Ständige ImpfkommissionExperte zu neuen STIKO-Empfehlungen: “Diese Empfehlung war überfällig”

Kürzlich hat die STIKO drei neue Impfempfehlungen zu RSV, Pneumokokken und Influenza veröffentlicht. Impfexperte Dr. Wolfgang Schneider-Rathert hat sich die Begründungen angeschaut und gibt eine Einschätzung für die Praxis: Die Indikation zur RSV-Impfung sieht er zurückhaltender als die STIKO, überfällig sei aber die Rückkehr zu trivalenten Influenza-Vakzinen.

Gerade bei der Influenza-Impfung führte das Hin- und Her zu mehr Beratungsaufwand in den Praxen.

Respiratorisches Synzytial-Virus

Empfehlung

Die STIKO empfiehlt standardmäßig Menschen ab 75 Jahren sowie als Indikationsimpfung bei Menschen ab 60 Jahren mit Risikofaktoren (Pflegeheimbewohnende sowie Personen mit schwerer chronischer Erkrankung) eine einmalige RSV-Impfung vor der RSV-Saison, und zwar entweder mit Arexvy® oder Abrysvo®. Die RSV-Saison dauert in der Regel von Oktober bis März. Ob Auffrischimpfungen nötig sind, ist noch unklar.

Cave: Die genaue Indikation bei über 60-Jährigen bleibt vage: Laut STIKO ist sie abzuwägen „nach Schweregrad der Erkrankung unter medikamentöser Behandlung, Schwere der Immunschwäche sowie der fraglichen Schutzdauer der Impfung, der unklaren Boosterfähigkeit nach Auffrischung und den Nebenwirkungen“. 

Begründung

Die Modellierungen deuten darauf hin, dass der positive Effekt einer Impfung in der Altersgruppe ≥75 Jahre am effektivsten und effizientesten erscheint, schreibt die STIKO. Ein Absenken der Altersgrenze erhöhe zwar die geschätzte Effektivität, die Effizienz aber nehme ab: Wird die Untererfassung berücksichtigt, liegt bei einer Verimpfung an über 75-Jährige die Number needed to vaccinate (NNV) über 5 Jahre zur Verhinderung einer RSV-Erkrankung bei 4,7, die NNV zur Verhinderung eines zusätzlichen Todesfalls in dieser Altersgruppe bei 3.500-6.200. Beim Szenario einer Verimpfung an Personen ≥60 Jahre müssten 5,5 Personen geimpft werden, um eine RSV-Erkrankung zu verhindern, allerdings müssten 25.000-43.000 Personen geimpft werden, um einen zusätzlichen Todesfall zu verhindern.

Die Impfeffektivität nach einmaliger Impfung zum Schutz vor einer RSV-assoziierten Erkrankung der unteren Atemwege liegt laut STIKO  bei Menschen ≥60 Jahren bei Arexvy® bei 82 Prozent und bei Abrysvo® bei 67 Prozent. Die gepoolte Impfeffektivität liegt in den Altersgruppen 60 bis 69 Jahre bei 70 Prozent, bei den 70- bis 79-Jährigen bei 86 Prozent und bei Menschen ≥80 Jahre bei 59 Prozent, berichtet die STIKO im Epid Bull 32/24. „Nominal zeigte Arexvy® für die meisten Endpunkte etwas höhere Werte für die Impfeffektivität als Abrysvo® bei jedoch zumeist breiten und sich überlappenden Konfidenzintervallen.“

Fazit für die Praxis

RSV-Standardimpfung bei Menschen ab 75 Jahren, Indikationsimpfung bei Menschen ab 60 Jahren mit Risikofaktoren. Die RSV-Impfung sollte möglichst im September/Anfang Oktober erfolgen (Koadministration mit Influenza möglich), allerdings muss nicht jedes Jahr geimpft werden.

Cave: STIKO-Empfehlung noch nicht in die Schutzimpfungsrichtlinie übernommen!

Das sagt der Experte

Dr. Wolfgang Schneider-Rathert, Sektionssprecher Prävention der DEGAM:

Der mittel- und langfristige Nutzen der RSV-Impfung ist bislang nicht nachgewiesen. Die aktuellen Studien haben ein begrenztes Follow-up von lediglich 2 Jahren. Da es an verlässlichen Daten zu schweren unerwünschten Ereignissen nach der Impfung ebenso mangelt, empfiehlt die DEGAM die RSV-Impfung zurückhaltender, bis ausreichende Daten vorliegen:

  • erst ab 80 Jahren oder
  • bereits ab 60 Jahren bei wirklich schweren Erkrankungen (schwere Formen der COPD, der Herzinsuffizienz oder der koronaren Herzerkrankung, schweren Diabeteserkrankungen mit Endorganschäden, Dialysepflicht, Hämato-onkologischen Erkrankungen).

Schwere Verläufe mit der Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung treten in der genannten Patientengruppe bei Corona- und Influenzainfektionen häufiger auf als bei RSV, die DEGAM empfiehlt diese Impfungen weniger impfbegeisterten PatientInnen deshalb prioritär.

Pneumokokken

Empfehlung

Obwohl die 20-valente Pneumokokken-Vakzine (PCV20) seit kurzem auch für Kinder ab 6 Wochen zugelassen ist, empfiehlt die STIKO wie bisher

  • die Anwendung von PCV13 oder PCV15 im 2+1-Schema für gesunde, reifgeborene Säuglinge (2, 4 und 11 Monate). Ebenso bleibt die STIKO bei der Empfehlung von PCV13 oder PCV15 für Frühgeborene, Cave: allerdings im 3+1-Schema (2, 3, 4 und 11 Monate).

Begründung

  • Zwar ist PCV20 höher valent als PCV13 und PCV15, „die Immunogenitätsdaten nach PCV20-Impfung zeigen jedoch für alle mit PCV13 vergleichbaren Serotypen (die in PCV13 enthaltenen Serotypen sind auch in PCV20 enthalten, zusätzliche 7 weitere, Anm. d. Red.) geringere IgG-Antikörper-Konzentrationen,” schreibt die STIKO.
  • Zudem führt die STIKO das Serotypen-Replacement an: „Die Gesamtabdeckung von invasiven Pneumokokken-Erkrankungen (IPD) bei unter 18-Jährigen mit Serotypen, die in PCV20 enthalten sind, beträgt etwa 53 Prozent. Schätzungsweise 16 bis 23 Prozent der IPD-Fälle bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren entfallen auf Serotypen, die ausschließlich in PCV20 enthalten sind.” Bei Pneumokokken komme es aber immer wieder zu Serotypen-Verschiebungen: impfpräventable Serotypen werden durch nicht-impfpräventable verdrängt. „Der zusätzliche Nutzen höhervalenter Pneumokokken-Impfstoffe wird durch die Serotypen-Verschiebung reduziert.”

Fazit für die Praxis

PCV20 kann gemäß Schutzimpfungsrichtlinie an Erwachsene verimpft werden, nicht jedoch an Kinder. Hier bleibt es bei der Verimpfung von PCV13 und PCV15.

Das sagt der Experte

Dr. Wolfgang Schneider-Rathert, Sektionssprecher Prävention der DEGAM:

Ein Impfstoff wie PCV20, der sich gegen zusätzliche Serotypen richtet, hat häufig den Nachteil, dass die Antikörperspiegel gegen den einzelnen Serotyp geringer ausfallen. Er wäre deshalb nur dann von Vorteil, wenn die zusätzlichen Serotypen aktuell besonders relevant wären.  In der Abwägung kommt die Stiko zu dem Schluss: (Impfstoffe mit) weniger (Serotypen) ist aktuell mehr (Schutz).

Influenza

Empfehlung und Begründung

Die STIKO rät wie bereits die WHO und die EMA zu einem Wechsel zu trivalenten Influenza-Impfstoffen, da der im aktuell eingesetzten quadrivalenten Influenza-Impfstoff enthaltene Virustyp B/Yamagata seit März 2020 nicht mehr nachgewiesen wurde.

  • Die STIKO empfiehlt eine jährliche Impfung im Herbst für Personen ≥60 Jahren mit einem Hochdosis-Impfstoff oder bei Indikation für Personen ≥6 Monaten (Standarddosis) mit von der WHO empfohlener Antigenkombination. Bei Personen von 2-17 Jahren können alternativ Lebend-attenuierte Influenza-Vakzinen (LAIV) verimpft werden, wenn keine Kontraindikation besteht.
  • Wichtig: Dies gilt allerdings nicht für die aktuelle Saison 2024/2025, da noch nicht abzusehen ist, wann welcher Impfstoff zur Verfügung steht. Die STIKO rechnet damit, dass trivalente inaktivierte Influenza-Impfstoffe erst ab der Saison 2025/2026 verfügbar sind. Cave: Die Verfügbarkeit eines trivalenten LAIV (Nasalimpfstoff für Kinder zwischen 2 und 17 Jahren) in Deutschland wird allerdings bereits ab der Saison 2024/2025 erwartet.

Fazit für die Praxis

Für die Influenza-Saison 2024/25 bedeutet das:

  • Die Verwendung von inaktivierten quadrivalenten Impfstoffen ist während der Übergangszeit (bis max. zur Saison 2025/2026) weiterhin möglich. Cave: Für die nächste Saison müssen sich Hausärztinnen und Hausärzte aber wohl wieder auf einen Wechsel zurück zu trivalenten Vakzinen einstellen.
  • Sollte für die aktuelle Saison kein trivalenter LAIV verfügbar sein, sollte ein Totimpfstoff verimpft werden! Cave: Ein quadrivalenter LAIV sollte nicht verimpft werden.

Das sagt der Experte

Dr. Wolfgang Schneider-Rathert, Sektionssprecher Prävention der DEGAM:

Aus Sicht der Praxen ist das Hin- und Her bei den Influenzaimpfstoffen mit dem zusätzlichen Aufklärungsbedarf und vor allem den zusätzlichen Kosten für das Solidarsystem möglicherweise völlig unnötig gewesen. Denn keine einzige klinische Vergleichsstudie hatte eine bessere Wirksamkeit der quadrivalenten Impfstoffe belegt, als die trivalenten Impfstoffe 2018 allein auf einer Modellierung (Berechnung) faktisch abgeschafft wurden. Wir wissen bis heute nicht, ob die Mehrkosten bis zum Verschwinden der Yamagatalinie 2020 gerechtfertigt waren. Ab 2021 waren die zusätzlichen Kosten für das Solidarsystem in vermutlich dreistelliger Millionenhöhe jährlich sicher ohne jeglichen Mehrwert für die Menschen. Die Rücknahme der Empfehlung war somit überfällig.

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