Praxis Wissen“Trotz Bürokratie Freiheit finden”

Mehr Menschlichkeit in die Medizin bringen: Mit diesem Ziel vor Augen hat die angehende Dresdner Allgemeinärztin Dr. Marie Downar das Buch „Time to Care“ des neuseeländischen Anästhesisten Dr. Robin Youngson übersetzt. Es diskutiert, wie der Klinikalltag für das Wohl von Patienten und Ärzten sowie im Gesundheitswesen tätigen Mitarbeitern gewinnbringender gestaltet werden kann.

Warum haben Sie „Time to Care“ übersetzt?

Downar: Mir hat die menschliche Seite im Studium gefehlt, gerade für chronisch Kranke mangelt es an langfristigen und für beide Seiten befriedigenden Lösungen. Wie man richtig mit Patienten umgeht, vermittelt das Studium kaum, es geht vornehmlich um Fakten und biologische Zusammenhänge. Ich war also ohnehin auf der Suche nach entsprechenden Anregungen. So bin ich zum Verein „Medizin und Menschlichkeit“ gekommen. Im Anschluss an eine der jährlichen Frühjahrsakademien hat mir ein Kollege „Time to Care“ von Dr. Robin Youngson empfohlen.

Ich habe es gelesen, ich war mittlerweile schon Assistenzärztin, und war begeistert, wie viele Lösungen der Autor präsentiert, mit denen man langfristig gut arbeiten kann und die dem Patienten zugute kommen. Mich hat der Blick aufs große Ganze, auf die Zusammenhänge sofort angesprochen. Ich fand es nur schade, dass es das Buch nicht auf Deutsch gibt und die Informationen so nicht einem größeren deutschen Leserkreis zugänglich sind. Denn es ist ja nicht so, dass das medizinische Knowhow hier nicht auch vorhanden wäre.

Und dann haben Sie beschlossen, das Buch zu übersetzen?

Die Anregung kam von Dr. Youngson, mit dem ich anlässlich eines geplanten Workshops Kontakt hatte. Mich hat diese Idee sofort angesprochen, denn das Wissen aus dem Buch mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen und wo immer möglich gemeinsam beginnen es umzusetzen, das hielt ich für sehr wichtig.

Ursprünglich hatten wir die Übersetzung als Gemeinschaftsarbeit im Verein „Medizin und Menschlichkeit“ geplant, das hat aber nicht funktioniert, denn jeder hat seinen eigenen Stil. Auch einen professionellen Übersetzer haben wir nicht gefunden. Also habe ich beschlossen, dass ich „Time to Care“ in Eigenregie übersetze. Ich habe mich trotz aller Zweifel und Rückschläge dazu berufen gefühlt, weil ich absolut von der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieses Projekts überzeugt war. Die Übertragung hat zwar ein Jahr gedauert, aber es floss, wenn ich mich einmal daran gesetzt habe, einfach so aus mir heraus.

Haben Sie den Autor persönlich getroffen?

Ja, wir haben ihn zu einem Symposium unseres Vereins eingeladen. Das hat noch einmal neue Anregungen daran gesetzt habe, einfach so aus mir heraus. Haben Sie den Autor persönlich getroffen? Ja, wir haben ihn zu einem Symposium unseres Vereins eingeladen. Das hat noch einmal neue Anregungen gebracht, zumal wir auch lokale Initiativen wie „Was hab´ ich?“ und die Psychologinnen des Dresdner Vereins „Spiegelneuronen“, die sich mit positiver Psychologie befassen, dazu eingeladen haben. Ein besonderes Element war der innerärztliche Generationendialog. Denn es geht nicht darum, sich von einem neuseeländischen Autor sagen zu lassen, wie arbeiten geht, sondern Erfahrungen zusammenzuschließen zum Wohle des Patienten und zur Zufriedenheit des Arztes.

Was hat sich für Sie beim Arbeiten verändert?

Ich bin sicherer geworden, meine innere Haltung hat sich gestärkt. Ich halte diese für genauso wichtig wie die fachliche Komponente.

Manchmal muss man einfach einen Schritt zurücktreten und schauen, was in dem Moment das Beste für den Patienten ist. Und das ist nicht immer das, was medizinisch machbar wäre. Nicht immer starr in Abläufen verfangen zu bleiben, zwischen bürokratischen Vorgaben Freiheit zu finden: Das ist eine wichtige Botschaft. Natürlich bleibt es ein Prozess, „Time to Care“ liefert keine Kochrezepte. Aber langfristig gesehen kann es Gutes bewirken.

Dr. med. Marie Downar (33) studierte in Dresden und Breslau Medizin. Sie arbeitete zunächst als Assistenzärztin in der Inneren Medizin und ist heute in einem Schmerzzentrum in Dresden angestellt.

Time to care

Patienten sollen beides erwarten dürfen von ihrem Arzt: Fachlichkeit und Menschlichkeit. Überflüssig zu erwähnen? Oder sieht die Realität doch anders aus, bleibt die Menschlichkeit im Arbeitsalltag mitunter auf der Strecke? Der Anästhesist Dr. Robin Youngson will im Buch „Time to Care“ zeigen, wie Ärzte und Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowohl ihre Arbeit als auch ihre Patienten wertschätzen, wie sie ihre innere Haltung gegenüber Aufgabe und Mensch stärken, die Fähigkeit zur mitfühlenden Fürsorge verfeinern und über institutionelle Begrenzungen hinauswachsen können. In 14 Kapiteln thematisiert der Autor grundlegende „Soft Skills“ (Achtsam handeln, Zeit für Zuwendung gewinnen) und praktische Fragen (Ein besseres System aufbauen, mitfühlende Führungskultur), begleitet von zahlreichen praktischen Beispielen.

„Time to Care“ richtet sich an Fach- und Führungskräfte aus dem Gesundheitswesen ebenso wie an Studenten und Patienten. Mabuse-Verlag, 315 Seiten; 24,95 Euro

Der Autor: Dr. Robin Youngson (Jahrgang 1955) ist gebürtiger Engländer, studierte zunächst Ingenieurswissenschaften und dann Medizin. Er arbeitet heute als Anästhesist in Neuseeland und hat „Time to Care“ geschrieben. 2012 gründete er die internationale Bewegung „Hearts in Healthcare“. Deren Ziel ist es, an Menschlichkeit im Gesundheitswesen Interessierte und Arbeitende zusammenzubringen. Das Netzwerk arbeitet auf globaler Ebene als Online-Gemeinschaft, auf lokaler Ebene in Initiativen wie dem Verein „Medizin und Menschlichkeit“.

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