budgetneutral an der Notfallversorgung teil.
Das Bundesgesundheitsministerium ist optimistisch: Es wird “keine Schließung von Notaufnahmen oder Krankenhäusern zur Folge haben”. Jedes Krankenhaus sei weiterhin verpflichtet, im Notfall ärztliche Hilfe zu leisten.
Der DKG zufolge haben die Krankenkassen im G-BA dafür gesorgt, diese strikten Kriterien durchzusetzen, um zu sparen. Das stritt der Vizechef des GKV-Spitzenverbands Johann-Magnus von Stackelberg allerdings ab. “Die neue Struktur wird helfen, Leben zu retten”, sagte er. Rettungsfahrer und Patienten wüssten künftig, welche Klinik für welche Notfälle die richtigen Fachärzte, Abteilungen und die notwendigen Geräte vorhält.
Portalpraxen: KBV sieht sich auf gutem Weg
Die KBV stellte schon am Donnerstagvormittag eine eigene Analyse für die Notfallstrukturen an Kliniken vor. „Selbst wenn ausreichend Finanzmittel vorhanden wären, könnte man nicht an jeder Klinik eine Portalpraxis einrichten”, sagte KBV-Vize Stephan Hofmeister. Der Körperschaft zufolge gibt es bereits fast 650 Portalpraxen bundesweit, die an Notaufnahmen der Krankenhäuser angegliedert sind.
Damit 99 Prozent der Deutschen nicht länger als 30 Minuten bis zum nächsten Notfallversorger fahren müssen, müssten bundesweit 736 Praxen an bestehenden Kliniken errichtet werden: also noch 86 mehr als bisher. Im Schnitt müssten die Patienten dann sogar nur 17 Minuten Fahrzeit in Kauf nehmen.
Das geht aus einem Gutachten hervor, das die KBV beim Leibnitz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) beauftragt hat. Könnte man die Zentren unabhängig von Klinikstandorten planen, wären sogar nur 337 nötig. Das Gutachten wertet die Notfallversorgung und den tatsächlichen Bedarf an ortsgebundenen Notfall-Versorgungszentren aus und veranschaulicht dies mit einer Simulationsmodellierung.
Gutachten zur Notfallversorgung im Sommer
Im Sommer werden die Gesundheitsweisen ihr neues Gutachten vorstellen, das als einen Schwerpunkt Empfehlungen für eine neue sektorenübergreifende Organisation der Notfallversorgung abgeben wird. Einen ersten Einblick hatte das Gremium bereits Ende 2017 gegeben. Dieses deckte sich damals bereits in vielen Punkten mit den Ideen von KBv und Marburger Bund.
Quelle: dpa