Erfurt/Berlin. Eine Änderung der Musterberufsordnung, die eine Lockerung des bislang geltenden ausschließlichen Fernbehandlungsverbots beinhaltet, wird vom Deutschen Ärztetag in den kommenden Tagen wohl grünes Licht erhalten. Zwar spreche er lieber von “Fernkonsulation” als von “Fernbehandlung”, betonte Dr. Stephan Hofmeister, Vize-Vorstandsvosritzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), bei der Vertreterversammlung am Montag (7. Mai). “Ich würde jedem Patienten von einer Therapie abraten, bei der der Behandler keine umfassende körperliche Untersuchungen gemacht hat.” Aber: Das sei bereits gelebte Realität, wenn etwa am Telefon über den Blutzucker gesprochen wird. Die Änderung der Musterberufsordnung unterstütze die KBV darüber hinaus “voll”, auch weil die Neuregelung für die116117 nötig sei.
„Eine Konsultation am Telefon, auch bei unbekannten Patienten, ist für uns elementar, weil wir mit der 116117 die Reform des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes unterfüttern wollen”, erklärte Hofmeister in der VV. “Wir werden die 116117 nach dem 24/7-Prinzip schalten und sie mit den Terminservicestellen und den Portalpraxen verbinden.” All dies sei jedoch nur möglich, wenn entsprechende gesetzliche Regelungen angepasst würden.
Verbraucherschützer positionieren sich dafür
Die Verbraucherzentralen befürworten eine stärkere Freigabe von Arzt-Behandlungen über das Internet als „sinnvolle Ergänzung” der Versorgung vor Ort. „Es wäre nur zeitgemäß, wenn Patienten auch ohne persönlichen Erstkontakt einen Arzt in einer Videosprechstunde kontaktieren könnten”, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller. Beide Seiten könnten davon profitieren: „Patienten sparen sich Wege und Wartezeiten, Ärzte werden entlastet.”
Fernbehandlungen müssten aber freiwillig bleiben, mahnte der vzbv-Chef. Auch in ländlichen Regionen mit Ärztemangel dürften sie „nur eine zusätzliche Option und kein Ersatz für die ärztliche Versorgung vor Ort sein”. Aufgehoben werden sollte in diesem Zusammenhang auch das gesetzliche Verbot, Arzneimittel bei Fernberatungen zu verordnen. „Es ist absurd, wenn Patienten ihren Arzt zwar per Videochat kontaktieren können, das Rezept dann aber in der Praxis abholen müssen.”
“…wenn dies ärztlich vertretbar ist”
Nicht nur bei Verbraucherschützern, auch ersten Stimmungsbildern aus Erfurt zeichnet sich demnach ein deutliches Meinungsbild ab: Die geplante Reform des bislang geltenden ausschließlichen Fernbehandlungsverbots könnte in den kommenden Tagen durchaus grünes Licht bekommen. Der persönliche Arzt-Patienten-Kontakt soll jedoch die Regel bleiben.
Bisher sind im bundesweiten Berufsrecht „ausschließliche” Behandlungen von Patienten über Kommunikationsmedien untersagt. Laut der entsprechenden Beschlussvorlage des Vorstands der Bundesärztekammer (BÄK) soll dies künftig „im Einzelfall” erlaubt werden – wenn es ärztlich vertretbar und die Sorgfalt gewahrt ist. Paragraf 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung soll entsprechend geändert werden.
“Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen”, heißt es im BÄK-Vorstoß, der der Redaktion von „Der Hausarzt” vorliegt. „Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.”
Persönlicher Kontakt bleibt “Goldstandard”
Sowohl Ärzte als auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatten bekräftigt, dass der persönliche Kontakt nicht untergraben werden dürfe. Die Ergänzung des Behandlungsalltags durch telemedizinische Angebote erachte er prinzipiell als sinnvoll, machte Spahn jüngst in einem Interview mit der FAZ deutlich. Aber: „Der Goldstandard ist und bleibt die direkte ärztliche Behandlung.”
Spahn argumentierte im Interview auch damit, dass bereits Unternehmen – Google, Amazon und Co – in den Startlöchern stehen. “Der Markt ist da! Ob uns das passt oder nicht, ist gar nicht die Frage. Die Bevölkerung will es”, sagte auch Dr. Norbert Metke, Chef der KV Baden-Württemberg am Montag in der KBV-Vertreterversammlung. “Wer füllt das Vakuum? Wir – unter den Vorgaben der Kammern – oder irgendwelche Fremdanbieter? Wollen wir denn, dass Produkte- und Pharmahersteller Patienten beraten? Wir müssen die Lücke, die die Bevölkerung aufgetan hat, füllen!” Die Delegierten sollten diese Marktlücke nicht freigeben, sondern besetzen, plädierte er. “Sie sichern damit den Bestand unserer eigenen Praxen!”
BÄK-Präsident Prof. Frank Ulrich Montgomery erläuterte: „Ärzte, die fernbehandeln, müssen sich an dieselben Kriterien der Berufsordnung halten wie bei einer klassischen direkten Behandlung.” Sie müssten Patienten über Chancen und Grenzen des digitalen Kommunikationswegs aufklären. Ein Arzt müsse zudem sicher sein, dass ein Patient versteht, was er aus der Distanz mit ihm bespricht.
Ein Beispiel: Hauterkrankungen
Als Beispiel für mögliche Fernbehandlungen nannte der Ärztepräsident Hauterkrankungen. So könnten Patienten Bildaufnahmen schicken oder per Kamera zeigen, sodass ein Arzt sagen könne: „Da musst du morgen in die Klinik.” Oder: „Das können wir uns auch in zwei Monaten bei einer normalen Untersuchung angucken.”
Für Online-Sprechstunden könne es feste Termine geben. „Man kann auch zwischendurch vielleicht schnell etwas elektronisch erledigen. Zwischen einer stark frequentieren Allgemeinarztpraxis und der Spezialpraxis eines Radiologen wird es sicher Unterschiede geben.”
Mit Material von dpa