Die „End of Life Care“ ist ein wichtiger Teilbereich der Palliativversorgung und spielt in allen Versorgungssituationen, sei es zu Hause, im Krankenhaus, im Pflegeheim oder im Hospiz eine sehr wichtige Rolle. Deshalb liegt es nahe, für diese häufigen Situationen Handlungsempfehlungen herauszugeben, damit nichts Wichtiges vergessen wird. Wie schwierig es allerdings sein kann, zu einem so komplexen, individuellen Thema Standards und Handlungsanweisungen zu implementieren, zeigte die Diskussion und Überarbeitung des Liverpool Care Pathways für Sterbende in England, aus dessen Nachfolger jetzt die deutschsprachigen Handlungsempfehlungen Sterbephase entstanden sind.
Liverpool Care Pathway
John Ellershaw und seine Mitarbeiter haben Ende der 1990er-Jahre den „Liverpool Care Pathway for the Dying” (LCP) entwickelt, um die Prinzipien der Hospizversorgung für die Sterbephase in die allgemeine Gesundheitsversorgung zu übertragen. Ziel war es, eine Verbesserung der „End of life Care“ nicht nur in Spezialeinrichtungen, sondern in weiten Teilen der britischen Gesundheitsversorgung zu erreichen. Es ist die besondere Leistung von Ellershaw und Mitarbeitern, dass sie den komplexen Bereich der „End of life Care“ im Liverpool Care Pathway auf wenige zentrale Grundprinzipien heruntergebrochen haben. Das Beachten dieses Behandlungspfads hilft nach Art einer Checkliste, an diese grundlegenden Dinge in der Sterbesituation zu denken.
Wie jeder Behandlungspfad birgt auch der Liverpool Care Pathway die Gefahr, dass er nur halbherzig implementiert und beachtet wird. Das Ergebnis ist dann für die Beteiligten nicht zufriedenstellend, und es kam, wie wir in Großbritanniens Presse lesen konnten, zu Kritik am Liverpool Care Pathway. Darin lassen sich insbesondere Mängel in der Kommunikation spüren, d.h. die Kritik betrifft nicht den Liverpool Care Pathway selbst, sondern seine Umsetzung und bringt ihn zu Unrecht in Misskredit.
In Deutschland fehlt es an derartiger Kritik am Liverpool Care Pathway. Die unterschiedlichen Erfahrungen mit dem Pathway in Großbritannien und Deutschland könnten darauf zurückzuführen sein, dass der Liverpool Care Pathway in Deutschland fast ausschließlich in palliativen Spezialeinrichtungen implementiert wurde, während er in Großbritannien zunehmend mehr in Allgemeinkrankenhäusern ohne spezielle palliative Expertise Aufnahme fand.
Palliative Haltung
Angesichts des individuellen Sterbens ist die palliative Haltung von überragender Bedeutung. Gerade in Akutkrankenhäusern steht die palliative Haltung oft im Widerspruch zur kurativen Haltung vieler Akteure. Während in der kurativen Haltung Sterben als Scheitern des Heilungsanspruchs gesehen werden kann und deshalb eventuell nicht akzeptiert, sondern bekämpft wird, sieht das palliative Paradigma das Sterben als dem Leben zugehörig an. Gerade in DRG-Zeiten wird in der kurativen Behandlung immer mehr auf ein vorrangiges, aktuelles Problem fokussiert, während in der Palliativversorgung gemäß WHO-Definition eher eine ganzheitliche Ausrichtung auf Patienten und Angehörige gemäß der vier Dimensionen des Total-Pain-Modells von Cicely Saunders zu finden ist. Palliativversorgung bedient sich dabei einer suchenden Haltung, um möglichst viele relevante (gerade auch nicht medizinische) Dimensionen des einmaligen Sterbeprozesses achtsam in den Fokus zu nehmen.
Es ist uns allen zu wünschen, dass der Pathway nicht in unzulässig verkürzter Weise zum bloßen „Kochrezept“ für die Sterbephase verkommt, sondern dass er dazu genutzt wird, die Grundprinzipien palliativer Haltung gegenüber dem Sterbeprozess auch an palliativ Unerfahrene weiter zu geben. Der Liverpool Care Pathway wurde in Großbritannien zu einem „End of life Care Plan“ überarbeitet und im Deutschen als Handlungsempfehlungen Sterbephase herausgebracht.
John Ellershaw hat eine wichtige Grundforderung zur Verbesserung erhoben, dass nämlich jedes Krankenhaus in Großbritannien 7 Tage in der Woche für 24 Stunden Zugang zu spezieller palliativer Expertise haben sollte. Der Autor des Liverpool Care Pathway formuliert damit klar, dass neben dem Pathway auch Menschen da sein müssen, die diese spezielle palliative Haltung verkörpern und leben. Ziel sollte die individuelle Betreuung in der Sterbephase sein, wobei der Pathway uns helfen kann, nichts Wesentliches zu vergessen. Es geht nach Erich Loewys Metapher um die „Orchestrierung des Lebensendes“, wobei die Partitur vom Patienten und nicht vom Pathway geschrieben wird. Unsere Aufgabe ist es, diese Partitur möglichst genau zu erfassen und wiederzugeben. Diese Partitur dürfe weit mehr enthalten als die Grundprinzipien des Pathways, aber ähnlich einem Metronom gibt uns der Pathway Struktur, um die Partitur spielen zu können. Jede gute Musik lebt davon, dass sie nicht streng nach Metronom gespielt wird; mal wird eine Passage im „Ritardando“ verzögert, mal eine Passage in einem „Accelerando“ beschleunigt.
Im palliativen Alltagshandeln ist uns deshalb zu wünschen, dass wir den Pathway als gutes Fundament unserer Arbeit in der Sterbephase nehmen, dass wir uns aber auch trauen, vom Pathway abzuweichen, wenn die Partitur dies fordert.
Die Verbesserung der Versorgung am Lebensende im gesamten Gesundheitssystem und nicht nur in palliativen Spezialeinrichtungen ist auch in Deutschland ein wichtiges Ziel angesichts der Tatsache, dass nur ca. 2 bis 3 Prozent der deutschen Bevölkerung in speziellen hospizlichen bzw. palliativen Einrichtungen sterben. Die gute Versorgung der übrigen 97 bis 98 Prozent der Sterbefälle, von denen nur ein kleiner Teil zu Hause und der größere Teil in Institutionen des Gesundheitswesens sterben, ist daher ein besonders zu beachtendes Anliegen.
Richtlinien für die Sterbephase
Ziel des Liverpool Care Pathways ist es, die palliative Behandlung gut vorzubereiten und vorausschauend die notwendigen Maßnahmen zu planen. Dabei sollte festgelegt werden, welche Symptome erwartet und mit welchen Medikamenten diese behandelt werden, einschließlich der Bedarfsmedikation (Tab. 1). Unnötige Medikamente sollten abgesetzt werden. Häufige Symptome in der Sterbephase sind Somnolenz (55 Prozent), Rasselatmung (45 Prozent), Unruhe (43 Prozent), Schmerzen (26 Prozent), Dyspnoe (25 Prozent) und Übelkeit/Erbrechen (14 Prozent).
Schmerzen: Es kann sowohl ein geringerer als auch ein höherer Bedarf an Schmerzmedikamenten vorliegen. Deshalb ist eine Dosisanpassung unter engmaschiger Schmerzerfassung/-beobachtung zwingend erforderlich. Durch Stoffwechselfaktoren wie z.B. eine Hyperkalzämie, Ausdehnung der Grunderkrankung (z.B. Tumor) und vermehrte psychische Anspannung kann es zu einer Schmerzverstärkung kommen. Die meist vorliegende Dehydratation führt zur vermehrten Endorphinausschüttung mit der Folge eines geringeren Schmerzmittelbedarfs. Die Verstoffwechselung und Elimination mancher Analgetika ist in der Sterbephase reduziert, was zu einer stärkeren Wirksamkeit führt.
Atemnot: Durch zunehmende körperliche Schwäche und Ausdehnung der Grunderkrankung kommt es in der Sterbephase häufig zu einer Zunahme der Atemnot. Rasselatmung: In der Sterbephase geht die Fähigkeit abzuhusten oft verloren mit der Folge, dass eine Rasselatmung auftritt oder sich verstärkt. Delir: Durch Multiorganversagen und Ausdehnung der Grunderkrankung sind Delirien in der Sterbephase gehäuft anzutreffen.
Die palliativen Medikamente sollten regelmäßig nach der Uhr gegeben werden. Am besten eignet sich in der Sterbephase eine Subkutangabe. Der Anwender dieser Pathways sollte in jedem Fall darauf achten, dass der Pathway nur von palliativ kompetenten Menschen angewendet wird und dies zu keiner unzulässigen Formalisierung des einmaligen Sterbevorgangs führt. Stets sollte der Sterbende selbst bestimmen, welche Maßnahme für ihn angemessen ist und welche nicht. Der Pathway dient nur als Checkliste (siehe „Handlungsempfehlung Sterbephase“), damit Wichtiges nicht vergessen wird.
Fazit
- Sterben ist eine einmalige, höchstgradig individuelle Situation.
- Man wird ihr durch vorgefertigte Schablonen letztlich nicht gerecht.
- Wichtig ist es jedoch, sich mögliche Symptome, Ressourcen und Reaktionen der Betroffenen zu verdeutlichen, um auf sie besser einzugehen.
- Pathways können nach Art einer Checkliste verwendet werden und so helfen, in der einmaligen, vom Patienten vorgegebenen Sterbesituation nichts Wesentliches zu vergessen.
Literatur: Gerhard C. Palliativdienst, Hogrefe Bern 2017; Gerhard C. Praxiswissen Palliativmedizin, Thieme Stuttgart 2015
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.