Wien. Chikungunya bedeutet “der gekrümmt Gehende” – so wurden die Erkrankten von den Einheimischen genannt, als das Virus in den 1950er Jahren erstmals in Afrika auftrat. Der Name ist ein Hinweis auf ein häufiges Symptom der Viruserkrankung, die neben hohem Fieber und Hautausschlag auch starke Muskel- und Gelenkschmerzen auslösen kann.
Nun ist erstmals ein Impfstoff gegen das Chikungunya-Virus (CHIKV) in Sicht: Die Lebendvakzine “VLA1553” des Impfstoffherstellers Valneva hat sich in einer Phase-III-Studie, die an 43 Impfzentren in den USA durchgeführt wurde, als hocheffektiv erwiesen. Den Ergebnissen zufolge induziert eine einmalige Impfung mit VLA1553 innerhalb von 28 Tagen bei 98,9 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern virus-neutralisierende Antikörperspiegel.
98,9 Prozent entwickeln neutralisierende Antikörper
An der Studie nahmen rund 4.100 Menschen über 18 Jahren teil (mittleres Alter: 45 Jahre), 3.100 erhielten den Impfstoffkandidaten, 1000 Placebo. Da CHIKV in den USA nicht endemisch ist, wurde die Wirksamkeit der Vakzine anhand des Anteils der mit VLA1553 geimpften Menschen beurteilt, die innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung genügend neutralisierende Antikörper gegen CHIKV gebildet hatten. Dieser Anteil lag bei 98,9 Prozent.
Und: Die Antikörpertiter blieben stabil – auch an Tag 180 nach Impfung hatten 96,3 Prozent der mit Verum Geimpften weiterhin ausreichend neutralisierende Antiköpertiter.
Allerdings ist die Induktion von neutralisierenden Antikörpern nur ein indirekter Parameter für die klinische Wirksamkeit einer Impfung. “Antikörperspiegel als Surrogatmarker sind relativ willkürlich gewählt. Das ist aber nicht unüblich. Letztlich sagen die knapp 99 Prozent Seropositiven nichts über wirklichen Schutz aus”, merkt dazu Professor Peter Kremsner vom Universitätsklinikum Tübingen gegenüber dem “Science Media Center” an. Aber: “Von früheren Studien dieser Art wissen wir, dass hohe neutralisierende Antikörperkonzentrationen bei Virusinfektionen auch mit einer Verhinderung der Krankheit korrelieren.”
Professorin Annelies Wilder-Smith vom Universitätsklinikum Heidelberg erklärt dazu: „Bei einigen Infektionskrankheiten wie Chikungunya sind klinische Wirksamkeitsstudien nicht durchführbar, entweder aufgrund der geringen Inzidenz oder der Unvorhersehbarkeit von Ausbrüchen, bei denen es zu einer hohen Inzidenz kommen kann. Daher hat Valneva in enger Abstimmung mit der FDA beschlossen, eine Phase-III-Studie durchzuführen, bei der Immunogenitätsendpunkte als Ersatz für klinische Endpunkte verwendet werden.”
Insgesamt gute Verträglichkeit
Insgesamt wurde der Impfstoffkandidat ähnlich gut vertragen wie andere Lebendimpfstoffe. Während der Studie traten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse bei 46 Menschen in der VLA1553-Gruppe auf (1,5 Prozent) und bei acht im Placebo-Arm (0,8 Prozent). Allerdings konnten nur zwei Fälle in der Impfstoffgruppe höchstwahrscheinlich auf die Impfung zurückgeführt werden.
So kam es bei einer 58-jährigen Frau mit Fibromyalgie in der Anamnese nach der Impfung zu milden Myalgien. Bei einem 66-jährigen Mann wurden mehrere einzelne schwere Ereignisse in Folge festgestellt, darunter hohes Fieber, schweres Vorhofflimmern und schwere Hyponatriämie, die eine stationäre Aufnahme erforderlich machten. Beide Probanden erholten sich vollständig.
15 Frauen wurden im Studienzeitraum schwanger, darunter 13 Frauen, die den Impfstoffkandidaten erhalten hatten. Auffällig war: Bei drei dieser 13 mit Verum geimpften Frauen kam es zu einer Fehlgeburt vor der 20. Schwangerschaftswoche. Die Fehlgeburtenrate war damit statistisch betrachtet höher als in der Allgemeinbevölkerung. Allerdings lagen bei zwei Frauen Risiken für eine Fehlgeburt vor, zudem ist eine Beurteilung aufgrund der geringen Zahl nicht möglich. Ein unabhängiges Gutachtergremium stellte letztlich kein Sicherheitssignal fest.
“VLA1553 könnte der erste Chikungunya-Impfstoff für Reisende und für Menschen in Endemie- oder möglichen Ausbruchsgebieten werden”, resümiert das Studienteam daher. Professor Peter Kremsner schränkt in diesem Zusammenhang aber ein: “Die Studie wurde nicht in den Regionen durchgeführt, in denen das Virus endemisch ist, sondern in den USA. Das heißt, man weiß nicht so viel über die Immunreaktion nach Impfung, wenn der Geimpfte zum Beispiel schon einmal Chikungunya hatte. Hilft die Impfung dann auch noch so gut wie versprochen? Das muss man prüfen. Letzten Endes ist es so strenggenommen erstmal ,nur‘ eine Reiseimpfung.“
Überträgermücke wird in Europa zunehmend heimisch
CHIKV wird durch Mücken der Gattung Aedes übertragen, unter anderem der Asiatischen Tigermücke Aedes albopticus. Diese wird durch klimatische Veränderungen zunehmend auch in Europa heimisch. So wurde beispielsweise 2017 in Italien ein Chikungunya-Ausbruch mit 86 bestätigten Infektionen berichtet. Auch in Frankreich und Spanien gab es Ausbrüche.
Bisher wurden in Deutschland lediglich reiseassoziierte CHIKV-Infektionen gemeldet. Das Robert Koch-Institut sieht das Risiko für autochthone CHIKV-Infektionen allerdings auch hierzulande, wie es erst kürzlich betonte: “Mit möglichen autochthonen menschlichen Chikungunya-Virus-Infektionen ist im Sommer zu rechnen”.
Ärztinnen und Ärzte sollten daher vor allem im Sommer und Spätsommer in Aedes albopictus-Verbreitungsgebieten aufmerksam sein und bei Häufungen von Erkrankungen mit Fieber unklaren Ursprungs bei Personen ohne Reiseanamnese an diesen Erreger denken. In Deutschland gilt Aedes albopticus vor allem im Gebiet des Oberrheingrabens als etabliert.
Quelle: DOI 10.1016/S0140-6736(23)00641-4