OTC-PräparateWas denken Ihre Patienten über rezeptfreie Medikamente?

Was assoziieren Patienten mit "rezeptfrei"? Wann greifen sie zu OTC-Präparaten? Und täuscht sie deren leichte Verfügbarkeit über mögliche Nebenwirkungen hinweg? Eine Studie hat die Einstellungen hausärztlicher Patienten untersucht.

Studien zeigen, dass bis zu 48 Prozent der Bundesbürger regelmäßig rezeptfreie Arzneimittel konsumieren.

In allen westlichen Ländern ist der Konsum rezeptfreier Medikamente, sogenannter Over-the-counter-Produkte (OTC), kontinuierlich gestiegen [1-3]. So belegen US-amerikanische Untersuchungen, dass gerade jüngere Bürgerinnen und Bürger verbreitet zu rezeptfreien Analgetika wie Paracetamol und Ibuprofen greifen, sich aber möglicher Nebenwirkungen oft nicht bewusst sind [3, 4].

In Deutschland unterteilen wir rezeptfreie Arzneimittel in apothekenpflichtige und frei verkäufliche Präparate. Studien zufolge belaufen sich die jährlichen Ausgaben der deutschen Bevölkerung für rezeptfreie Arzneimittel auf rund sechs Milliarden Euro. Knapp vier Fünftel dieses Betrags werden für Medikamente zur Selbstmedikation ausgegeben [5-8].

Studien zeigen, dass bis zu 48 Prozent der Bundesbürger regelmäßig rezeptfreie Arzneimittel konsumieren, wobei dies manchmal mehr als drei Präparate pro Tag sind [7, 9]. Nichtsteroidale Antirheumatika und andere Schmerzmittel, die rezeptfrei erhältlich sind, stellen die am häufigsten genutzte Gruppe dar [5, 10]; parallel steigt der Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitaminen oder Mineralstoffen rapide [5].

Vorteile und Gefahren

Richtig angewendet, können rezeptfreie Arzneimittel Vorteile mit sich bringen [2, 9]. So stärken sie potenziell das Empowerment, die Eigenverantwortung und Souveränität von Patienten. Zudem ermöglichen sie ein hohes Maß an Unabhängigkeit, da Erwerb und Konsum keine verpflichtende Rücksprache mit dem Arzt oder Apotheker erfordern.

Durch diese vereinfachte Versorgungskette ergeben sich für die Patienten und das Gesundheitswesen eine Kosten- und Zeitersparnis [1, 8, 11].

Dennoch birgt eine solche Form der Selbstmedikation nicht zu unterschätzende Gefahren, die vor allem bei einer Kombination verschiedener Präparate und damit einhergehenden Wechselwirkungen auftreten können [12].

Dies gilt vor allem für multimorbide Patienten, die zum Beispiel bereits eine Grundschmerzmedikation (etwa gegen chronifizierten Schmerz) erhalten [1]. Auch kann ein zu leichtfertiger Umgang mit OTC-Präparaten zu einer übertriebenen Einnahme und damit verbundenen Negativeffekten führen [3].

So besteht die Gefahr, dass die Klassifizierung als “rezeptfrei” bei einem Teil der Patienten zur fälschlichen Annahme führt, dass diese Medikamente weniger stark wirksam und daher weniger schädlich seien. Verstärkt um den Wunsch, schnellstmögliche Behandlungserfolge zu erzielen, kann es passieren, dass Maximaldosierungen oder andere Empfehlungen im Beipackzettel ignoriert werden.

Nicht selten verzichten Konsumenten von OTC-Präparaten auf eine Rücksprache mit Arzt oder Apotheker, was jedoch gerade im Fall von Polypharmazie für die Patienten entscheidend sein kann [13]. Auch bei minderjährigen Patienten besteht eine erhöhte Gefahr, wenn Medikamente ohne ärztliche Konsultation eingenommen werden [1, 11].

Da gerade im deutschsprachigen Raum Studien aus der (primär-)ärztlichen Versorgung fehlten, die Einstellungen, Eigenschaftszuschreibungen und Nutzungsmuster bei Patienten in Bezug auf rezeptfreie Medikamente fokussieren, hat die Abteilung Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Mainz in den Jahren 2021 und 2022 eine schriftliche Wartezimmerbefragung durchgeführt.

Teilgenommen haben insgesamt 900 Patienten in 60 Hausarztpraxen in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz.

OTC-Produkte sind beliebt

65 Prozent der Befragten geben an, OTC-Medikamente häufig oder gelegentlich zu verwenden. Vor allem die Apotheke ist ein Ort zum Erwerb rezeptfreier Arzneimittel, aber in zunehmendem Maße auch das Internet.

46 Prozent geben an, üblicherweise vor dem Kauf bzw. der Einnahme von OTC-Präparaten keinen Rat einzuholen oder sich mit Blick auf Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen zu informieren; 54 Prozent nennen eine in der Regel erfolgende Beratung durch den Hausarzt und/oder Apotheker. Zudem ist für 56 Prozent die Packungsbeilage ein häufiges Informationsmittel über die von ihnen genutzten rezeptfreien Medikamente.

Mehr als 80 Prozent der Befragten halten OTC-Medikamente zur Behandlung von Erkältungsbeschwerden und grippalen Symptomen für besonders gut geeignet, gefolgt von der Behandlung von Sonnenbränden, Insektenstichen, Kopfschmerz oder Verdauungsproblemen (siehe Abbildung 1 unten).

Harmlos und ohne starke Wirkung?

Die weiteren Ergebnisse zeigen, dass OTC-Präparate mit der Behandlung leichter Beschwerden und einem Selbstmanagement von Erkrankungen assoziiert werden (siehe Tabelle 1 unten).

Zudem glaubt fast jeder Zweite, dass rezeptfreie Arzneimittel frei verkäuflich sind, weil sie lange erprobt und dadurch ihre Wirkungen und Nebenwirkungen gut bekannt und kalkulierbar seien. Für rund jeden Zweiten sind OTC-Medikamente unkompliziert bei Bedarf anzuwenden.

Bei einem erheblichen Teil der Befragten gelten OTC-Präparate als vergleichsweise harmlos und werden mit geringen Nebenwirkungen verbunden. Ähnlich viele Befragte glauben, dass OTC-Medikamente leistungssteigernd wirken oder die gesundheitliche Erholung nach einer Erkrankung unterstützen.

Drei von vier Befragten gehen generell nicht von einer starken Wirkung aus. Geteilter Meinung sind die Befragten, inwiefern die Einnahme von OTC-Produkten von einer ärztlichen Empfehlung abhängen sollte.

Hausärztliche Begleitung nötig

Die Befragung verdeutlicht die große Bedeutung rezeptfreier Arzneimittel für hausärztliche Patienten: Sowohl aus der hausärztlich veranlassten Therapie als auch aus der Selbstmedikation sind sie kaum noch wegzudenken. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es durchaus einen Teil hausärztlicher Patienten gibt, der potenziell übertriebene oder sogar falsche Einstellungen in Bezug auf OTC-Präparate vertritt und daher möglicherweise zu einer Unterschätzung von Nebenwirkungen neigt.

Die massenhafte und leichte Verfügbarkeit solcher Präparate und ihre Omnipräsenz in der Werbung kann über mögliche Nebenwirkungen hinwegtäuschen und die Anwendung der betreffenden Arzneimittel verharmlosen.

Umso wichtiger sind daher Einstellung und Nutzungsverhalten, mit denen Patienten an diese Medikamentengruppe herantreten. Hier sind die vertrauensvolle, langjährige Begleitung durch Hausärzte sowie ihre kontinuierliche Informations- und Beratungstätigkeit zentral: Hausärzte tragen durch gezielte Aufklärung entscheidend dazu bei, dass Patienten realistische Vorstellungen von den Möglichkeiten und Risiken von OTC-Produkten haben, sodass Risiken von Selbstmedikation entscheidend minimiert werden können.

Insgesamt erscheint es besonders wichtig, dass Hausärzte ihre Patienten regelmäßig auf deren Konsum rezeptfreier Arzneimittel ansprechen, Multimedikation bzw. Multimorbidität konsequent berücksichtigten und entsprechend passende OTC-Medikamente empfehlen [14-16].

Etwa kann im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie durch eine adäquate therapeutische Einstellung einer falschen Einnahme von OTC-Analgetika vorgebeugt und so das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen oder eine potenziell schädliche doppelte Anwendung von nichtsteroidalen Antirheumatika vermieden werden [17, 18].

So lässt sich verhindern, dass die medikamentöse Therapie zu einer Verschlimmerung der Vorerkrankungen und damit zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands führt [19, 20].

Nicht zuletzt ist es auch bei der Einnahme rezeptfreier Produkte unabdingbar, dass Patienten darauf hingewiesen und angeleitet werden, alle gesundheitlichen Auffälligkeiten zeitnah ihrem behandelnden Arzt zu schildern [21, 22]. Gerade in einer Zeit wachsender Selbstmedikation fällt Hausärzten eine unverzichtbare Rolle als Ansprechpartner und Lotsen zu, um Orientierung und Sicherheit für ihre Patienten zu gewährleisten [8, 14].

Fazit

  • Ein Teil der hausärztlichen Patienten vertritt potenziell übertriebene oder falsche Einstellungen in Bezug auf OTC- Präparate und neigt daher möglicherweise zu einer Unterschätzung von Nebenwirkungen.
  • Sprechen Sie Ihre Patienten regelmäßig auf ihren Konsum rezeptfreier Arzneimittel an.
  • Leiten Sie sie auch bei der Einnahme rezeptfreier Produkte dazu an, Ihnen alle gesundheitlichen Auffälligkeiten zeitnah zu schildern.
  • Berücksichtigen Sie Multimedikation bzw. Multimorbidität bei der Empfehlung von OTC-Medikamenten.

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Literatur

  1. Eichenberg C, Auersperg F, Rusch BD, Brähler E. [Self-Medication: A Nationwide Representative Survey on Motives, Reasons and Sources on Consuming Over-the-Counter Medication]. Psychother Psychosom Med Psychol. 2015;65(8):304-10.
  2. Barrenberg E, Knopf H, Garbe E. Over-The-Counter (OTC) Drug Consumption among Adults Living in Germany: Results from the German Health Interview and Examination Survey for Adults 2008⁻2011 (DEGS1). Pharmacy (Basel). 2018;6(2).
  3. Kaufman DW, Kelly JP, Rosenberg L, Anderson TE, Mitchell AA. Recent patterns of medication use in the ambulatory adult population of the United States: the Slone survey. Jama. 2002;287(3):337-44.
  4. Cham E, Hall L, Ernst AA, Weiss SJ. Awareness and use of over-the-counter pain medications: a survey of emergency department patients. South Med J. 2002;95(5):529-35.
  5. Knopf H, Grams D. [Medication use of adults in Germany: results of the German Health Interview and Examination Survey for Adults (DEGS1)]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2013;56(5-6):868-77.
  6. C. B. Arzneimittelversandhandel für rezeptpflichtige und OTC-Arzneimittel in Deutschland: BVDVA; 2019 [Available from: https://www.bvdva.de/daten-und-fakten. [Abgerufen: 12.12.2020]
  7. Rottlaender D, Scherner M, Schneider T, Erdmann E. [Polypharmacy, compliance and non-prescription medication in patients with cardiovascular disease in Germany]. Dtsch Med Wochenschr. 2007;132(4):139-44.
  8. Eichenberg C, Hübner L. [Self-Medication, Health and Online Orders: An Online Survey]. Gesundheitswesen. 2017;79(2):80-5.
  9. Beitz R, Dören M, Knopf H, Melchert HU. [Self-medication with over-the-counter (OTC) preparations in Germany]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2004;47(11):1043-50.
  10. Eickhoff C, Hämmerlein A, Griese N, Schulz M. Nature and frequency of drug-related problems in self-medication (over-the-counter drugs) in daily community pharmacy practice in Germany. Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2012;21(3):254-60.
  11. Knopf H. [Medicine use in children and adolescents. Data collection and first results of the German Health Interview and Examination Survey for Children and Adolescents (KiGGS)]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2007;50(5-6):863-70.
  12. Bond C, Hannaford P. Issues related to monitoring the safety of over-the-counter (OTC) medicines. Drug Saf. 2003;26(15):1065-74.
  13. P. D. Beratung erwünscht! : Deutsche Apotheker Zeitung; 2009 [Available from: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2009/az-42-2009/beratung-erwuenscht. [Abgerufen: 12.12.2020]
  14. Bradley C, Blenkinsopp A. Over the counter drugs. The future for self medication. Bmj. 1996;312(7034):835-7.
  15. Glintborg B, Hillestrøm PR, Olsen LH, Dalhoff KP, Poulsen HE. Are patients reliable when self-reporting medication use? Validation of structured drug interviews and home visits by drug analysis and prescription data in acutely hospitalized patients. J Clin Pharmacol. 2007;47(11):1440-9.
  16. Lagerløv P, Rosvold EO, Holager T, Helseth S. How adolescents experience and cope with pain in daily life: a qualitative study on ways to cope and the use of over-the-counter analgesics. BMJ Open. 2016;6(3):e010184.
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  19. Wilcox CM, Jr. Gastrointestinal Considerations in Patients with Cardiovascular Disease Using Nonopioid Analgesics for Mild-to-Moderate Pain or Cardioprotection. Am J Cardiol. 2006;97(9a):17-22.
  20. Moore N. Ibuprofen: a journey from prescription to over-the-counter use. J R Soc Med. 2007;100 Suppl 48:2-6.
  21. Golodner LF. The US Food and Drug Administration Modernization Act of 1997: impact on consumers. Clin Ther. 1998;20 Suppl C:C20-5.
  22. Mullan J, Weston KM, Bonney A, Burns P, Mullan J, Rudd R. Consumer knowledge about over-the-counter NSAIDs: they don’t know what they don’t know. Aust N Z J Public Health. 2017;41(2):210-4.
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