Arzt A. sieht sich in Deutschland einer komplexen Rechtslage zur Sterbehilfe gegenüber. Es wird grundsätzlich zwischen verschiedenen Formen der Sterbehilfe unterschieden:
Die aktive Sterbehilfe ist ihm in Deutschland (im Gegensatz zu einigen Nachbarländern) verboten. Das heißt, dass er seiner Patientin auf deren Wunsch kein tödliches Medikament verabreichen oder beispielsweise keine Giftspritze setzen und damit selbst aktiv den Tod herbeiführen darf. Dies hätte für ihn eine Verurteilung wegen “Tötung auf Verlangen” nach Paragraf 216 StGB zur Folge.
Die passive Sterbehilfe wäre ihm hingegen in Deutschland erlaubt, sofern die Patientin dies wünscht, beispielsweise über eine Patientenverfügung. Das bedeutet: Sobald die Patientin von lebensverlängernden Maßnahmen wie der Beatmung oder künstlicher Ernährung abhängig wird, könnte er diese abbrechen oder reduzieren.
Auch die indirekte Sterbehilfe wäre ihm erlaubt. Indirekte Sterbehilfe liegt vor, wenn er der Patientin zur Verbesserung ihres Zustands Medikamente wie beispielsweise Schmerzmittel verabreichen würde, deren Nebenwirkungen jedoch auch in der Verkürzung der Lebensdauer liegen; die Hauptwirkung des Medikaments zielt hierbei nicht auf die Herbeiführung des Todes ab.
Zuletzt gibt es auch die Beihilfe zum Suizid, die etwa das Beschaffen bestimmter (in Kombination) tödlicher Medikamente umfasst, wobei der Patient diese Medikamente selbst einnehmen muss. Da die Selbsttötung in Deutschland nicht strafbar ist und die Strafbarkeit der Beihilfe aus juristischer Sicht die Strafbarkeit der Haupttat erfordert, kann die Beihilfe zur Selbsttötung grundsätzlich nicht strafbar sein.
Diese Straffreiheit hatte der 2015 vom Bundestag beschlossene Paragraf 217 StGB aber stark eingeschränkt. Demnach war die “geschäftsmäßige” Suizidbeihilfe strafbar geworden, nachdem diese über hundert Jahre lang straffrei war. Die Formulierung “geschäftsmäßige Beihilfe” erfasst die Tätigkeit von “Sterbehilfevereinen”, kann aber auch unseren Arzt A. treffen, der seiner schwerkranken Patientin helfen will. Denn wenn er diese Hilfe nicht nur Patientin P., sondern auch weiteren Patienten anbietet und diese unterstützt, wäre dieses Vorgehen bereits “geschäftsmäßig” im Sinne des Paragrafen 217 Abs. 1 StGB.
Nach Verfassungsbeschwerden von Sterbehilfevereinen, Ärzten und schwerkranken Patienten hat das Bundesverfassungsgericht Ende Februar entschieden, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in Paragraf 217 StGB in der jetzigen Fassung gegen das Grundgesetz verstößt (www.hausarzt.link/J9ipE). Dies begründete der Senat damit, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 1 Abs. 1 GG) auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter und somit beispielsweise auch unseres Arztes A. zurückzugreifen.
Wichtig: Dieses Recht auf selbstbestimmtes Sterben gilt ausdrücklich für jeden, nicht nur für unheilbar Kranke.
Was bedeutet das nun für Arzt A.?
Arzt A. hat mit der Entscheidung des Gerichts (wieder) die Möglichkeit, die Patientin P. beispielsweise mit dem Beschaffen bestimmter Medikamente, die ihr Leben beenden, sowie mit Beratung zu unterstützen, sofern die Patientin ihr Leben letztendlich selbstbestimmt und eigenständig (durch die Einnahme dieser Medikamente) beendet. Die aktive Sterbehilfe hingegen, also das Verabreichen des letalen Medikaments oder der tödlichen Spritze, bleibt auch weiterhin verboten und strafbar. Weiterhin sind dem Arzt die passive Sterbehilfe, also das Abschalten lebensverlängernder Geräte, sowie die indirekte Sterbehilfe, also beispielsweise die Verschreibung lebensverkürzender Schmerzmittel, die hauptsächlich der Schmerzlinderung dienen, erlaubt.
Wichtig: Auch künftig kann kein Arzt zur Mitwirkung an der Sterbehilfe verpflichtet werden.
Praxistipp
Zu beachten ist, dass das Urteil lediglich Paragraf 217 StGB für verfassungswidrig erklärt hat. Daneben heißt es in Paragraf 16 Satz 3 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) jedoch weiter, dass es Ärzten verboten ist, Patienten auf ihr Verlangen aktiv zu töten oder ihnen Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, worauf das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung auch ausdrücklich hingewiesen hat. Dieses ausdrückliche Verbot aus der MBO-Ä ist in 11 der 17 Landesärztekammern eins zu eins umgesetzt worden, wie eine Recherche von “Der Hausarzt” zeigt (s. Link unten).
Die Folge: Hausärzten können in diesen Regionen bei einer Sterbehilfe zwar keine strafrechtlichen, wohl aber berufsrechtliche Konsequenzen drohen. Wie die Verwaltungsgerichte in diesen Verfahren in berufsrechtlicher Sicht entscheiden werden, bleibt abzuwarten; soweit ersichtlich, waren alle derzeit rechtsanhängigen Verfahren bis zum jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt und werden nun erst wieder aufgenommen.
Grundsätzlich drohen bei Verstößen gegen ärztliches Berufsrecht Konsequenzen, die von einer Ermahnung durch den Kammervorsitzenden, einer Rüge durch den Kammervorstand (möglicherweise in Kombination mit einem Ordnungsgeld von bis zu 5.000 Euro) bis hin zu berufsgerichtlichen Verfahren reichen. In letztgenannten drohen Strafen in Form eines Verweises, der Entziehung des passiven Berufswahlrechts (für die Kammerwahl) oder einer Geldbuße von bis zu 50.000 Euro. Als ultima ratio steht eine Approbationsentziehung. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass es (regelmäßig) zu berufsgerichtlichen Verfahren kommt; erst recht ist vor dem Hintergrund der Entscheidung nicht mit der Feststellung der Berufsunwürdigkeit zu rechnen.
“Der Hausarzt” hat eine Übersicht über die Regelung in den einzelnen Landesärztekammern recherchiert: www.hausarzt.link/J9ipE