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Interview“Wir brauchen ein Umdenken bei der Honorierung”

Seit rund 100 Tagen ist der neue Vorstand des Deutschen Hausärzteverbandes im Amt. Im Interview mit "Der Hausarzt" verraten Bundesvorsitzender Dr. Markus Beier und seine erste Stellvertreterin Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth unter anderem, was sich in der Abrechnung ändern muss.

Dr. Markus Beier und Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth sind mit ihrem Vorstandsteam zum Bundesvorsitz gewählt worden.

Im September ist der Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbandes neu gewählt worden. Was sind Ihre drei wichtigsten Ziele, die sie in den nächsten Jahren für Hausärztinnen und Hausärzte erreichen möchten?

Dr. Markus Beier: Wichtig ist, unsere Stellung weiter auszubauen, damit unsere Ideen noch mehr Gehör finden. Die hausärztliche Leistung – etwa beim Impfen gegen Corona – haben Politik und Gesellschaft zuletzt deutlich wahrgenommen. Es kann aber nicht sein, dass wir bei spürbaren und messbaren Anerkennungen dann außen vor bleiben.

Prof. Nicola Buhlinger-Göpfarth: Wir möchten neue Versorgungsstrukturen stärken! Ich persönlich möchte das Konzept der Teampraxis voranbringen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass wir in unserem Gesundheitssystem ein neues Denken brauchen, um zukunftsfähig aufgestellt zu sein. Hier werden wir zeitnah ein konkretes Konzept vorlegen.

Beier: Drittes Ziel: Die hausarztzentrierte Versorgung (HZV) muss weiterhin ernsthaft gestärkt werden, um so auch dem EBM-Wahnsinn etwas entgegenzusetzen: So sehen wir in der Versorgung, dass der EBM und die damit verbundene Quartalisierung nicht zielführend sind.

Das Honorarsystem muss so umgebaut werden, dass wirklich die Betreuung der Patientinnen und Patienten im Vordergrund steht und nicht Abrechnungssystematiken zu einer unnötig hohen Zahl von Arzt-Patienten-Kontakten (APK) und Bürokratie führen.

Ist ein “weiter so” bei der Abrechnung also nicht mehr zielführend?

Beier: Absolut. Wir beobachten, dass Routinekontakte zunehmen, die medizinisch nicht notwendig sind. Das ist auch dem EBM geschuldet, der etwa bei chronischen Krankheiten eine bestimmte Zahl an APK pro Quartal vorschreibt.

Auch die Organisation von Wiederholungsrezepten ist hier zu nennen. Das führt zu einem hohen “Grundaufkommen” sowohl bei uns im Sprechzimmer als auch am Tresen. Mit Delegation und Digitalisierung sowie einem Umdenken beim EBM könnte man hier viel Unruhe aus den Praxen nehmen.

Buhlinger-Göpfarth: Dass es möglich ist, die Zahl der Arztkontakte zu reduzieren, zeigen andere Länder: Die Deutschen gehen bis zu 18 Mal im Jahr zum Arzt, andernorts sind es nur drei Mal. Das ist eine enorme Spannbreite.

Flächendeckende Jahrespauschalen wären ein Instrument weg von der Quartalsvergütung. Der EBM fokussiert – wie der Name “Bewertungsmaßstab” impliziert – auf Betriebswirtschaft. Die HZV bietet einen anderen Ansatz: Sie fokussiert auf die Versorgung. Im Mittelpunkt stehen keine betriebswirtschaftlichen Überlegungen, sondern der Mensch.

Das Jahr 2022 war das “Jahr der Kostensteigerungen”. Wie geht es den Hausarztpraxen wirtschaftlich?

Buhlinger-Göpfarth: Bereits 2017 bis 2020 sind die Kosten für Praxen um 13,2 Prozent gestiegen – bedingt durch große Steigerungen bei Wartung, Material und Miete. Etwa 56 Prozent der Kosten machten 2020 im Durchschnitt Personalkosten aus. 2017 bis 2020 lag die Inflation bei durchschnittlich 1,3 Prozent, aktuell bei rund 10 Prozent.

Da kann sich jeder ausrechnen, was das heute bedeutet. Es bräuchte dringend Unterstützung seitens der Politik – ähnlich wie im stationären Sektor, der acht Milliarden Euro bekommt.

Beier: Wir fordern daher eine Art Strukturpauschale. Diese könnte deutlich schneller angepasst werden als einzelne EBM-Ziffern. Kostensteigerungen könnten damit einfach und schnell umgelegt werden, ohne dass das Honorarsystem an anderen Stellen davon betroffen ist. Das braucht es eher heute als morgen.

Ein weiteres Problem, auf das Sie hinweisen, sind investorengeführte MVZ (iMVZ). Warum können sich diese teils wie Heuschrecken ausbreiten?

Beier: Mit Strukturen wie etwa fachgleichen MVZ hat die Politik darauf reagiert, dass mehr Menschen – und eben auch Ärztinnen und Ärzte – in Anstellung arbeiten wollen. Zunächst: Grundsätzlich ist gegen MVZ nichts einzuwenden, viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten gerne und gut in diesen Strukturen. Wogegen wir uns wehren ist, dass Investoren, die nur aufs schnelle Geld schielen, immer weiter in die Versorgung drängen.

Dass das möglich ist, liegt an der mangelnden Regulierung. So können Investoren durch den Kauf eines Mini-Krankenhauses ein MVZ gründen und deutschlandweit so viele Sitze erwerben wie sie möchten. Dadurch konnten sich riesige Strukturen bilden.

Oft geht es nur um Wachstum: Da werden Sitze zusammengeführt, um sie nach drei bis fünf Jahren möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Die eigentliche Versorgung spielt keine Rolle mehr. Das ist eine Gefahr für die Gesellschaft und auch für die umliegenden Praxen.

Inwiefern?

Buhlinger-Göpfarth: iMVZ entstehen ja nicht im Hunsrück oder der Uckermark. Die Investoren haben es vor allem auf “Luxus-Standorte” in zentraler Großstadtlage abgesehen. Das erzeugt enormen Druck auf benachbarte Praxen. Denn die iMVZ betreiben Rosinenpickerei. Die Versorgung älterer Patientinnen und Patienten oder chronisch kranker Menschen müssen die anderen Praxen alleine stemmen.

Beier: Aus dem IGES-Gutachten der KV Bayerns wissen wir zudem, dass mehr Ringüberweisungen stattfinden. Eine “bessere Zusammenarbeit zum Wohle des Patienten” bedeutet in iMVZ oft einfach, dass jede Fachgruppe innerhalb des MVZ mal eine Leistung abrechnen darf. Laut des Gutachtens liegen die Kosten pro Patient dort um 20 Prozent höher als in Einzelpraxen.

Wo sehen Sie die effektivsten Hebel, um iMVZ einzudämmen?

Beier: Die Politik muss sich bei den Regeln für MVZ näher an dem orientieren, was für uns Ärztinnen und Ärzte – beispielsweise in BAG – gilt. Es geht nicht um eine Benachteiligung, sondern um ein Zurückholen der ganzen Sonderregeln.

Da spielt beispielsweise der regionale Versorgungsauftrag eine bedeutende Rolle: Wenn MVZ aus einer Krankenhausstruktur in Schleswig-Holstein hervorgehen, dann kann es nicht sein, dass darüber Sitze in Bayern aufgekauft werden.

Buhlinger-Göpfarth: Weitere Punkte sind das vom Deutschen Hausärzteverband geforderte MVZ-Transparenzregister (Anm. der Redaktion: Beschluss des Deutschen Hausärztetags mit zehn Forderungen unter www.hausarzt.link/mWGDU). Und die regionalen Zulassungsausschüsse sollten eine Eignungsprüfung durchführen – so wie unsere Eignung bei einer Niederlassung auch geprüft wird.

Wie ist die Resonanz aus der Politik?

Beier: Wir stoßen auf offene Ohren. Wie viel Mut am Ende in der Gesetzgebung steckt, werden wir sehen. Aber wir sind gespannt und wissen, dass bereits etwas vorbereitet wird.

Der Trend zur Anstellung wächst, gleichzeitig kennen wir alle die demografische Entwicklung. Sie arbeiten gerade an einem Konzept zur Teampraxis. Was ist die Idee dahinter?

Buhlinger-Göpfarth: Wir müssen mit immer weniger Arztzeit immer mehr Menschen versorgen. Dafür brauchen wir multiprofessionelle Teams und neu gedachte Prozesse, wie Patientinnen und Patienten in der Praxis versorgt werden.

Der entscheidende Unterschied zu anderen vorliegenden Konzepten – etwa den PORT-Praxen, die auf Community Health Nurses setzen – ist, dass der Kern der Teampraxis die hausärztliche Leitung ist. Die Qualität der Versorgung wird nur dann garantiert, wenn neue Gesundheitsberufe in die Hausarztpraxis integriert werden und nicht als eigenständige Leistungserbringer neue Schnittstellen schaffen.

Was bedeutet das konkret? Zum Beispiel für eine Patientin, die mit Halsschmerzen in die Praxis kommt…

Buhlinger-Göpfarth: Hier handelt es sich um einen akuten Beratungsanlass. Vorstellbar wäre, dass die akademisierte VERAH® oder Physician Assistant die Anamnese übernimmt und gemäß Leitlinie den Centor-Score ausfüllt. Sie hilft also mit bei Diagnose und Behandlungsplan unter Supervision von Hausärztin oder Hausarzt.

Zwischen dem Sprechzimmer der akademisierten VERAH® und meinem Sprechzimmer ist gefühlt nur ein Molekül Luft, sodass sie dann mit dem ausgefüllten Score und dem Behandlungsvorschlag kurz zu mir kommt. Nach dieser Supervision stimme ich entweder zu oder schaue in komplexen Fällen selbst drauf.

Gerade bei Score-gestützten Beratungsanlässen ist dieses Prozedere gut machbar. Die Scores dienen ja dazu, Red Flags zu erkennen – und wenn Red Flags da sind, muss ich als Ärztin schauen.

Im nächsten Schritt müssen wir Beratungsanlässe systematisch durchforsten: Was muss ärztlich betreut werden und was kann delegiert, supervisioniert werden.

Was steht jetzt an, um die Teampraxis in die Politik zu tragen?

Buhlinger-Göpfarth: Als Vorstand wollen wir das Thema vorantreiben. In Baden-Württemberg haben wir der Idee schon einen Namen gegeben: HÄPI, kurz für Hausärztliches Primärversorgungszentrum. In den kommenden Monaten wollen wir auf Bundesebene das Konzept publizieren. Ziel ist es, dass sich dieses Konzept auch in den Honorarstrukturen wiederspiegelt.

Konkret haben wir in der HZV bereits einen Zuschlag für die VERAH®. Wenn meine VERAH® nun studiert, habe ich als Arbeitgeberin Ausgaben, da ich in der Regel die Studiengebühren mittrage. Zudem hat sie als akademisierte VERAH® vermutlich höhere Gehaltswünsche. Diese kann ich nur bedienen, indem es – ergänzend zum VERAH®-Zuschlag – einen Teampraxen-Zuschlag gibt.

Beier: Dass der Zuschlag strukturell bundesweit einheitlich geregelt sein soll, ist uns sehr wichtig. Wir wollen hier keine regionalen Unterschiede in den HZV-Verträgen.

Dürfte das KV-System die Idee der Teampraxis übernehmen? Immerhin war der Deutsche Hausärzteverband mit der VERAH® Vorreiter für die Nichtärztliche Praxisassistenz (NäPA).

Buhlinger-Göpfarth: Gute Ideen dürfen gern übernommen werden! Wichtig ist, dass wir hier in die Führung gehen. Mit unserer Innovationsschmiede HZV haben wir andere Möglichkeiten als im EBM, der ist für eine solche Strukturreform zu langsam.

Wir setzen ja wirklich an der Basis an: Der EBM kennt ja im Grunde nur den Arzt-Patientenkontakt. Alles was drum herum geschieht, die Versorgung im Team, hat im EBM keinen Platz. Die strikte APK-Definition muss überdacht werden. Hier ist die HZV deutlich flexibler als der EBM.

Beier: Das freiwillige Einschreibesystem der HZV spielt da eine wichtige Rolle. Denn seien wir ehrlich: Die APK-Vorgabe im EBM ist auch eine Art Plausibilitätskontrolle innerhalb der Abrechnung. Werden Menschen aber in einer Praxis versorgt – wie in der HZV, kann man von diesen starren Honorarsystemen wegkommen.

Wie sind die ersten Reaktionen auf diese Ansätze?

Beier: Die Kostenträger sehen durchaus, dass eine Stärkung der primärärztlichen Versorgung in ihrem Interesse ist. Das steht völlig im Gegensatz zu den aktuell diskutierten Gesundheitskiosken: Mit diesen erhalten die Kostenträger eine Struktur, die bei Weitem nicht so effizient und umfassend arbeitet wie wir, aber enorme Kosten bedeutet.

Buhlinger-Göpfarth: Wir Hausarztpraxen sind eben auch sehr effizient. Wir haben das Gefühl, dass wir daher offene Türen einrennen. Die Kassen sind begierig nach neuen Konzepten. Das verwundert auch nicht: Deren Controller haben sich schon ausgerechnet, dass eine Stärkung der primärärztlichen Versorgung Kosten auf allen nachfolgenden Ebenen einspart. Das haben wir in der HZV in Baden-Württemberg bereits umfassend evaluiert.

Was ist bei all dem mit der Einzelpraxis?

Buhlinger-Göpfarth: Die Einzelpraxis ist ein großartiges System und es wird sie weiterhin geben. Es wird immer Kolleginnen und Kollegen geben, für die das passt. Darüber hinaus ist die Teampraxis aber durchaus eine Art Nachwuchssicherung: Viele junge Kolleginnen und Kollegen wollen angestellt, im Team arbeiten. Dafür machen wir ein Angebot.

Apropos Arbeit im Team: Der Vorstand des Deutschen Hausärzteverbandes ist im September offiziell als Team angetreten, paritätisch aufgestellt. Auch bei den KV-Wahlen, bei denen die Hausarztlisten tolle Ergebnisse einfahren konnten, sind immer mehr Hausärztinnen in der Berufspolitik zu sehen…

Beier: Das stimmt, und das freut uns sehr. Denn die KV-Wahlergebnisse stärken unseren Ansatz. Den Vorstand paritätisch zu besetzen, ist einerseits eine Frage der Haltung: Wir alle wollen das paritätisch und gemeinsam führen.

Darüber hinaus ist es aber auch eine Frage der Repräsentanz: Wir wollen unsere Mitglieder repräsentieren, Männer und Frauen, ältere und jüngere Jahrgänge, Angestellte und Niedergelassene, hausärztlich tätige Internisten und Allgemeinmediziner. Wir wollen nicht nur davon reden, sondern diese Mischung leben.

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