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Hausarzt MedizinFlüssigkeit und Ernährung – eine schwierige Entscheidung

Ärzte sind nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung verpflichtet, Hunger und Durst zu lindern. Es sollte daher die Symptombehandlung im Vordergrund stehen. Eine unkritische und oft leidvolle künstliche Ernährung bzw. Flüssigkeitsgabe am Lebensende sollte unterbleiben.

In der Palliativversorgung kann Flüssigkeitszufuhr Leiden oft verstärken und nur ­selten lindern. Wir sehen an den beiden Fallbeispielen (siehe Kästen), dass die mangelnde Flüssigkeitszufuhr, auch Dehydratation genannt, je nach Situation die Lebensqualität meist erhöhen und seltener auch verringern kann. Wenn in palliativen Situationen die Flüssigkeitszufuhr verringert wird, führt dies oft zu einem schlechten Gewissen bei den Angehörigen, Pflegenden, Ärzten. Wir müssen uns deshalb fragen, für wen wir die Flüssigkeit geben. Hilft sie tatsächlich dem betroffenen Patienten, wie im Fallbeispiel von Frau Meier, oder dient sie nur der Gewissensberuhigung der Umgebung und schadet vielleicht sogar dem Betroffenen?

Bei dieser Entscheidung hilft nur gute Infor­mation darüber, dass Flüssigkeitszufuhr nicht auto­matisch zu weniger Durst führt, sondern Durst vor allem vom Feuchtigkeitszustand der Mundschleimhäute abhängt. Mundpflege ist also die adäquate Reaktion­ auf die Angst, dass Betroffene verdursten, und diese kann sogar von Angehörigen mit übernommen werden.

Wissenschaftliche Studien haben das Verhalten und das Leiden schwerstkranker Sterbender bezüglich der Flüssigkeitszufuhr untersucht. 80 Prozent der Betroffenen nahmen weniger als ¼ des Flüssigkeitsbedarfs zu sich, fast keiner klagte über Durst und fast alle fühlten sich wohl. Dies zeigt, dass die Flüssigkeitsreduktion in der Sterbephase ein normaler Vorgang ist.

Nach den Grundsätzen der deutschen Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung besteht die Pflicht zum Stillen von Hunger und Durst und nicht zur Ernährung und Flüssigkeitsgabe um jeden Preis.

Flüssigkeitsgaben sind selbst in fortgeschrittenen Krankheitsphasen oder sogar in der Sterbephase aus palliativer Sicht in seltenen Ausnahmen dennoch sinnvoll. Typische Situationen sind, wenn rasche Flüssigkeitsverluste durch anhaltendes Erbrechen oder Durchfälle entstehen und die Lebensqualität des Betroffenen durch Bewusstseinsminderung einschränken; oder wenn ein fortgeschritten Erkrankter plötzlich im Rahmen eines Infekts eintrübt.

Subkutane Infusion

Eine subkutane Infusion erlaubt auch in fortgeschrittenen Krankheitsphasen eine schonende Gabe von Flüssigkeit und manchen in der Palliativbetreuung erforderlichen Medikamenten ins Unterhautfettgewebe (Tab. 1). Eingreifende und ärztliche Anwesenheit erfordernde Anlagen von Magensonde, PEG oder Venenverweilkathetern oder -kanülen können unterbleiben. Die Subkutannadel kann von einer Pflegekraft gelegt und muss meist nur einmal pro Woche erneuert werden. Typische Einstichstellen sind mittleres äußeres Oberschenkeldrittel, mittlere äußere Oberarmregion, Bauchdecke (nicht direkt am Bauchnabel), oberhalb der Brust. Die Subkutannadel darf nicht bei schweren Gerinnungsstörungen, in ein Lymph­ödem, in die Nähe von Aszites oder exulzerierenden Wunden gelegt werden. Über die Subkutannadel können problemlos 500 bis 1000 ml Flüssigkeit gegeben werden. Am besten eignen sich Ringerlösung oder 5-prozentige Glukose.

Da die Flüssigkeit nicht direkt ins Venensystem gelangt, kann eine plötzliche Überwässerung nicht passieren. Das Fettgewebe dient sozusagen als Filter. Falls Medikamente als Dauerinfu­sion gegeben werden, ist eine Steuerung über eine Infusionspumpe oder eine andere Form der Flussregulierung erforderlich.

Vorteile der Dehydratation

In palliativen Situationen hat die geringe oder fehlende Flüssigkeitsgabe in vielen Situationen einige entscheidende Vorteile. Durch die geringere Urinproduktion sind schwierige Toilettengänge oder das Umlagern auf die Bettpfanne seltener notwendig. Eine Blasenkatheteranlage kann vielleicht unterbleiben. Durch verringerte Sekretionen in das Lungen- und Bronchialsystem sind die Betroffenen weniger verschleimt, müssen oft nicht abgesaugt werden und zeigen weniger terminales Rasseln. Auch störende Aszitesansammlungen, Pleuraergüsse und Ödeme sind geringer ausgeprägt. Durch das geringere Ödem kommt es beispiels­weise bei (Hirn-)Tumoren zu weniger Druck des Tumors auf die Umgebung und damit zu geringeren Symptomen. Deshalb kann manchmal in der unmittelbaren Sterbephase die symptomorientierte Medikation sogar reduziert werden. Außerdem führt die geringere Körperflüssigkeit zur vermehrten Ausschüttung von Endorphinen, die ähnlich wie Opio­ide wirken.

Anorexie-Kachexie-Syndrom

Eine Kachexie kann bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, AIDS und fortgeschrittenen neurologischen Erkrankungen auftreten. Beispiel Tumor­erkrankungen: Der Tumor selbst bildet Eiweiß und fettabbauende Stoffe. Darüber hinaus kommt es zur Bildung immunologischer Stoffe, die zu einer Fehlregulation zwischen Verdauungstrakt, Gehirn und Hormonsystem führen. Dies führt letztlich zum Muskel- und Fettabbau. Da die Tumorkachexie nicht etwa durch eine mangelnde Nährstoffzufuhr, sondern durch immunologische, proteolytische und lipolytische Faktoren bedingt ist, bringt bloße Ernährung nichts. Es müssen die zugrundeliegenden Mechanismen behandelt werden. Dies kann zum Beispiel über Kortison bzw. Gestagene erfolgen. Die Wirkung des Kortisons erschöpft sich allerdings nach einigen Wochen.

Schluckstörung

Fortgeschritten Erkrankte, z.B. Schlaganfallpatienten oder fortgeschritten an Parkinson Erkrankte, leiden häufig an Schluckstörungen. Zunächst muss geprüft werden, ob Maßnahmen der Schluckdiagnostik und -therapie sinnvoll sind. Dazu kann z.B. ein Schluckversuch mit Wasser dienen. Speziellere diagnostische Verfahren sind die Schluckaktanalyse mit Röntgenverfahren oder Videoendoskopie. In überwiegend palliativen Situationen kommen diese aufwändigeren Verfahren häufig nicht in Betracht.

Maßnahmen der Schlucktherapie umfassen die Essensbegleitung mit entsprechenden Hilfestellungen, die Optimierung der äußeren, das Schlucken beeinflussenden Bedingungen und das individuelle Schlucktraining mit Muskelaufbau der am Schlucken beteiligten Muskulatur. Begleitet wird dies durch die Beratung und Anleitung der An- bzw. Zugehörigen. Schlucktherapie wird üblicherweise von Sprachtherapeuten mit angeboten.

Durch die Schluckstörungen kommt es zu einer verminderten Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme und zu der Gefahr der Gewichtsabnahme. Da besonders das Schlucken von Flüssigkeiten und krümeligen Speisen Probleme bereitet, ist die Umstellung der Speisenkonsistenz eine wesentliche Hilfe.

Wichtig ist es, das Therapieziel an die Krankheitsphase anzupassen. In frühen bis mittleren Krankheitsstadien ist es besonders wichtig, den drohenden Gewichtsverlust frühzeitig zu verhindern.

In fortgeschrittenen Krankheitsstadien hat eine forcierte Ernährungstherapie oft keinen Sinn mehr. Leider erhalten in unseren Gesundheitssystemen oft die falschen Patienten Ernährungssonden. Sie werden oft nahe am Lebensende z.B. bei schwerstem Schlaganfall oder Demenz gelegt. Wie nachfolgend gezeigt wird, haben sie hier leider meist keinen positiven Effekt. Bei Tumorpatienten, Menschen mit amyotropher Lateralsklerose oder leichterem Schlaganfall mit vorrangigen Schluckstörungen, bei MS-Patienten mit vorrangigen Schluckstörungen oder bei Parkinson-Patienten, die ihre Medikamente nicht mehr schlucken können, macht dagegen eine Ernährungssonde oft sehr viel Sinn.

Das Für und Wider einer PEG

Ein häufiges Dilemma bei fortgeschritten Erkrankten stellt die Versorgung mit der PEG-Sonde dar. Angehörige bekommen oft zu hören „Wir müssen eine PEG-Sonde legen oder wollen Sie, dass Ihr Vater verhungert?“ Unter diesem Druck stimmen die Angehörigen in fast allen Fällen zu. Dabei steigert die Sondenernährung nur in ausgewählten Situationen die Lebensqualität der Betroffenen. Essen und Trinken hat in den meisten Gesellschaften eine erhebliche soziale, fami­liäre, mitunter sogar religiöse Funktion. Die Sinnlichkeit des gemeinsamen Essens bildet einen wesentlichen Rahmen für gemeinsam gelebtes Leben. Diese soziale Lebensqualität wird jedoch durch eine Ernährungssonde in keiner Weise erreicht. Dennoch ist die Umgebung sehr beunruhigt, wenn ein Mensch in der Sterbephase nicht mehr isst und trinkt. Die Angst vor dem Verhungern ist gerade in einer Kultur, die in den letzten 100 Jahren zwei Weltkriege und dabei Hungersnöte erlebt hat, verständlicherweise groß.

PEG bei fortgeschrittener Demenz

Die PEG-Anlage wird meist als technisch einfacher, komplikationsarmer Eingriff dargestellt. Studien zeigen, dass es unmittelbar im Zusammenhang mit der PEG-Anlage wirklich selten zu Komplikationen kommt. Doch gibt es viele Langzeitkomplikationen (bis zu 70 Prozent) wie lokale Infektionen, Peritonitis, Durchfälle, Fixierungsmaßnahmen und ihre Folgen.

Studien konnten darüber hinaus zeigen, dass es bei PEG-ernährten Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz vermehrt zu Gewichtsverlust und Dekubitalulzera kommt. Auch Labormarker des Ernährungsstatus wie Hämoglobin, Hämatokrit, Albumin oder Cholesterol verbesserten sich nicht.

Doch wie sieht es mit der Aspirationsgefahr aus? Studien zeigten, dass es unter PEG-Sonden recht häufig (50 Prozent) zu Aspirationen bei fortgeschritten Demenzerkrankten kommt. Ursächlich scheint der durch die liegende Sonde reduzierte Druck im unteren Ösophagussphinkter, der normalerweise das Zurücklaufen des Mageninhalts in die Speiseröhre verhindert, eine Rolle zu spielen. Jedenfalls verhindern PEG-Sonden nach dieser Studienlage keine Aspirationen.

PEG-Sonden verhindern jedoch die sinnliche Geschmackserfahrung! Oft ist eine Fixierung des PEG-versorgten Patienten erforderlich. Dies dürften alles Faktoren sein, die die Lebensqualität eher einschränken als verbessern. In Studien verbesserte die PEG-Versorgung die Überlebensrate nicht. Es kam auch nicht zu einer Verbesserung der Aktivitäten des täglichen Lebens, des geistigen Zustands oder der Sprache. Anregungen, wie die enterale Ernährung trotz Demenz gelingen kann, auch bei Verzicht auf eine PEG-Sonde, sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

PEG und schwerer Schlaganfall

Schwere Schlaganfälle mit bleibenden Schluck­störungen haben eine sehr schlechte Überlebensrate. Während der ersten 30 Tage nach dem Schlaganfall kommt es durch den verringerten Allgemeinzustand zu einer hohen Sterblichkeit im Rahmen der PEG-Anlage. Es wird daher keine frühzeitige PEG-Anlage beim schweren Schlaganfall empfohlen. Nasogastrale Sonden können als Überbrückung genutzt werden.

Fazit

  • Viele Betroffene hören auf zu essen und zu trinken, weil sie sterben. Dagegen befürchtet die Umwelt oft, dass die Betroffenen sterben, weil sie nicht essen oder trinken.

  • Dehydratation am Lebensende ist ein sinnvoller Vorgang, da sie zu einer Endorphinausschüttung und damit zu weniger Leiden führt. Deshalb sollte in der Sterbephase wenig Flüssigkeit gegeben werden und auf eine gute Mundpflege geachtet werden.

  • Künstliche Ernährung und Flüssigkeitsgaben über Sonden oder Venenverweilkatheter sind medizinische Therapien, die der Zustimmung des Betroffenen bedürfen.

  • Nur selten führen Flüssigkeitsgaben und Ernährung am Lebensende zu einer verbesserten Lebensqualität. Eine unkritische künstliche Ernährung oder Flüssigkeitsgabe am Lebensende möglicherweise sogar gegen den Willen der Betroffenen ist daher meist eine nicht sinnvolle und in der Regel sogar unzulässige Maßnahme.

Literatur: Gerhard C. Praxiswissen Palliativmedizin, Thieme, Stuttgart 2015

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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