GesellschaftDiskriminierung hat viele Gesichter

Die Gesellschaft ist bunt und so auch die Ärzteschaft, ob verschiedene Geschlechter, Hautfarben oder Religionen. Zwar ist das Gros der Menschen dankbar für ihre medizinische Versorgung. Doch Diskriminierung macht auch an der Praxistür nicht immer Halt. Fünf Ärztinnen und Ärzte erzählen von ihren Erfahrungen.

Diskriminierung: Die Stimmung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren rauer geworden.

Artikel 3 des Grundgesetzes sollte selbstverständlich sein: Alle Menschen sind gleich, niemand darf wegen seines Aussehens, seiner Herkunft, seiner Religion, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder eines Handicaps diskriminiert werden. Doch in der gesellschaftlichen Realität ist das nicht immer so – und damit auch nicht unbedingt für Hausärztinnen und Hausärzte.

“Die Medizin spiegelt die Gesellschaft wie unter einem Brennglas”, sagt die Ärztin Dr. Sara Arewa, die aktuell eine Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin in einer Hausarztpraxis in Berlin-Mitte absolviert. Die Bundesrepublik sei ein vielfältiges Land. “Aber diese Diversität ist in den Köpfen nicht verankert”, sagt sie.

Die ideale Praxis spiegelt ihrer Überzeugung nach die Vielfältigkeit der Gesellschaft – zum Beispiel mit mehrsprachigen Angeboten etwa bei Formularen und mit Ärztinnen und Ärzten, die genauso unterschiedlich sind wie die betreuten Menschen. “Schwarze Patientinnen und Patienten melden mir oft zurück, dass sie es toll finden, von einer schwarzen Ärztin behandelt zu werden”, berichtet sie.

Verschiedene Formen der Ausgrenzung verstärken sich

Arewa arbeitet mit an einem Diversity-Projekt der Charité, das einen intersektionalen Ansatz verfolgt: Dabei wird davon ausgegangen, dass sich verschiedene Formen der Ausgrenzung verstärken. Tragen Ärztinnen etwa aus religiösen Gründen einen Hijab, droht ihnen auf zweifache Weise Diskriminierung.

Immer wieder berichten Medizinerinnen davon, dass sie nicht für Ärztinnen gehalten werden, tragen sie ein Kopftuch, werden sie mitunter mit einer Reinigungskraft verwechselt. In dem Projekt geht es darum, Material für MFA, pflegerisches und ärztliches Personal zu erstellen, um sie für Ausgrenzung etwa in der Kommunikation zu sensibilisieren.

Oder bei Untersuchungen: Viele lernen zum Beispiel bei Blutabnahmen, eher die Venen zu sehen, als sie zu tasten. Daher fällt es Ärztinnen und Ärzten sowie MFA dann oft schwer, Menschen mit dunkler Haut Blut abzunehmen, weil sie die Venen nicht gut sehen. “Das Bewusstsein dafür, dass der reine Tastbefund ausreicht, ist oft nicht da”, kritisiert Arewa.

Die Ärztin erlebt selbst, dass sich Patientinnen und Patienten rassistisch verhalten. Etwa wenn sie fragen, wo die Ärztin herkomme und ihnen die Antwort “Lübeck” nicht reicht. Manches geschieht hinter ihrem Rücken. “Mir hat eine MFA einmal berichtet, dass ein Patient gesagt hat, er wolle nicht zu der schwarzen Ärztin”, sagt sie.

Direkte Konfrontationen sind aber die Ausnahme. “Patientinnen und Patienten nehmen die Hierarchie zwischen sich und mir als Ärztin wahr”, erklärt sie. “Aufgrund meines sozio-ökonomischen Status als Medizinerin mit einem Doktortitel, die muttersprachlich deutsch ist, bin ich so geschützt, dass ich Rassismus im Praxisalltag seltener erlebe als rassifizierte Pflegekräfte oder medizinische Fachangestellte.”

“Ich kann die Blicke nicht ertragen”

Wenige Kilometer entfernt von Berlin-Mitte hat der Hausarzt Dr. Ayham Darouich seine Praxis. Vor drei Jahren hat sich der Mediziner mit syrischen Wurzeln im Ostberliner Stadtteil Lichtenberg niedergelassen. Doch jetzt möchte er so schnell wie möglich weg. Mal hat er Exkremente im Briefkasten, mal Wasser. Er bekommt rassistische Hassbriefe.

Im vergangenen Jahr wurde eine Fensterscheibe der Praxis eingeschlagen, vor kurzem die gläserne Eingangstür des Hauses, die er mit einem deutschstämmigen Kollegen teilt. Er hat Anzeige erstattet, aber die Polizei hat bislang keinen Täter gefasst. “Die Polizei hat auch niemanden befragt”, sagt er. In der Hoffnung, mögliche Täter abzuschrecken, würde er gerne eine Videoüberwachung installieren. “Aber das ist nicht erlaubt”, sagt er. “Wir sind ausgeliefert.”

Gespräche mit der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, der Ärztekammer und Lokalpolitikern haben leider nichts gebracht, berichtet er. Damit Hausärztinnen und -ärzte Menschen gut versorgen können, ist es wichtig, dass sie vor Angriffen besser geschützt werden. So sollten Niedergelassene genauso vom Strafgesetzbuch geschützt werden wie bald Rettungskräfte, fordert der Hausärztinnen- und Hausärzteverband.

In dem Stadtviertel ist die AfD stark, bei den Europawahlen kam sie auf mehr als 17 Prozent. Der Hausarzt hat in Jena studiert, dort herrschte eine weltoffene Atmosphäre. Im Osten Berlins hingegen mag er jetzt nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. “Ich kann die Blicke nicht ertragen”, sagt er.

Darouich möchte seine Praxis aufgeben. Auch die ökonomische Lage ist schwierig. Privatpatienten gibt es in seiner Praxis kaum – deshalb sei es schwer, einen Nachfolger zu finden. Er kann im Quartal 900 Menschen behandeln, liegt er darüber, wird sein Honorar gekürzt.

Dass seine Patientinnen und Patienten ausfallend werden, sei aber sehr selten. Einmal hörte er einen Mann sagen, er würde sich lieber von einem deutschen Arzt behandeln lassen. Ein anderes Mal erklärte ein Patient, der warten musste und sich ärgerte, er wähle AfD – offenbar in der Annahme, dass der Arzt das als Affront versteht. “Das sind Ausnahmen”, sagt Darouich. “Aber einer reicht, um die Stimmung zu vermiesen.”

Die meisten Patientinnen und Patienten respektierten ihn und zeigten sich dankbar. Aber: In der Anonymität des Internets machen Unbekannte Front gegen den Hausarzt. Sie geben etwa schlechte Bewertungen über ihn ab, die keine Grundlage haben.

“Das ist einer von uns”

Dass es ihm ergeht wie dem Hausarzt im Berliner Osten, ist für Dr. Mohammad Ahmadi aus dem bayerischen Mainstockheim unvorstellbar. Der Hausarzt ist fester Bestandteil der Dorfgemeinschaft, war im Gemeinderat und kennt jeden. “Ich hatte nie das Gefühl, nicht akzeptiert zu werden”, sagt der Landarzt, der in der Oberpfalz groß wurde, nachdem sein Vater aus dem Iran zum Studium nach Deutschland gekommen war.

Als er mit Ende 20 die Praxis seines Schwiegervaters in Unterfranken übernahm, machte der sich Sorgen darüber, welche Wirkung der Name des Schwiegersohns auf die Menschen haben würde. Das war unbegründet, der Nachfolger wurde positiv aufgenommen. Der Hausarzt war allerdings auch bei jeder Kirchweih und jedem Weinfest dabei. “Schnell hieß es: Das ist einer von uns”, berichtet Ahmadi. “Aber die Leute haben mich eben auch als den Schwiegersohn des früheren Arztes gesehen.”

Die Stimmung in Deutschland ist in den vergangenen Jahren rauer geworden, das macht sich auch in seiner Praxis bemerkbar. Die Menschen sind ungeduldiger, fordernder und gereizter geworden, aber nicht rassistisch, berichtet er.

Ihren Unmut lassen manche mitunter an seinen Mitarbeiterinnen aus. “Dann stelle ich mich hinter das Personal”, sagt er. “Da bin ich rigoros.” Hat Ahmadi das Gefühl, bestimmte Themen könnten heikel sein, meidet er diese im Gespräch. Die meisten Menschen seien aber respektvoll. Dass es nicht überall so entspannt zugeht wie in seiner Praxis, ist ihm klar: “Ich weiß, dass ich ein ultimativ positives Beispiel bin.”

Diskriminierung hat viele Adressaten

Doch möglicherweise sind die Erfahrungen des bayrischen Hausarztes gar nicht so ungewöhnlich. Die Mehrheit der Bevölkerung ist weltoffen, gerade auch im ärztlichen Kontext, betont der Präsident der Ärztekammer Hamburg (ÄKHH) Dr. Pedram Emami. “Aber es gibt Leute, über die wir sprechen müssen”, sagt er. “Diskriminierung hat viele Gesichter und viele Adressaten.”

Die ÄKHH hat 2023 als bislang einzige Ärztekammer eine Anlaufstelle gegen Diskriminierung für ihre Mitglieder eingerichtet. In Kliniken Tätige können sich zwar an Beschwerdestellen in Krankenhäusern wenden – was etliche nach Emamis Erfahrung aber nicht machen, weil sie fürchten, dass der Arbeitgeber davon erfahren könnte. “Aber für die ambulanten Kolleginnen und Kollegen gab es keine Anlaufstelle”, sagt er.

Diskriminierung gegen Ärztinnen und Ärzte ist leider noch eine Forschungslücke, sagt der Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Es sei wünschenswert, wenn es bundesweit mehr Anlaufstellen wie die in Hamburg gäbe. Eine Statistik über die bisherige Zahl der Beschwerden führt die Kammer zwar, die Zahlen seien aber noch nicht repräsentativ.

Ein häufiger Grund, warum sich Mediziner an die Anlaufstelle wenden, sind verbale, rassistische Attacken. “Das ist leider weit verbreitet”, sagt Emami. Auch wenden sich beispielsweise Ärztinnen wegen Benachteiligung etwa bei Beförderungen an die Anlaufstelle.

Das Team aus drei Mitarbeitenden hilft, die Ereignisse einzuordnen und prüft, ob ein Berufsordnungsverstoß vorliegen könnte. Dann wird die Kammer tätig. Ist das nicht der Fall, stellen die Mitarbeitenden Kontakt zu Beratungseinrichtungen her, die weiterhelfen. “Die Anlaufstelle hat eine Lotsenfunktion”, erklärt Emami.

Nur wenige mit Handicap

Eine strukturelle Form der Ausgrenzung ist Vergangenheit: Früher war ein “Gebrechen” oder die “Schwäche” der “körperlichen Kräfte” ein Grund, Ärztinnen und Ärzte nicht zuzulassen. Diese krasse Diskriminierung gegenüber Menschen mit einem Handicap ist vorbei, die Vorgaben wurden in der Approbationsordnung geändert. Trotzdem gibt es immer noch wenige Medizinerinnen und Mediziner mit einem sichtbaren Handicap.

Zu ihnen gehört Dr. Leopold Rupp. Er kam mit Diastrophischer Dysplasie zur Welt und sitzt im Rollstuhl. Er kommt aus einer Arztfamilie, seine Eltern haben eine Hausarztpraxis in Schleswig-Holstein. Sein Handicap stand seinem Berufswunsch nicht entgegen. “Für mich war klar: Das wird schon klappen”, sagt er.

Der einstige Spitzensportler, der 2012 als Sportschütze an den Paralympics teilgenommen hat, hat seine Entscheidung nicht bereut. Er hat an der Berliner Charité studiert. Dort sind viele Hörsäle barrierefrei, weil früher Patientinnen und Patienten in Betten hineingefahren wurden. Beim Präparieren an Stehtischen allerdings gab es Probleme, da musste improvisiert werden. Jetzt arbeitet er in der Notaufnahme der Charité.

Für das Kollegium und die meisten Patientinnen und Patienten ist es kein Thema, dass sie von einem Mediziner im Rollstuhl behandelt werden. “Nur einmal hatte ich einen Alkoholisierten, der es witzig fand, dass ich im Rollstuhl sitze”, erzählt er. Dem hat er klar gemacht, dass das zu weit geht. Glaubt er, dass ein Patientenkontakt kritisch werden könnte, stellt er sich mit seinem Doktortitel vor.

Rupp wird Facharzt für Allgemeinmedizin. Er kann sich vorstellen, eines Tages die Hausarztpraxis seiner Eltern oder eine andere zu übernehmen. Eines allerdings sieht er als großes Problem: die fehlende Barrierefreiheit in vielen Praxen. “Das ist absurd in einer alternden Gesellschaft”, sagt er. Nach einer Untersuchung der Stiftung Gesundheit ist bundesweit mehr als jede zweite Hausarztpraxis nicht barrierefrei.

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