Berlin. Das Stufenkonzept des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Notfallversorgung in Krankenhäusern erzürnt die Bundesärztekammer (BÄK). Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) soll die Entscheidung schon im April fallen. BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery kritisiert: Es habe zwei Jahre gedauert, „ein einseitig formuliertes und nicht praxistaugliches Konzept vorzulegen”. Die Notfallversorgung neu aufzustellen, sieht er als drängendste Aufgabe der neuen Bundesregierung.
Dafür brauche es aber kein „unausgegorenes” Konzept, wie es derzeit im G-BA beraten und demnächst beschlossen werde, sondern eine „konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Selbstverwaltung”, fordert Montgomery. In einem Schreiben an den G-BA-Vorsitzenden Hecken hat er sich zudem dafür ausgesprochen, die Ergebnisse der Folgenabschätzung abzuwarten, regionale Klinikstrukturen stärker zu berücksichtigen und ein gemeinsames Vorgehen auf der nächsten Gesundheitsministerkonferenz am 20., 21. Juni zu beraten.G-BA muss Stufenkonzept erarbeiten
Der G-BA werde „keine weitere Verzögerungstaktik mittragen”, kontert Hecken, eine Vertagung habe keine Vorteile, sondern „schindet nur Zeit”. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz hatte die Regierung den G-BA beauftragt, erstmals abgestufte Mindeststandards für die Teilnahme von Kliniken an der Notfallversorgung zu definieren. Das Konzept soll Mindestvorgaben zu
- Art und Zahl von Fachabteilungen,
- Zahl und Qualifikation des vorzuhaltenden Fachpersonals
- und zum zeitlichen Umfang der Bereitstellung von Notfallleistungen festlegen.
Nicht mehr jedes Krankenhaus wird künftig also eine Notfallambulanz anbieten können. Klinikvertreter und die BÄK haben daher wiederholt davor gewarnt, zu viele Kapazitäten abzubauen. Daraufhin hat die Regierung mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung (PsychVVG) den G-BA beauftragt, eine Folgenabschätzung zu machen, wie sich das Stufenkonzept regional auf die Klinikstrukturen auswirken würde. Hierzu hat das IGES Institut im Sommer 2017 alle deutschen Krankenhäuser befragt. Das Stufenkonzept muss der G-BA bis Ende 2017 vorlegen, die Zu- und Abschläge für teilnehmende und nicht teilnehmende Kliniken müssen bis 30. Juni 2018 stehen.
Hecken: Kein Grund für „überbordende” Klinikstruktur
Eine „aussagekräftige Folgeabschätzung” fehlt aber laut der BÄK bisher. Diese sei aber „unerlässlich”, damit nicht „dringend notwendige” Kapazitäten abgebaut würden, warnt Montgomery. Die aktuelle Grippewelle unterstreiche dies, denn die Lage in den Ambulanzen habe sich verschärft.
Dies lässt G-BA-Chef Hecken nicht gelten: Dies „kann nicht ernsthaft die Begründung für eine allgemeine und dauerhafte Bettenvorhaltung sein”. Es sei erstaunlich, wie der Bettenvorhalt für Katastrophen herhalten müsse für eine „überbordende stationäre Strukturlandschaft”. Hecken betont, die Ländervertreter waren an allen Beratungen beteiligt und alle relevanten Fachgesellschaften wurden zweimal gehört, „umfangreiche Daten und Analysen” lägen vor.
Gesundheitsweiser: Viele Kliniken sind verzichtbar
Laut dpa sollen Kliniken, deren Intensivstation weniger als sechs Beatmungsbetten umfasst, künftig nicht als Bestandteil der Notfallversorgung geführt werden, erklärte die rheinland-pfälzische Krankenhausgesellschaft am Mittwoch (14. März). Das soll auch gelten, wenn ein Krankenhaus keine zentrale Notaufnahme oder einen Computertomografen hat, der rund um die Uhr verfügbar ist. Gerade kleinere Kliniken hätten diese Möglichkeiten schlicht nicht, warnt die Krankenhausgesellschaft.
Aus dem rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium hieß es dazu, ein G-BA-Beschluss mit den von der Krankenhausgesellschaft befürchteten Folgen sei völlig inakzeptabel. „Aktuell stehen sich verschiedene Folgeabschätzungen eines gestuften Notfallkonzeptes gegenüber”, sagte eine Sprecherin. „Gegenüber dem G-BA werden wir deutlich machen, dass vor einer Beschlussfassung eine ausreichend valide Folgenabschätzung vorliegen muss.”
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats Prof. Ferdinand Gerlach erklärte zu den Befürchtungen kürzlich, er halte viele Krankenhäuser für verzichtbar. Ein Gesundheitszentrum mit Haus- und Fachärzten oder eine Tagesklinik seien oft sinnvoller als ein kleines Krankenhaus. „Die Medizin wird zunehmend ambulanter und das ist gut so.” Für Patienten sei es oft besser, „etwas weiter in ein spezialisiertes Krankenhaus zu fahren als ins nächstbeste zu gehen”.
Das Thema sorgt nicht nur für Diskussion, weil die neue Bundesregierung hier die Strukturen verändern will. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Zur Verbesserung der Notfallversorgung wird eine gemeinsame Sicherstellung der Notfallversorgung von Landeskrankenhausgesellschaften und Kassenärztlichen Vereinigungen in gemeinsamer Finanzierungsverantwortung geschaffen. Dazu sind Notfallleitstellen und integrierte Notfallzentren aufzubauen.” Am Mittwoch veranstaltete auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) ein Praxisforum zum Thema in Berlin.
Neuer Sektor für Notfallversorgung wird abgelehnt
Dort zeichneten sich erste gemeinsame Linien von MB und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) ab: So ist unstrittig, dass eine einheitliche Triage die Patienten in die für sie richtige Versorgungsebene leiten soll, damit sich Ärzte um die Patienten kümmern können, die auch wirklich ein Notfall sind. Einig sind sich KBV und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), dass kein „dritter Sektor” geschaffen werden soll und die Kassen für Notfallleistungen extrabudgetär zahlen sollen. Sie wenden sich damit gegen das erste Konzept des Sachverständigenrats, der einen neuen Sektor für sinnvoll erachtet.
Während die KBV Portalpraxen nur an dafür geeigneten Kliniken ansiedeln will, drängen DKG und MB darauf, die Zahl der Kliniken nicht drastisch zu reduzieren. Die KBV befürwortet zudem eine einheitliche Triage per App und Telefon über die bundesweite Notdienstnummer 116 117. Der MB fordert die Bundesregierung auf, die Voraussetzungen zu schaffen, dass die 116 117 und die sehr viel bekanntere 112 zusammengeschaltet werden können. Dazu raten auch die Gesundheitsweisen.
Der MB plädiert darüber hinaus dafür, dass Patienten die Notfallnummer auch tagsüber erreichen können und dass in Ausnahmefällen die „gemeinsamen medizinischen Anlaufstellen” (Portalpraxen an Kliniken) Patienten auch während der Sprechstundenzeiten niedergelassener Ärzte ambulant versorgen dürfen.
Quelle: dpa