Mit dem Spielen am Computer ging es mit 13 los, berichtet der etwa 20-jährige junge Mann beim “Tag der digitalen Gesundheit – Smartphone und Internet: Wann wird es zu viel?”. Stück für Stück entwickelte sich bei ihm die Sucht.
Nach der Schule wurden die Spiele im zeitlich gesteckten Rahmen gespielt. Wenn die Eltern weg waren, wurde bald auch heimlich gespielt. Die Spiele machten Spaß, man erlebte in der Phantasiewelt Spannendes – gemeinsam mit virtuellen Freunden.
So im Alter von 16 bis 18 Jahren wurde es dann offensichtlich, erzählt der junge Mann: “In der Zeit merkte ich, dass die schulischen Leistungen schlechter wurden.”
Einerseits sei ihm früh klar geworden: Das Verhalten ist nicht positiv, andererseits war das Verlangen zu spielen sehr stark. Zur gefühlten Einsamkeit (die sozialen Kontakte in der realen Welt wurden immer weniger) kamen Zukunftsängste hinzu. “Wie soll ich mein Studium so schaffen, wie später meinen Lebensunterhalt verdienen?”
Dank Abstinenz wieder Lebensfreude gewonnen
Mittlerweile hat der junge Mann es auch nach einer Therapie bei Dr. Klaus Wölfling, Diplom-Psychologe und Leiter der Ambulanz für Spielsucht, Universitätsmedizin Mainz, geschafft, sich den Online-Spielen zu entsagen.
Ob er immer abstinent bleiben kann, weiß er nicht. Vielleicht klappt es doch, in den Semesterferien zeitlich begrenzt mal ins Netzspiel abzutauchen. In der Abstinenz, erzählt er, habe er nun wieder Lebensfreude gewonnen. Mit dem Studium funktioniere es gut und auch die sozialen Kontakte in der realen Welt fühlten sich gut an.
Wie schlimm die Sucht sein kann, verdeutlicht ein zweiter junger Mann – ebenfalls Patient bei Wölfling. Zu einem bestimmten Zeitpunkt habe er sich gesünder ernähren wollen. Allerdings konnte das mit der Spielsucht zeitlich nicht vereinbart werden.
In der Folge magerte der junge Mann ab. Auch er lebt mittlerweile abstinent vom Spiel und möchte nie wieder zum Joystick greifen.
Aber wann merkt man eigentlich, ob das eigene Verhalten problematisch ist oder gar eine Sucht vorliegt? Hat die Spielerin/ der Spieler noch die Kontrolle? Hat das Spiel Priorität und wird es trotz negativer Folgen genutzt? Ist das Leben negativ beeinträchtigt?
Wird auf einzelne oder mehrere Fragen mit Ja geantwortet, deutet das auf eine Spielsucht hin, meint Lara Basenach, wissenschaftliche Mitarbeiterin Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie.
Dabei, sagt Prof. Hans-Jürgen Rumpf, Universität zu Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und wissenschaftlicher Leiter der SCAVIS-Studie (SCAVIS = Stepped Care Ansatz zur Versorgung Internetbezogener Störungen), leiden geschätzt zwei bis fünf Prozent der Allgemeinbevölkerung in Deutschland an einer internetbezogenen Störung. Etwa zehn Prozent legen eine problematische Internetnutzung an den Tag.
Sofalizing, FOMO, Nomophobie…
Begrifflichkeiten, die in Verbindung mit dem Internet negatives Verhalten bis hin zu Krankheiten beschreiben sollen, gibt es mittlerweile einige: Die Selfilitis (ständig Fotos von sich selbst zu machen) ist kein eigenes Krankheitsbild, meint Basenach.
Sofalizing (nur noch vom Sofa aus soziale Kontakte pflegen) oder FOMO (Fear of Missing out – Die Angst, etwas zu verpassen) sind Phänomene, die Experten als Bindeglied zwischen problematischem Verhalten und Sucht einstufen. Nomophobie beschreibt die Angst, ohne Mobiltelefon unterwegs zu sein oder nicht online sein zu können.
Hilfen für Betroffene gibt es einige. Wichtig ist, sich einen professionellen Berater mit klinischer Erfahrung zu suchen, rät Wölfling, der ebenfalls bei der SCAVIS-Studie mitarbeitet. Dieser könne in einem ersten Schritt untersuchen, ob ein problematisches Verhalten oder eine Sucht vorliege.
Zentrales Element der SCAVIS-Studie: smart@net-App
Um internetbezogene Störungen zu diagnostizieren, bietet die vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Arbeitsgruppe DIA-NET der Forschungsgruppe S:TEP eine Webseite an (siehe Infobox unten).
S:TEP beschäftigt sich dabei mit verschiedenen Aspekten von Abhängigkeiten (etwa auch pathologische Glücksspiele und Internetabhängigkeit).
Auch bei der Studie SCAVIS steht die Sucht und das Internet im Fokus. Forschende aus Lübeck, Ulm, Mainz und Berlin arbeiten gemeinsam am Projekt. Mit im Boot ist auch der BKK Dachverband. SCAVIS wird vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) finanziert.
Zentrales Element der SCAVIS-Studie ist die für das Projekt entwickelte smart@net-App. Die App steht Interessierten kostenlos und werbefrei im Appstore zur Verfügung, erklären die Experten.
Wer sich die App herunterlädt, durchläuft zunächst ein Screening und erhält im Anschluss eine Rückmeldung zu seinem individuellen Internetverhalten. Sollte der Test Hinweise auf problematisches Verhalten ergeben, können die App-Nutzerinnen und -Nutzer kostenfrei Hilfen abrufen.
Dazu gehören telefonische Kurzberatungen oder der Zugang zu Online-Therapien. Die Hilfen bieten die Universität zu Lübeck, die Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Mainz und das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) start: Psychotherapie & Coaching GmbH in Berlin an.