TelematikE-AU soll ab Mitte 2021 Pflicht werden

Die ersten Anwendungen in der TI sind da: Notfalldatenmanagement, E-Medikationsplan und ab Mitte 2021 soll die elektronische AU verpflichtend sein. Ein Überblick.

Notfalldatenmanagement

Die zeitlich erste TI-Anwendung, die in den Arztpraxen medizinische Relevanz entfalten könnte, ist das Notfalldatenmanagement (NFDM). Hier speichern Ärzte notfallrelevante Informationen direkt auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), beispielsweise Diagnosen, Allergien oder relevante Medikamente. Im Notfall können entsprechend autorisierte Personen – etwa Notärzte oder Rettungssanitäter – diese ohne Einwilligung des Patienten auslesen. Die Erstellung, Aktualisierung oder auch Löschung eines Notfalldatensatzes erfolgt dabei immer auf Wunsch des Patienten.

Ebenso kann der Notfalldatensatz auf Wunsch des Patienten aber bestimmte (für die Notfallversorgung durchaus relevante) Informationen nicht enthalten. Die medizinische Belastbarkeit und Relevanz für die Notfallversorgung sind somit fraglich.

Technisch erfordert die Erstellung eines Notfalldatensatzes in der Arztpraxis ein Software-Update der bereits vorliegenden Konnektoren. Dieses Update auf den sogenannten E-Health-Konnektor soll planmäßig Ende 2020 flächendeckend verfügbar sein; die ersten beiden Konnektorhersteller bieten dieses Update bereits an (“Der Hausarzt” 14/20, “E-Health-Konnektor: Per Update zu neuen Funktionen“). Ebenso muss der Arzt sich für den Zugriff auf den Notfalldatensatz digital identifizieren und diesen elektronisch signieren; somit ist auch der elektronische Heilberufsausweis (eHBA) Pflicht (“Der Hausarzt” 13/20, “Daten-Autobahn: Vollgas oder Crash?“). Damit der Notfalldatensatz auf der Karte gespeichert werden kann, ist überdies ggf. ein zusätzliches Kartenterminal im Sprechzimmer erforderlich.

Elektronischer Medikationsplan

Parallel zum Notfalldatenmanagement wird auch der elektronische Medikationsplan (eMP) eingeführt. Hierbei handelt es sich um die digitale Weiterentwicklung des bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP).

Wichtig: Auch der eMP wird direkt auf der eGK gespeichert, aber anders als beim NFDM hat der Patient beim eMP weiterhin Anspruch auf einen Papierausdruck.

Ähnlich wie der Notfalldatensatz wird auch der eMP auf Wunsch des Patienten erstellt, verändert oder gelöscht. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen eMP sind die gleichen wie für den bisherigen Medikationsplan (gleichzeitig mindestens drei systemisch wirkende Medikamente). Auch für dessen Erstellung ist für die Identifikation des Arztes ein eHBA erforderlich sowie ggf. zusätzliche Kartenterminals im Sprechzimmer.

Elektronische AU

Als erste bundesweit verpflichtende Anwendung wird die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (E-AU) ab Mitte Januar 2021 zu deutlichen Veränderungen der bisher gewohnten Prozesse in den Arztpraxen führen (s. Kommentare Sebastian John und Dr. Berthold Dietsche). Dann sind alle Ärzte verpflichtet, die AU digital an die jeweilige Krankenkasse zu übermitteln. Auf massiven Druck insbesondere der Hausärzte auf die ärztliche Selbstverwaltung hat das Bundesgesundheitsministerium jüngst einer zeitlichen Verschiebung der eigentlich zum 1. Januar 2021 geplanten Pflichtanwendung zugestimmt. Die Details hierzu waren bei Redaktionsschluss noch zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband zu verhandeln; allerdings zeichnete sich eine Verschiebung um rund sechs Monate ab.

Die digitale AU ist dabei mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (QES) zu signieren. Zusätzlich dazu erstellt der Arzt die gewohnte papiergebundene Bescheinigung für die Patienten und den Arbeitgeber und muss auch diese (händisch) signieren. Ab 1. Januar 2022 entfällt die Signatur der Papierbescheinigung, sofern der Patient nicht eine Unterschrift wünscht. Hintergrund ist, dass ab diesem Zeitpunkt die AU vom Arbeitgeber digital bei der Krankenkasse abgefragt wird (s. Kasten).

Blick in die Praxis: Da der Gesetzgeber die Pflicht der AU-Übermittlung an die Krankenkasse vom Patienten (alt) 2021 auf den Arzt (neu) überträgt, wird die Nichtübermittlung kein “Kavaliersdelikt” sein. Vielmehr sind ggf. Schadenersatzansprüche von Patienten zu befürchten, die aufgrund fehlender Meldungen Einbußen bei der Entgeltfortzahlung oder dem Krankengeld erleiden.

Entscheidend für die Praktikabilität der neuen Prozesse rund um die E-AU wird sein, wie komfortabel die Erstellung einer QES in den Praxisverwaltungssystemen (PVS) umgesetzt ist. Offen ist darüber hinaus, ob das Software-Update zum sogenannten E-Health-Konnektor, ebenso wie die KIM-Anwendungssoftware, rechtzeitig flächendeckend implementiert werden können. Ob und wie ab 2022 der digitale Austausch zwischen Kassen und Arbeitgebern überall gelingen wird, ist ebenfalls noch nicht abschließend geklärt.

Kommentar Sebstian John

Neue Risiken, kaum Mehrwert: Negativfolgen in der Praxis

So weit der Plan. Die E-AU würde, sollte sie so kommen, zu erheblichen Veränderungen in den Praxen führen. Leider blieben Aufwand und Risiken, wie so oft bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen, am Arzt hängen. Im ersten Schritt wird ihm eine neue Verantwortung zugeordnet, nämlich die Übermittlung der AU an die Krankenkasse – mit neuen Risiken, aber ohne erkennbaren Mehrwert. Denn im schlimmsten Fall könnte ein Fehler bei der digitalen Übermittlung ernste Konsequenzen für die Patienten bedeuten, etwa Probleme im Hinblick auf die Entgeltfort- und Krankengeldzahlungen.

Neben der Verantwortung geht dieser Prozess für den Arzt überdies mit Verpflichtungen und (wieder einmal) Kosten einher: der Anschluss an die TI, das Software-Update des Konnektors, die Nutzung eines (kostenpflichtigen) KIM-Dienstes sowie eines elektronischen Heilberufsausweises (eHBA). Für jede einzelne dieser Pflichten war äußerst fraglich, ob eine Umsetzung bis zum 1. Januar 2021 möglich gewesen wäre. Auch aus diesem Grund war der Protest der Hausärzteverbände gegenüber der Selbstverwaltung groß – und erfolgreich. Aber: Auch die fristgerechte Umsetzung bis zur neuen Deadline, Mitte 2021, bleibt knapp.

Selbst wenn die Technik bis zum Stichtag stünde, würde die Umsetzung zu einer erheblichen Umstellung des Workflows vieler Praxen führen und damit letztlich auch zu Lasten der Zeit gehen, die für die Versorgung vorgesehen ist. Aber noch ist nicht aller Tage Abend! Wir werden am Ball bleiben!

Kommentar Dr. Berthold Dietsche

So kann es auch gehen: Positivbeispiel Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg hat man sich vor einem Jahr gegen eine zentralistisch gesteuerte TI-Struktur entschieden. Nicht zentral gesteuert, sondern gemeinsam erarbeitet! Die HZV-Partner – der Hausärzteverband Baden-Württemberg, die HÄVG, die AOK Baden-Württemberg und der MEDI-Verbund – sind ihren konstruktiven, kooperativen Weg auch mit der elektronischen Arztvernetzung (eAV) gegangen. Zum 1. Juli 2019 wurde mit der E-AU gestartet, mittlerweile sind knapp eine Viertel Millionen Krankschreibungen empfangen und verarbeitet worden. Im zweiten Schritt wurde der elektronische Arztbrief umgesetzt und seit ein paar Wochen haben die Ärzte in Baden-Württemberg die Möglichkeit auch Hauskomet (Medikationsinformation) zu nutzen.

Mittlerweile nehmen knapp 2.000 Ärztinnen und Ärzte an der eAV teil. Voraussetzung für unsere erfolgreiche Umsetzung war eine klare nachvollziehbare Honorarstruktur, die federführend wir Hausärzte entwickelt haben. Mit einer Organisationspauschale von 2.500 Euro pro Praxis konnten die Kollegen die notwendigen technischen Voraussetzungen schaffen. Der entstandene Mehraufwand in den Praxen wird mit einer fairen Vergütung ausgeglichen. Jeder kann auf der Infoseite unseres Verbands seine persönliche Verdienstmöglichkeit mit der eAV transparent nachvollziehen.

Wir konnten mit der eAV zeigen, dass eine freiwillig und partnerschaftlich betriebene Digitalisierung die Erfolge erzielt, die sich Zentralisierungsfanatiker mitunter nur erträumen können. Erfolge werden regional gemacht und leider viel zu oft zentral zerstört.

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