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Hausarzt MedizinIst Typ-2-Diabetes heilbar?

„Das ist die Diät, die Typ-2-Diabetes heilt“– so titelte die „Welt“ kürzlich in einer Ausgabe. Mit Diät und Ernährungsumstellung steht eine mögliche Heilung des Typ-2-Diabetes zur Diskussion.

Roy Tyler von der Universität Newscastle publizierte 2013 eine kleine Studie mit radikalem Vorgehen: 8 Wochen lang erhielten Typ-2-Diabetiker nur Flüssignahrung mit 800 kcal. Die Probanden im mittleren Lebens­alter wiesen eine abdominelle Adipositas und eine Fettleber auf. Innerhalb von 8 Wochen sanken die Blutzuckerwerte in nicht dia­betische Bereiche und die typische Pan­kreasverfettung normalisierte sich vollständig. 7 von 11 Patienten hatten auch 3 Monate später noch normale Blutzuckerwerte.

Tyler ließ sich bei der Konzeption seiner kleinen Studie von den Erfolgen der bariatrischen Operation inspirieren. Bis zu 60 Prozent der Patienten verlieren nach einer restriktiven Magen-Darm-Operation ihren Diabetes – mitunter für viele Jahre.

In weiteren Studien konnte Tyler feststellen, dass jene Diabetiker mit weniger als 4 Jahren Krankheitsdauer eine Remissionsrate von 87 Prozent erreichten. Das radikale Ernährungsvorgehen erzielte bei Diabetikern mit einer Krankheitsdauer von über 20 Jahren immerhin noch eine Remissionsrate von 50 Prozent.

Das Ergebnis verblüfft all jene ­Diabetologen nicht, die mit Formula-Diäten oder einfach nur einer Haferkur die Insulinresistenz in ihre Schranken weisen. Beim Beginn einer Formula-Diät muss die Insulindosis halbiert werden, wenn das Insulin nicht gar im Verlauf der Ernährungstherapie komplett unnötig wird. Auch eine Haferkur kann den Insulinbedarf um 10 bis 50 Prozent reduzieren, selbst wenn sie nur für ein Wochenende eingesetzt wurde.

In der skandinavischen Diabetes-Preven­tion-­Studie konnte durch Lebensstilveränderungen und den Einsatz von Metformin die Manifestation eines Diabetes bei Patienten mit Prädiabetes um 30 Prozent reduziert werden. In die gleiche Richtung gehen auch die Ergebnisse der Look-Ahead-Studie: Länger andauernde Remissionen über Jahre konnten dort bei 10 Prozent der Probanden durch Lebensstilveränderungen und eine moderate Gewichtsabnahme erreicht werden. Je kürzer die Diabetesdauer, desto größer die Aussicht auf Erfolg.

Diese Aussagen wurden unterstützt durch eine Analyse der Daten der amerikanischen Krankenversicherung Kaiser Permanente Northern California, in der die Häufigkeit einer Diabetes-Remission bei über 120.000 Personen unter Standardtherapie untersucht wurde. Auch hier waren die Remissionsraten stark von der Diabetesdauer abhängig (Tab. 1). Die besten Aussichten auf eine Diabetesheilung hatten demnach Patien­ten ohne Medikation, mit niedrigem HbA1c im Basisjahr, kurzer Krankheitsdauer, einer effektiven Senkung des Gewichts, ältere Menschen, Afroamerikaner und Angehörige höherer sozialer Schichten.

Insulin-Land Deutschland

Dieses Wissen findet in Deutschland noch zu wenig Anwendung. Gleichzeitig ist Deutschland ein Insulin-Land. Im Vergleich zum Nachbarn Österreich ist der Insulinverbrauch pro Kopf doppelt so hoch.

In Deutschland hat der Diabetologe Stefan Martin, Direktor des westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums in Düsseldorf, die Studienergebnisse Roy Tylers in seiner Praxis umgesetzt – mit Erfolg: Eine Diabetikerin, seit Jahren übergewichtig, und mit einer intensivierten Insulintherapie behandelt, verlor durch eine Formula-Diät und Umstellung der Ernährung ihr Übergewicht und gleichzeitig auch die Indikation für die Insulintherapie. Für sie war besonders wichtig, dass Hoffnung bestand, an ihrer Situation etwas zu ändern. Dies scheint auch ein wichtiges Argument in der Wahl des Vokabulars zu sein. Der Begriff Heilung macht Diabetikern offenbar Mut, die notwendigen Änderungen durchzuhalten.

Formula-Diät empfohlen

Die neue Option „ohne Insulin“ und „Diabetesheilung“ bekommt von anderer Seite Rückenwind. Nach der Novellierung der Leitlinien der Deutschen Adipositas-Gesellschaft ist der Einsatz einer Formula-Diät hoffähig geworden – allerdings nur unter ärztlicher Kontrolle und Optimierung der Ernährungsgewohnheiten. Letztlich entspricht dies auch dem Vorgehen von Roy Tyler – ergänzt durch eine langfristige Ernährungsumstellung.

Allerdings spielt die Gewichtsoptimierung in der deutschen Diabetestherapie noch keine große Rolle. Im Disease-Management-Programm wird zwar das Gewicht abgefragt, es existieren jedoch keine Ziele, dieses zu senken und es gilt auch nicht als Qualitätsmerkmal einer gelungenen Diabetestherapie. Auch in den Diabetesschulungen beschränkt sich die Ernährungstherapie außer in den MEDIAS-Schulungen auf die BE-Berechnung. Von einer rechtzeitigen Etikettierung eines Prädiabetes ganz zu schweigen. In diesem Stadium wäre die Remission bzw. die Vermeidung ­eines Diabetes, möglicherweise fürs ganze ­Leben, am effektivsten.

Kein Geld von den Krankenkassen

Es scheint so, dass bei neu manifestiertem Diabetes neben dem Einsatz von Metformin eine Ernährungsanalyse nebst Coaching folgen sollte, um die bestehenden Remissionschancen auch zu nutzen. Doch dafür fehlt im System die notwendige Honorierung. Schlechte Aussichten also für die Diabetesheilung? Immerhin kann einem Patienten mit frisch manifestiertem Diabetes berechtigte Hoffnung auf eine Remission gemacht werden. Die notwendige Ernährungsanalyse und Therapie muss er einen erheblichen Anteil selbst bezahlen. Auch eine eventuelle Formula-Diät­ wird von den Krankenkassen nicht übernommen – geschweige denn die in den Leitlinien verlangte ärztliche Betreuung dafür. Immerhin ist die ebenfalls sinnvolle, vermehrte Bewegung ­nahezu zum Nulltarif zu bekommen.

Eiweißaufnahme steigern

Welche Ernährungsgewohnheiten in den meisten Fällen zu ändern sind, zeigt der Blick auf die deutschen Verzehrgewohnheiten. Viele Menschen ­essen zugunsten einer Kohlenhydrat-­Dominanz zu wenig Eiweiß. Dabei ist es offensichtlich, dass bei der Kohlenhydrat-Stoffwechselstörung Diabetes gerade Kohlenhydrate Gift für das System sind.

Die empfohlene Proteinaufnahme von 1,2 g pro kg Körpergewicht wird hierzulande meist weder von Männern noch von Frauen erreicht. Dabei bietet Eiweiß gleich mehrere Vorteile: Es führt zu einer geringeren Auslenkung des Blutzuckers und spart damit das dickmachende Insulin. Gleichzeitig wird der Durst gesteigert, um den aufgenommenen Stickstoff besser ausscheiden zu können. Außerdem enthält Eiweiß weniger Kalorien als Fett und verbraucht bei seiner Verstoffwechselung mehr Energie. Der große Pluspunkt des Eiweißes ist jedoch die starke Sättigung. Denn um eine Kalorienrestriktion erfolgreich durchhalten zu können, muss jeglicher Hunger vermieden werden. Heißhunger vermeldet dem Körper die Gefahr zu verhungern, worauf nach ­archaischem Muster der Energieverbrauch gedrosselt wird.

Mit Blick auf die Physiologie einer idea­len Ernährung wird klar, dass sowohl gesunde Fette als auch Eiweiße essenziell sind. Da Proteine nur in der Muskulatur gespeichert werden, sollte jede Mahlzeit etwas Eiweiß enthalten.

Proteinarme Mahlzeiten führen nach 2 bis 3 Stunden nicht selten zu Heißhungerattacken. Somit wird die optimale Versorgung des Körpers mit Eiweiß nicht nur zu einem Garanten der Muskel­erhaltung, sondern sie führt auch zur Eindämmung des Hungers – gerade bei einer Kalorienrestriktion. Nur wer sich viel bewegt und intensiv Sport treibt, braucht auch zusätzliche Kohlenhydrate. Immerhin enthält Gemüse ausreichend davon. Kurz: Der Teller sollte zur Hälfte mit Gemüse gefüllt sein und 20 bis 30 g Eiweiß beinhalten. Wenn dann noch Appetit besteht, dürfen zusätzliche Sättigungsbeilagen wie Kartoffeln, Reis oder Nudeln verzehrt werden.

Professionelle Hilfe nötig

Auch wenn die Ernährungsempfehlungen logisch und einfach erscheinen, ist das „Change Management“ beim Essen ohne professionelle Hilfe meist nicht erfolgreich. Lieb gewonnene Gewohnheiten und Vorlieben für bestimmte Speisen sollten im Coaching-Prozess optimiert werden. Prinzipiell sollten nur die Bereiche durch Nahrungsalternativen verändert werden, die den größten Effekt versprechen. Das allerdings nur, wenn der Patient einer Veränderung zustimmt. Sonst verpuffen alle Maßnahmen mit einem erneuten Gewichtsanstieg.

Medikamentöse Unterstützung

Von medikamentöser Seite bekommen Heilungsversuche des Diabetes derzeit ebenfalls Rückenwind: Das Inkretinmimetikum Liraglutid wurde jüngst zur Adipositastherapie zugelassen. Es kann helfen, pro Jahr fast 8 kg an Gewicht zu verlieren. Damit kann die Ernährungsumstellung nicht nur durch eine Formula-Diät, sondern auch medikamentös flankiert werden.

Auch für Diabetiker mit Insulintherapie standen die Chancen noch nie so gut, den Spritzen ade zu sagen. Gewichtsneutrale Antidiabetika wie Metformin und Gliptine können mit Gliflozinen und Inkretinmimetika kombiniert werden. Bei gleichzeitigem Einsatz einer gezielten Ernährungstherapie zur Gewichtsreduktion wird Insulin dann immer häufiger überflüssig – ein Traum vieler Diabetiker.

„Einmal Insulin, immer Insulin“ gilt damit also nicht mehr. Viele Patienten mit einer intensivierten Insulintherapie werden es bereits als erleichternd empfinden, wenn nur noch ein Basalinsulin notwendig ist statt einer aufwendigen intensivierten Insulintherapie. Die Blutzuckersenkung am Tag kann dann von Gliptin, Glifloxin und Glutiden erledigt werden. Ihr Einsatz spart im Gegensatz zum gewichtssteigerndem Bolus-Insulin viele Kilos.

Typische Diätfehler

Klassische Frauenfehler: Ein Salat zum Mittagessen ohne Fleisch, Käse oder Fischbeilage führt spätestens nach 2 Stunden zum fatalen Appetit auf einen süßen Snack. Männer hingegen holen manchmal die gesamte Proteinaufnahme des Tages durch ein 500 g schweres Steak am Abend oder Grillfleisch und Würstchen nach. Eine derart hohe Proteinaufnahme von 100 g auf einmal überfordert jedoch die Stoffwechselvorgänge derart, dass über die Hälfte des wertvollen Eiweißes als Fett gespeichert wird.

Empfehlenswert ist dagegen eine gleichmäßige Verteilung auf 3 Mahlzeiten. Ein Frühstücksei in Kombination mit einem Glas Milch oder einem Früchtequark könnte zum Beispiel zu einem guten Start in den Tag mit 20 g Eiweiß und einer höchstwahrscheinlichen Sättigung bis zum Mittagessen führen.

Literatur beim Verfasser

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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