PraxisführungQuereinstieg: Weitere Quelle für den steigenden Hausärztebedarf

Ärztinnen und Ärzte, die einmal richtig Luft in einer Hausarztpraxis geschnuppert haben, sind oft beeindruckt und begeistert von der spannenden und interessanten Arbeit. Wenn sie mehr davon wollen, bietet sich der Quereinstieg in die Allgemeinmedizin an. Neben der Weiterbildung ist das ein weiterer Weg, den aktuell wachsenden Bedarf in der hausärztlichen Versorgung zu lindern.

Viele Quereinsteigerinnen und -einsteiger waren vorher in der Klinik tätig.

Während nach Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (von 2016) im Jahr 2030 bundesweit rund 10.500 Hausärztinnen und Hausärzte fehlen sollen, gibt es in der Ärzteschaft eine für die Allgemeinmedizin weitere Quelle, die neben der Weiterbildung helfen kann, den steigenden Bedarf kurzfristig zu lindern: Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger in die Allgemeinmedizin. Gelernte Fachärztinnen und -ärzte aus Chirurgie, Anästhesie oder Gynäkologie könnten nach einer entsprechenden Weiterbildung die angespannte Versorgungslage verbessern.

Allerdings ist kaum zu ermitteln, wie viele bundesweit tatsächlich den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin wagen, geschweige denn woher sie kommen und was sie dazu bewegt. Die Bundesärztekammer habe dazu keine Daten, sagte sie “Der Hausarzt”. Einen kleinen Einblick geben Umfragen der Kompetenzzentren, sagt Dr. Simon Schwill, Leiter des Zentrums in Baden-Württemberg (siehe Artikel “Quereinsteiger sind oft Machertypen“).

Viele aus Anästhesie und Chirurgie

Die KV Hessen teilt auf Anfrage mit, die Zahlen seien höchstens händisch zu ermitteln, dies sei sehr aufwändig. Seit 2019 bis Mitte März 2024 hätten 228 Ärztinnen und Ärzte den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin gestartet, teilt die KV Rheinland-Pfalz mit.

Die Top-3-Fachgruppen, die den Quereinstieg begonnen hätten, kamen aus der Anästhesie, der Chirurgie (auch Orthopäden, Viszeralchirurgie etc.) und der Inneren Medizin ohne Schwerpunkt. Tiefergehende Zahlen gebe es nicht oder seien nur schwer zu ermitteln.

In Niedersachsen können Fachärztinnen und Fachärzte anderer Gebiete seit 2018 den Quereinstieg in die Allgemeinmedizin wählen. Zwar liegen Zahlen der Weiterbildungsförderung in Niedersachsen vom April 2023 vor.

Zu diesem Zeitpunkt waren 405 Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) im Kompetenzzentrum zur Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin Niedersachsen (KANN) eingeschrieben – 103 von ihnen als Quereinsteiger. Allerdings: Es sind nicht alle ÄiW auch bei KANN eingeschrieben, sondern nur etwa die Hälfte. Nach Angaben von KANN steigen vor allem Fachärztinnen und -ärzte aus Anästhesie und Chirurgie um.

Welche Erfahrungen bringen sie mit in die hausärztliche Versorgung? Was erleben sie im Zusammenhang mit dem Quereinstieg? Was reizt sie? Was befürchten sie? “Der Hausarzt” sprach mit zwei Quereinsteigern und einer Quereinsteigerin über ihre Erfahrungen und Wünsche an die hausärztliche Medizin.

Dr. Sven Windhorst zum Beispiel. Dem 36-Jährigen erging es anders als gedacht. “Ich wollte ein großer Chirurg in der Großstadt werden und mache nun meine Weiterbildung in der Hausarztpraxis meiner Eltern auf dem Land, also da, wo ich ursprünglich nicht hinwollte”, lacht er.

Doch der Klinikbetrieb und die Facharztausbildung in einem Frankfurter Krankenhaus machten ihn unzufrieden – ein Leben lang konnte er sich das nicht vorstellen. Da wuchs der Wunsch nach der klassischen Hausarztpraxis – in diesem Fall im westfälischen Vlotho, einem 20.000-Einwohner-Städtchen zwischen Hannover und Bielefeld.

“Außerdem war klar, dass meine Eltern irgendwann aufhören wollen”, sagt Windhorst. Die Praxis zu verkaufen, sei schwierig, und sie einfach zu schließen, sei zu schade. Also entschloss sich Windhorst, selber noch einmal Weiterzubildender zu werden – bei seinen Eltern.

Kein Wunder, dass er in der heimischen Praxis, die nach 30 Jahren quasi in den Ort eingewachsen ist, sehr willkommen ist. Zeitgleich zur Weiterbildung Allgemeinmedizin begann er eine Stelle als Oberarzt in einer Notaufnahme, nach zwei Jahren entschied er sich dann entgültig und Vollzeit für das Hausarztdasein. Nun wird er bald Hausarzt in Vlotho sein.

Um die Hausarztmedizin ist ihm nicht bange. Denn gegenüber dem Klinikalltag punkte die Hausarztpraxis mit flexibleren Arbeitsbedingungen. Das Fach sei “ungemein attraktiv”, daher brauche man es nicht anzupreisen “wie Sauerbier”. “Die Leute können selber sehen, dass die Allgemeinmedizin ein cooles und spannendes Fach ist”, ist Windhorst überzeugt.

Sorgen habe ihm vor dem Umstieg die Bürokratie eines Praxisbetriebs gemacht. Und hier sieht er auch noch Verbesserungspotenzial. Er würde sich daher wünschen, dass der von Politikern viel angekündigte Bürokratieabbau bald in der Hausarztpraxis ankommt.

Vom ärztlichen Direktor in die Praxis

Eine ganz andere Perspektive hat der Anästhesist und Intensivmediziner Dr. Marc Wrobel. Der Sprung, den er in die Allgemeinmedizin gemacht hat, lässt sich kaum größer vorstellen – vom Sessel des ärztlichen Direktors eines Krankenhauses auf eine Weiterbildungsstelle in die Hausarztpraxis im saarländisch-ländlichen Freisen (8.300 Einwohnende).

Allerdings war sein Wunsch nach Veränderung auch sehr groß. Denn ständig fehlte ihm das Personal, um den Betrieb qualitativ vertretbar aufrecht zu erhalten. So habe er auf der Intensivstation zum Beispiel immer wieder Patientinnen und Patienten aufnehmen müssen, “obwohl wir wussten, dass wir dafür das Personal eigentlich nicht hatten”, berichtet Wrobel. “Wir haben oft auf der allerletzten Rille gearbeitet.”

Seine Entscheidung, in die Niederlassung zu wechseln, brachte auch in anderer Hinsicht eine große Umstellung: Schließlich wurde der Chef zum Assistenten und musste nun weisungsorientiert arbeiten. “Da braucht man Selbstbewusstsein”, sagt Wrobel denn auch.

“Schließlich war ich Chefarzt eines Krankenhauses mit 300 Betten.” Jetzt muss er sich wieder nach den Anweisungen seiner Chefs richten. Und zu lernen gibt es einiges: Wie funktioniert eine Krankschreibung? Wie werden Reha- und Kuranträge ausgefüllt? Wie macht man eine Vorsorgeuntersuchung? Aber gerade wegen der Vielseitigkeit hat er sich für den Hausarztberuf entschieden. “Er hat von allem etwas und ich bin froh über mein eigenes Spektrum, das ich anbieten kann”, erzählt Wrobel.

Letztlich sei der Rollenwechsel gut zu überwinden gewesen. “Denn glücklicherweise habe ich über Beziehungen sehr kompetente Hausärzte kennengelernt, die dann zu meinen Mentoren geworden sind”, sagt Wrobel. Sie hätten “extrem viel Fachwissen” zu bieten. “Da habe ich gesehen: Von denen kannst du lernen”, berichtet Wrobel.

Dass seine Chefs nur wenig älter sind als er selber, habe die Sache zusätzlich erleichtert. Denn anders als womöglich mit sehr viel jüngeren oder älteren Vorgesetzten, verbinde sie eine ähnliche Einstellung zur Personalführung. “Ein Bestimmen von oben nach unten, wie was wann zu machen ist, habe ich nicht erlebt”, erzählt Wrobel. Kurz: Das Zwischenmenschliche müsse stimmen, “das ist bei der Weiterbildung ganz wichtig!”

Praxisspektrum wird erweitert

Dass ein Quereinstieg für Praxen wie betreute Menschen ein Gewinn sein kann, zeigt Hausärztin Dr. Sigrid Schönhauser-Reyerding. Für sie war der Wechsel aus der Praxis für Gynäkologie und Geburtshilfe in die Hausarztpraxis ihres Mannes gewissermaßen eine familiäre Angelegenheit. “Mein Mann und ich wollten einfach zusammenarbeiten”, berichtet die heute 53-Jährige.

Nach vielen Jahren Tätigkeit als Gynäkologin in einer Praxis in Münster kam bei ihr der Wunsch auf, sich selbstständig und gleichzeitig die Arbeit familienkompatibler zu machen. “So entschied ich mich für den Quereinstieg, um meinen Mann bei seiner Arbeit zu unterstützen und mit meiner bisherigen beruflichen Erfahrung als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe das familienmedizinische Spektrum unserer Praxis zu erweitern”, berichtet sie.

“Die Arbeit als Frauenärztin gefällt mir nach wie vor sehr gut und so ist der Quereinstieg für mich eine Erweiterung meiner Tätigkeit. So gesehen hätte ich vielleicht den Quereinstieg nicht gemacht, wäre mein Mann nicht Hausarzt in der eigenen Praxis”, sagt sie. In dieser Konstellation jedoch, hat sich schließlich die Weiterbildung zur Hausärztin als ein Glücksgriff für das Arztehepaar herausgestellt.

“Vielseitig, spannend, immer neu”

Das Ganze liegt nun schon einige Jahre zurück, die Ärztin begann 2015 mit ihrer hausärztlichen Tätigkeit. “Die Allgemeinmedizin ist ein riesiges Fachgebiet, umfangreicher als die Gynäkologie”, berichtet sie. Die Aufgaben seien vielseitig, spannend und immer wieder komme was Neues – leider auch mit erheblicher Bürokratie verbunden.

Natürlich gab es in dem neuen Rahmen eine Lernkurve zu bewältigen, die sie in dem Maße als angestellte Ärztin nicht brauchte, wie zum Beispiel die Betreuung der Mitarbeiterinnen, das Befassen mit dem Abrechnungssystem, der Praxisverwaltung und -Organisation, Digitalisierung und so weiter.

Im Prinzip habe sie gewusst worauf sie sich einlasse, schließlich lebt sie mit einem Hausarzt zusammen. Welche Träume sich nicht erfüllt haben? “Da fällt mir nichts ein!”

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