Der mittlere HbA1c zeigt eine klare, lineare Assoziation zu Komplikationen: Je höher der HbA1c, desto höher die Komplikationswahrscheinlichkeit. Trotzdem reicht die Messung des HbA1c, zur Beurteilung der glykämischen Kontrolle nicht aus, betonte Prof. Dr. Stephan Jacob, Diabetologe aus Villingen-Schwenningen. Der HbA1c gibt ja nur die mittlere Glukosekonzentration im Blut in der Vergangenheit wieder. Hinter gleichen HbA1c-Werten können ganz unterschiedliche Verläufe stecken, kurzzeitige Hyper- und Hypoglykämien werden nicht erfasst.
Gerade größere Schwankungen des Blutzuckerspiegels sind aber mit mikro-und makrovaskulären Komplikationen und kardiovaskulärem Tod assoziiert. Versicherungsdaten zeigen, dass bei älteren Patienten mit Diabetes hypoglykämische Episoden sogar mit einem erhöhten Demenzrisiko verbunden sind. Auf der anderen Seite hat die Strategie der Therapieeskalation bei fehlender HbA1c-Zielerreichung nicht zu einer Reduktion von makrovaskulärer Morbidität und Mortalität geführt. Jacob ist überzeugt: Ein Paradigmenwechsel ist notwendig.
Physiologisch statt reaktiv
Die Fokussierung auf den HbA1c-Wert ist derzeit der Treiber für eine reaktive Therapieeskalation. Ein starker physiologischer Ansatz darf nicht nur vom Nüchternblutzucker ausgehen, sondern muss prä- und postprandiale Werte einbeziehen. In einem ersten Schritt empfahl Jacob, den Blutzucker immer wieder einmal nicht-nüchtern zu messen. Besser sei aber bei der Überprüfung der Stoffwechseleinstellung und vor jeglicher Therapieänderung immer erst die strukturierte Analyse der Ist-Situation und der möglichen Ursachen der mangelnden glykämischen Kontrolle mit einem Blutzuckertagesprofil. Solch ein Profil gebe in kurzer Zeit sehr viele Informationen, betonte Jacob.
Stoffwechsel-Entgleisungen könnten frühzeitiger diagnostiziert werden, es werde sichtbar, ob eher prä- oder eher postprandial Probleme auftreten und es ließen sich Muster erkennen. Patienten, die nüchtern bereits einen hohen Blutzuckerspiegel haben, sollten beispielsweise nach ihren Essensgewohnheiten am Abend befragt werden. Wer beispielsweise vor dem Zubettgehen noch zwei Äpfel esse, weise Hyperglykämien in der Nacht auf, erläuterte er. Viele Patienten glaubten, sich mit dem Obst noch etwas Gutes zu tun nach dem Motto: „An apple a day keeps the doctor away“.
Verlässliche Blutzuckerprofile
Um verlässliche Informationen von einem Glukosetagesprofil zu bekommen, müssen die Messungen von den Patienten strukturiert durchgeführt werden. Jacob bietet seinen Patienten ein einfaches Formblatt an (Tab. 1), erlebt aber immer wieder, dass Messungen nicht gemacht werden, Eintragungen sehr unübersichtlich sind, nachträglich erfunden werden (z. B. erkennbar an glatten Werten) oder das Formular einfach immer wieder vergessen wird. Gute Erfahrungen hat er mit dem automatisierten Auslesen aus dem Messwertspeicher von Blutzuckermessgeräten gemacht. Motivierend erleben die Patienten dabei auch die Visualisierung des Glukosespiegelverlaufs auf dem Bildschirm.
Voraussetzungen für verlässliche patientengenerierte Daten sind qualitätsgesicherte Messgeräte. Nicht alle Geräte zur Selbstmessung erfüllen die Voraussetzung der aktuellen Norm EN ISO 15197, so Jacob. In einer Studie entsprachen 7 von 34 Geräten nicht den geforderten minimalen Qualitätskriterien, dass mindestens 95 % der Messungen eine ausreichende Genauigkeit aufweisen. Das CE-Label hilft hier zur Orientierung nicht weiter: Alle diese Geräte waren mit dem CELabel ausgezeichnet. Die Anwendung der Geräte durch den Patienten birgt ebenfalls viele weitere potenzielle Fehlerquellen bei der Blutzuckermessung (Tab. 2), deshalb ist die Schulung des Patienten von großer Bedeutung.
Optimiertes Diabetes-Management
Die strukturierte Selbstmessung als Basis eines verbesserten Diabetes-Managements ist kein teurer Luxus, betonte Jacob. In einer Studie mit 483 Patienten mit bislang nicht ausreichend kontrolliertem Diabetes wurde bei Standardkontrolle wesentlich häufiger auf eine andere Therapie umgestellt als bei strukturierter Blutzuckerkontrolle und Auswertung.
Die HbA1c-Werte der Patienten der strukturierten Messgruppe sanken trotz weniger Therapieänderungen signifikant deutlicher als die der Standardgruppe und dabei verbrauchten die Patienten weniger Teststreifen. Jacob betonte: Die strukturierte Blutglukosemessung ermöglicht früher und konsequenter zu reagieren, auch bei der Therapieanpassung. Einen besonderen Vorteil sieht er in der besseren Motivation der Patienten durch nachvollziehbare Messergebnisse, weniger Messungen und trotzdem eine verbesserte Blutzuckereinstellung. Längerfristig ließe sich so eine bessere Blutzuckereinstellung mit weniger Aufwand erreichen, ist er überzeugt.
Teststreifenverordnung möglich
Nach der Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft vom 19.09.2011 ist bei nicht insulinpflichtigem Diabetes auch weiterhin die Verordnung von einem Päckchen Teststreifen pro Quartal möglich, wenn eine instabile Stoffwechsellage vorliegt. Als Beispiele werden Anzeichen einer erhöhten Rate an Hypo- bzw. Hyperglykämien oder die Ersteinstellung oder Therapieumstellung auf ein orales Antidiabetikum mit erhöhtem Hypoglykämierisiko genannt.
Quelle: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de
Tab. 2: Typische Fehler bei der Blutzuckerselbstmessung
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Rückstände auf der Fingerbeere
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verunreinigte bzw. nicht gewechselte Lanzette
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kräftiges Quetschen der Kapillarblutentnahmestelle
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gerätespezifischer Temperaturbereich nicht eingehalten
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Zeitdauer zwischen Punktion und Probenauftrag zu lange
Quelle: Vortrag Jacob
Veranstaltung: MSD-Forum: „Die Hausarztpraxis im Fokus“, „Vernetzte Diabetes-Behandlung: Therapie in der Praxis optimieren“ in Berlin