Seit einigen Jahren wird die Betreuung älterer Patienten zunehmend mit dem Begriff "Geriatrie" belegt. Interessenvertreter, die eine Stärkung der "Geriatrie" fordern, meinen damit nicht in erster Linie, dass die Versorgung der älteren Menschen stärker in den Mittelpunkt gerückt werden solle, sondern dass eine Spezialisierung in diesem Versorgungsbereich nötig ist.
Es herrscht sicherlich Einigkeit darüber, dass spezifische Aspekte der Versorgung älterer Patienten zum Beispiel bei der Arzneimitteltherapie Berücksichtigung finden und gegebenenfalls individuell im Rahmen der Fortbildung freiwillig Kompetenz aufgefrischt werden sollte – wenn nötig.
Abzulehnen ist hingegen, die Unterstellung, dass Hausärztinnen und Hausärzte ein generelles Kompetenzdefizit bei der Versorgung älterer Patienten haben und deswegen zum Beispiel für die Abrechnung von EBM-Leistungen im Bereich Geriatrie verpflichtende Fortbildung nachweisen müssen.
Befeuert wird die Diskussion durch die Einführung neuer EBM-Positionen für ein "Weiterführendes geriatrisches Assessment" seit 1. Juli 2016, das ausschließlich spezialisierte Ärzte mit Zusatzbezeichnung oder Schwerpunkt Geriatrie erbringen können. In "Der Hausarzt" 10 vom 5. Juni wurde dies bereits kritisch kommentiert. Außerdem ist seit 1. Oktober 2015 die Vereinbarung nach Paragraf 118a SGB V in Kraft (Geriatrische Institutsambulanzen – GIA), die GKV, KBV und Deutsche Krankenhausgesellschaft geschlossen haben. Sie regelt die Zulassung für geeignete Kliniken ambulante – insbesondere diagnostische – Leistungen durch geriatrisch weiterqualifizierte Ärzte zu erbringen.
Bereits ein Blick auf die Zahl der spezialisiert geriatrisch weiterqualifizierten Ärzte zeigt aber, dass auf diese Weise keine flächendeckende Versorgung gesichert werden kann. Nur 1.776 Ärzte haben bislang die Zusatzbezeichnung erworben und nur 79 Internisten die Schwerpunktbezeichnung Geriatrie – deutschlandweit. Auch die regionale Verteilung der spezialisierten Geriatrie in der Weiterbildungsordnung ist heterogen. Die Landesärztekammern Berlin und Brandenburg haben einen Schwerpunkt Geriatrie im Gebiet Innere Medizin eingeführt, in der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Rheinland-Pfalz gilt dies zusätzlich in den Gebieten Allgemeinmedizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie.
Ist es denn inhaltlich notwendig, eine Spezialisierung der Geriatrie voranzutreiben? Ganz sicher nicht für die umfassende Behandlung und Betreuung älterer Patienten. In der Weiterbildungsordnung Allgemeinmedizin sind alle notwendigen Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten enthalten. Vielmehr würde eine zusätzliche Spezialisierung ganz überwiegend im stationären Sektor stattfinden, und damit die wesentlichen Aspekte wie u.a. den Einbezug des sozialen Umfeldes (siehe auch S. 17) unberücksichtigt lassen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als 75 Prozent der Ärzte mit Zusatzqualifikation sind stationär tätig.
Eine Spezialisierung im Bereich der geriatrischen Diagnostik kann aber auch die geriatrische hausärztliche Versorgung unterstützen. Neue aufwändige Assessmentverfahren sind vielleicht auch sinnvoll in Praxen von zusätzlich qualifizierten Geriatern, aber nur wenn sie auf Überweisung von Hausärzten veranlasst werden.
Fazit: Die Zusatzqualifikationen sind in der Welt – es gilt diese nun für die hausärztliche Versorgung, wo die älteren und geriatrischen Patienten umfassend versorgt werden, nutzbar zu machen. Als Vorbild kann die Vereinbarung zu Paragraf 119a SGB V gelten, wo klar geregelt ist, dass Geriatrische Institutsambulanzen nur auf Überweisung und nicht "initiativ akquirierend" tätig werden können und auf Diagnostik beschränkt bleiben.
Lesen Sie dazu auch den Artikel "Gefecht um Geriatrie" von Dr. Silvia Noller sowie den Kommentar "Wir müssen regionale Strukturen fördern" von Monika Buchalik!