Berlin. Die Verordnung von Heilmitteln soll für Hausärzte deutlich einfacher werden, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am Donnerstag (19.9.) in Berlin beschlossen. Einen Haken gibt es jedoch: Die Änderungen sollen erst ab Oktober 2020 greifen. Bürokratie würde zwar tatsächlich abgebaut, dabei würde aber verschwiegen, dass mit einigen neuen Vorgaben das Regressrisiko für Ärzte zunimmt, kritisiert Abrechnungsexperte Dr. Gerd W. Zimmermann vom Deutschen Hausärzteverband (s. Kommentar).
Den Beschluss zur Änderung der Heilmittelrichtlinie hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einer Übersicht zusammengestellt. KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister rechnet damit, dass Arztpraxen „spürbar entlastet“ werden. Insgesamt soll die Richtlinie entschlackt werden und leichter zu verstehen sein.
Zudem verhandelt die KBV noch mit den Kassen darüber, dass es ab Oktober 2020 nur noch ein statt drei Formulare zur Heilmittelverordnung gibt. Die Gespräche sollen bis Ende des Jahres dauern.
Das ändert sich in der Heilmittel-Richtlinie laut KBV-Angaben:
- Es gibt nur noch einen Verordnungsfall und eine orientierende Behandlungsmenge, von der Ärzte nach medizinischem Bedarf aber abweichen können. Die bisherige Splittung von Erst-, Folgeverordnung und Verordnung außerhalb des Regelfalls wird gestrichen. Ein Verordnungsfall umfasst alle Heilmittelbehandlungen für einen Patienten aufgrund derselben Diagnose und derselben Diagnosegruppe, auch wenn sich während der Behandlung die Leitsymptomatik ändert. Treten im zeitlichen Zusammenhang mehrere voneinander unabhängige Diagnosen derselben oder unterschiedlicher Diagnosegruppe(n) auf, kann dies weitere Verordnungsfälle auslösen, für die jeweils separate Verordnungen auszustellen sind.
- Durch diese Änderungen entfällt auch die Genehmigung durch die Kassen, die bislang noch bei einigen Verordnungen außerhalb des Regelfalls nötig sind. Stattdessen müssen Ärzte nur noch in der Patientenakte begründen, warum sie von der orientierenden Behandlungsmenge abweichen.
- Der Verordnungsfall (und die Behandlungsmenge) bezieht sich immer auf den ausstellenden Arzt. So entfallen künftig zeitraubende Abstimmungen mit anderen Ärzten. Das ist besonders für das Zeitintervall interessant (s. nächster Punkt).
- Künftig entsteht ein neuer Verordnungsfall, wenn die vorherige Verordnung mehr als sechs Monate zurückliegt. Ist die Zeitspanne kürzer gilt der bisherige Verordnungsfall und die orientierende Behandlungsmenge weiter, von dieser kann aber individuell abgewichen werden (s. Punkt 1). Für den Zeitpunkt ausschlaggebend ist das Datum des letzten Rezepts. Da sich die Regelung nur noch auf den verschreibenden Arzt bezieht, sind Heilmittelrezepte von anderen Ärzten nicht mehr zu berücksichtigen. Somit kann künftig die Praxissoftware die Zeitabstände zwischen den Verordnungen einfach ermitteln. Die bislang komplizierte Vorgabe zum „behandlungsfreien Intervall“ von zwölf Wochen gehört damit der Vergangenheit an.
- Erhalten bleiben die Verordnungen für den langfristigen Heilmittelbedarf (Paragraf 32 Absatz 1a SGB V), dessen Diagnosen in Anlage 2 der Heilmittel-Richtlinie gelistet sind, sowie die Diagnosegruppen, die einen besonderen Verordnungsbedarf (Paragraf 106b Absatz 2 Satz 4 SGB V) der Versicherten begründen. Bei beiden müssen Ärzte die orientierende Behandlungsmenge nicht berücksichtigen. Sie können die Behandlung für bis zu zwölf Wochen verschreiben. Sofern sie eine Frequenzspanne angeben, ist dafür “der höchste Wert für die Bemessung der maximalen Verordnungsmenge maßgeblich”, heißt es im G-BA-Beschluss. Tipp: Die Heilmittel-Spickzettel (s. Kasten) erleichtern die Übersicht über die Diagnosen für den langfristigen Heilmittelbedarf und den besonderen Verordnungsbedarf.
- Die Behandlung kann künftig innerhalb von 28 Tagen nach Ausstellung des Rezepts beginnen, bisher sind 14 Tage vorgeschrieben. Zudem sollen Ärzte einen dringlichen Bedarf (innerhalb von 14 Tagen) auf dem Rezept vermerken können.
- Künftig kann die Verordnung mehrere Leitsymptomatiken enthalten. Ärzte können diese auch individuell formulieren, diese müssen dann aber die Leitsymptomatik des Heilmittel-Katalogs widerspiegeln.
- Neben der Ergotherapie können künftig auch bei Physio-, Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie bis zu drei Heilmittel verschrieben werden.
- Die Schlucktherapie wird ein eigenes Heilmittel.
Heilmittelkatalog wird übersichtlicher
Ebenso wird der Heilmittelkatalog, der zur Richtlinie gehört, gestrafft: Die Physiotherapie wird von 22 auf 13 Diagnosegruppen reduziert. Innerhalb der Diagnosegruppen wird nicht mehr zwischen kurz-, mittel- und längerfristigem Behandlungsbedarf unterschieden. Stattdessen werden hier jetzt “Höchstmengen je Verordnung” und die “orientierende Behandlungsmenge” genannt.
Die Mengen von Vor-Verordnungen für verwandte Diagnosegruppen werden nicht mehr einbezogen. Ebenso wird der Wechsel zwischen verwandten Diagnosegruppen (WS1 auf WS2) überflüssig.
Der Katalog enthält künftig Frequenzspannen (1-3/Woche), wodurch zeitraubende Abstimmungen zwischen Therapeuten und Ärzten wegfallen. Die optionalen werden in die vorrangigen Heilmittel aufgenommen, sodass nur noch vorrangige und ergänzende Heilmittel zur Wahl stehen.
Nun prüft das Bundesgesundheitsministerium den G-BA-Beschluss. Sofern es diesen nicht beanstandet, können die Softwareanbieter mit der Programmierung der Änderungen beginnen.