Der Offene Brief im Wortlaut
Berlin, 29. Juni 2018
Sehr geehrte Frau Dr. Pfeiffer,
sehr geehrter Herr von Stackelberg,
sehr geehrter Herr Kiefer,
mit Ihren Aussagen der vergangenen Wochen haben Sie unter den Hausärztinnen und Hausärzten für Empörung und Unverständnis gesorgt. Ihre zunehmenden Bestrebungen, unmittelbar in den Praxisalltag der Ärztinnen und Ärzte einzugreifen, beispielsweise im Rahmen der Ausgestaltung der Sprechstundenzeiten, sind ein Versuch, den freien Beruf des Arztes zu normieren. Diesem Versuch stellen wir uns als Verband entschieden entgegen.
Gleichzeitig wehren wir uns gegen Behauptungen, die nahelegen, dass die Probleme bei der Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung aus einer mangelnden Leistungsbereitschaft der Hausärztinnen und Hausärzte resultieren. Ihre Aussagen belegen eine zunehmende Entfremdung Ihrer Organisation mit dem Versorgungsalltag.
Die Arbeitsbelastung der Hausärztinnen und Hausärzte ist seit vielen Jahren konstant hoch. Auch jüngste Erhebungen zeigen, dass eine Hausärztin / ein Hausarzt durchschnittlich 53 Stunden pro Woche arbeitet. Gründe für die hohe Belastung sind neben der steigenden Morbidität der Bevölkerung sowie der Tatsache, dass sich nach wie vor deutlich zu wenig junge Menschen für den Hausarztberuf entscheiden, ganz wesentlich auch die stetig zunehmende bürokratische Belastung. Zu dieser tragen die Krankenkassen maßgeblich bei! Anstatt also die Hausärztinnen und Hausärzte aufzufordern, zukünftig weitere Sprechstunden samstags und spätabends anzubieten, sollten Sie dafür sorgen, dass Sie die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen nicht durch überbordende bürokratische Regularien von der Versorgung der Patientinnen und Patienten abhalten. Übrigens verkennen Sie bei Ihren Ausführungen, dass viele Kolleginnen und Kollegen schon heute, beispielsweise im Rahmen des Notdienstes, an den Wochenenden die Versorgung der Patienten sicherstellen.
Ihr Verband maßt sich zunehmend an, darüber bestimmen zu können, wie die Kolleginnen und Kollegen den Arbeitsalltag in ihren Praxen zu organisieren haben, beispielsweise wann sie Sprechstunden anbieten sollen oder ab welcher Praxisgröße Hausärzte Leistungen an medizinische Fachangestellte delegieren dürfen. Die hohe gesellschaftliche Verantwortung, die die Hausärztinnen und Hausärzte tragen und der der überragende Teil von ihnen umfassend nachkommt, darf von den Krankenkassen nicht als Einfallstor für eine ausufernde Reglementierung des freien Arztberufes missverstanden werden!
Ihr Bestreben, sich in diesem Zusammenhang als Interessenvertreter der Patientinnen und Patienten zu profilieren, ist nicht nur ein Versuch, Ärzte und ihre Patienten gegeneinander auszuspielen, sondern beißt sich auch mit der Realität von Millionen Versicherten. Diese erleben tagtäglich, wie die Krankenkassen bei notwendigen Leistungen, beispielsweise im Heilmittelbereich, auf ihre Kosten versuchen zu sparen. Der GKV-Spitzenverband, als Dachorganisation der gesetzlichen Krankenkassen, ist angehalten, sich auf seine ihm gesetzlich auferlegten Aufgaben zu konzentrieren und von einem weiteren Hineinregieren in den Praxisalltag abzusehen!
Zweifelsohne gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte bei der Stärkung der hausärztlichen Versorgung. Dies umfasst beispielsweise den Ausbau der Hausarztverträge oder die Verbesserung der Förderung junger Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin. Leider mussten die meisten dieser Maßnahmen jedoch ohne Ihre Unterstützung, teilweise sogar gegen Ihren expliziten Widerstand, durchgesetzt werden. Anstatt mit dem Finger auf die Ärzteschaft zu zeigen, wäre es an der Zeit, Ihre eigene Rolle und Ihre Positionen zu hinterfragen. Bei dem Thema Hausbesuche hat anscheinend bereits ein Umdenken eingesetzt.
Um auch zukünftig eine qualitativ hochwertige und flächendeckende hausärztliche Versorgung sicherzustellen, fordere ich Sie auf, von weiteren Schuldzuweisungen gegenüber den Hausärztinnen und Hausärzten abzusehen und stattdessen innerhalb der Selbstverwaltung für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen einzutreten, die sich am gesellschaftlichen Bedarf orientieren. Dazu zählen insbesondere
- die Entbudgetierung typisch hausärztlicher Leistungen wie Hausbesuche, Geriatrie, Palliativmedizin und Gesprächsleistungen
- die Vergütung von Hausbesuchen, die auf einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation, vergleichbar mit der bei technischen Leistungen, basiert
- die Stärkung der auf Pauschalen basierenden Hausarztverträge, als Alternative zu der überkomplexen EBM-Systematik
- eine gemeinsame Initiative von Krankenkassen und Ärzteschaft zur nachhaltigen Bekämpfung des Bürokratiewahnsinns in den Praxen.
Ich hoffe, dass die aktuellen Auseinandersetzungen Anlass dafür geben, dass der GKV-Spitzenverband wieder zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zurückkehrt.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Weigeldt