GTH-KongressDer Hausarzt als Gerinnungsmanager

Das Thema "Gerinnung" begleitet den Hausarzt tagtäglich, sei es bei der Abklärung von Gerinnungsstörungen, sei es bei der Einleitung oder beim Absetzen von Antithrombotika. Bei der 63. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung wurde eine Aktualisierung des "Gerinnungswissens" geboten.

Komplexe Ansammlung anormaler Blutgefäße im Gehirn.

Kryptogener Insult

Die ätiopathogenetische Klassifikation der Hirninfarkte beinhaltet die Kategorie “Kryptogener Hirninfarkt”, der neuerdings als “Embolic Stroke of Undetermined Source” mit dem Akronym “ESUS” bezeichnet wird. Danach müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Territorialer, nicht-lakunärer Hirninfarkt in der zerebralen Bildgebung (MRT oder CT)
  • Fehlender makrovaskulärer Gefäßprozess, insbesondere Atheromatose
  • Fehlende Kardioembolie (TEE, Langzeit-EKG, Loop)
  • Fehlende seltene Ursache wie Dissektion, Vaskulitis, Thrombophilie.

Man kann davon ausgehen, dass jeder vierte Hirninfarkt die Kriterien eines kryptogenen Insults erfüllt, bei Patienten unter 55 Jahren dürfte der Anteil sogar bei 50 Prozent liegen. Vieles spricht dafür, dass einem solchen Ereignis unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen. Ein relevanter Anteil der ESUS-Patienten leidet sicherlich an bisher nicht dokumentiertem Vorhofflimmern, so dass eine orale Antikoagulation (OAK) die sinnvollste Sekundärprävention sein dürfte. Doch bislang gab es keine Daten, die eine Überlegenheit einer oralen Antikoagulation mit VKA gegenüber Thrombozytenaggregationshemmern zeigen konnten. Deshalb wurden in den letzten Jahren randomisierte Studien aufgelegt mit der Frage, ob bei ESUS-Patienten ein NOAK einer Therapie mit einem Plättchenhemmer überlegen ist. Im letzten Jahr wurden die Ergebnisse von zwei dieser Studien publiziert.

Gegensätzliche Studieenergebnisse

In der NAVIGATE-ESUS-Studie wurden 7.213 ESUS-Patienten randomisiert entweder mit 15 mg Rivaroxaban einmal täglich oder 100 mg ASS täglich behandelt. Das mediane Follow up betrug 11 Monate. Der primäre Endpunkt (erneuter ischämischer oder hämorrhagischer Schlaganfall oder systemische Embolie) wurde bei 151 Patienten in der Rivaroxaban-Gruppe (5,1 Prozent pro Jahr) und bei 160 Patienten in der ASS-Gruppe (4,8 Prozent pro Jahr) erreicht. Somit fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen. Da unter Rivaroxaban signifikant häufiger relevante Blutungen auftraten (1,8 Prozent vs. 0,7 Prozent pro Jahr), wurde die Studie vorzeitig beendet.

In der RE-SPECT-ESUS-Studie wurde bei 5.930 ESUS-Patienten Dabigatran in einer Dosierung von zweimal 150 mg täglich (bei einem Alter > 75 Jahre oder eingeschränkter Nierenfunktion zweimal 110 mg täglich) mit 100 mg ASS täglich verglichen. Der primäre Endpunkt (ischämischer oder hämorrhagischer Schlaganfall) erreichten 4,1 Prozent pro Jahr unter Dabigatran und 4,8 Prozent unter ASS. Auch in dieser Studie also kein signifikanter Unterschied.

Hämophiliebehandlung

Die Therapie der Hämophilie besteht weiterhin in der regelmäßigen intravenösen Faktorensubstitution, wobei heute bevorzugt rekombinant hergestellte Produkte eingesetzt werden. Einen wesentlichen Vorteil brachte die Entwicklung von Faktorenkonzentraten mit verlängerter Halbwertszeit. Damit gelingt ein individualisiertes Gerinnungsmanagement. Ein neuer Ansatz ist der bispezifische Antikörper Emicizumab, der vereinfacht dargestellt die Funktion von Faktor VIII ersetzt, indem er aktivierten Faktor IX und X zusammenführt. Eine andere sich in Entwicklung befindende Option sind Tissue Factor Pathway Inhibitor (TEPI)-Antikörper wie Concizumab. Diese blockieren den TEPI und führen so zu einer verbesserten Aktivierung des Tissue Factors (TF). TF und Faktor VIIa aktivieren Faktor X zu Faktor Xa und gleichen so einen FVIII- oder Faktor IX-Mangel aus. Weitere vielversprechende Strategien sind die Antithrombin-Verminderung mittels small interfering RNA (siRNA) und die Gentherapie.

Atherothrombose

Patienten mit einer KHK oder PAVK haben trotz einer Standardtherapie mit Plättchenhemmern ein hohes Restrisiko für erneute kardiovaskuläre Ereignisse. Somit besteht dringender Bedarf für eine Optimierung der Sekundärprävention. In der COMPASS-Studie wurde eine ASS-Monotherapie mit der Kombination ASS plus 2 x 2,5 mg Rivaroxaban verglichen. Die Kombination mit dem NOAK reduzierte im Vergleich zu ASS die Zahl der Herzinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskulären Todesfälle. Und es wurde sogar die Gesamtmortalität gesenkt.

Hirnblutung unter NOAK

Ein wesentlicher Vorteil der NOAK ist die eindeutig niedrigere Wahrscheinlichkeit einer intrakraniellen Blutung im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten um über 50 Prozent. Ein zusätzlicher positiver Effekt ist die Verfügbarkeit eines spezifischen Antidots nämlich Idarucizumab gegen den direkten Thrombinantagonisten Dabigatran. Adexanet alpha als direkter Antagonist gegen die Wirkung der Faktor-Xa-Antagonisten steht kurz vor der Zulassung. Ohne Antagonisierung liegt die 90-Tage-Mortalität bei einer Antikoagulanzien-assoziierten intrakraniellen Blutung bei ca. 30 Prozent. Mit Idarucizumab kann sie bei Dabigatran auf unter 20 Prozent gesenkt werden. PPSB hat bei NOAK wahrscheinlich keine wesentliche Wirkung. Die Wiederaufnahme der oralen Antikoagulation nach stattgehabter Blutung scheint mit einem besseren Outcome und einer geringeren Mortalität verbunden zu sein.

Bridging

Patienten mit einer dauerhaften oralen Antikoagulation sind, wenn ein interventioneller Eingriff bevorsteht, eine Herausforderung. Es geht darum, die Gratwanderung zwischen erhöhtem Blutungsrisiko auf der einen Seite und einem thromboembolischen Ereignis auf der anderen Seite durch ein geschicktes Gerinnungsmanagement zu bestehen. Bei Vitamin-K-Antagonisten wird in der Regel ein Bridging mit Heparin empfohlen. Gilt das aber auch für die NOAK?

In der PAUSE-Studie wurde dieser Frage bei 3.007 Patienten mit einem niedrigen Blutungs- und niedrigen arteriellen Thromboembolierisiko nachgegangen. Das NOAK (Dabigatran, Apixaban, Rivaroxaban) wurde einen Tag vor und einen Tag nach dem Eingriff weggelassen, wenn das operative Blutungsrisiko niedrig war. Bei einem hohen Blutungsrisiko wurde das NOAK zwei Tage vor und zwei Tage nach der Operation pausiert. Bei Dabigatran wurde eine längere Pause eingehalten, wenn die Kreatinin-Clearance < 50 ml/min lag. Ein stärkeres Blutungsereignis nach 30 Tagen trat unter Apixaban bei 1,35 Prozent, unter Dabigatran bei 0,9 Prozent und unter Rivaroxaban bei 1,85 Prozent der Patienten auf. Die Rate an arteriellen thromboembolischen Ereignissen betrug bei Apixaban 0,16 Prozent, bei Dabigatran 0,6 Prozent und bei Rivaroxaban 0,37 Prozent. Fazit: Eine Blutungsrisiko-adaptierte Pause des NOAK von einem oder zwei Tagen ohne Heparin-Bridging ist ein sicherer Weg.

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