Die Anlage einer PEG-Magensonde bei Demenz ist seit Jahrzehnten umstritten und Gegenstand kontroverser Standpunkte und rechtlicher Auseinandersetzungen. Aktuell stuft die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie sie bei fortgeschrittener Demenz als nicht indiziert ein [1]. Eine orale Ernährungsunterstützung ist hinsichtlich der Ergebnisse Sterblichkeit, Aspirationspneumonie, funktioneller Status und Wohlbefinden mindestens so effektiv wie eine Sondenernährung via PEG. Eine aktuelle Studie aus 2016 belegt nun sogar: PEG-Versorgte sterben eher [2].
Der Fall
Der 82-jährige Pflegeheimpatient stand wegen einer Demenz seit 1997 unter Betreuung. Bei bereits fortgeschrittener Demenz wurde ihm 2006 eine PEG-Magensonde wegen Exsikkose und Gewichtsabnahme gelegt. Sein diesbezüglicher Wille konnte nicht ermittelt werden, ein Berufsbetreuer traf die Entscheidungen. Der beklagte Hausarzt selber stuft den Patienten als Palliativpatienten ein, notiert am 21.1.2010 „PEG, Multiinfarktdemenz, Palliativbehandlung“.
Vielfältige Leidenszustände sind aktenkundig: „extrem ausgeprägte Gelenkfehlstellungen mit der Unmöglichkeit sich selber zu bewegen, eine Tetraspastik mit derartigen Kontrakturen, dass sich in der Handinnenfläche eine Pilzerkrankung entwickelte, ein Nackenrigor, ein komplett marodes Gebiss mit der Notwendigkeit nahezu alle Zähne zu ziehen, rezidivierende Konjunktivitiden wegen der Unfähigkeit zum Lidschluss, eine Paraphimose, wiederkehrende Druckgeschwüre an Ellenbeuge, Kreuzbein, Fingergrundgelenken, Knie, Knöchel, gluteal und der Schulter sowie Erstickungsanfälle mit unzureichendem Abhusten.
Gleichwohl erfolgte die Fortsetzung der Ernährungsbehandlung, er wurde regelhaft abgesaugt und bei Komplikationen in die Klinik eingewiesen, dort lehnte man zuletzt aufgrund des schlechten Zustandes Operationen ab. Im November 2011 starb er im Rahmen einer Aspirationspneumonie, einer typischen Komplikation der PEG Ernährung.
Hausarzt verklagt
Wegen nicht indizierter künstlicher Ernährung verklagte der Sohn den Hausarzt. Das Gericht sieht einen Behandlungsfehler darin, die künstliche Ernährung mittels PEG ohne Behandlungsziel fortgesetzt zu haben [3]. Der Hausarzt sei ab Anfang 2010 verpflichtet gewesen, den Betreuer darüber in Kenntnis zu setzen, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Therapieziel nicht mehr zu erreichen war. Dass dies nicht geschehen ist, stelle eine Verletzung der Verpflichtung aus § 1901b BGB dar und sei somit ein Behandlungsfehler. Erstinstanzlich wurde allerdings kein Schmerzensgeldanspruch erkannt, da der Beweis für das dann erfolgte Beenden der PEG-Ernährung nicht geführt worden wäre. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Berufung ist vom Kläger eingereicht.
Meilenstein im Medizinrecht
Die Entscheidung ist ein neuer Meilenstein im Medizinrecht. Denn erstmals hat ein Landgericht entschieden, dass die künstliche Lebensverlängerung durch eine Magensonde bei schwerst leidenden Kranken ohne Therapieziel, also alleine lebens- und leidensverlängernd, medizinisch nicht indiziert ist. Das gilt auch für die Fortsetzung einer solchen PEG-Ernährung durch einen Arzt, der selbst bei Anlage der Sonde nicht verantwortlicher Arzt war. Die Indikation war fortlaufend zu überprüfen.
Das Urteil reiht sich in eine verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit für das Problem der Übertherapie am Lebensende ein. Über- wirtschaftliche Fehlanreize, Mengenausweitung von Eingriffen und Ausweitung der Indikationen sowie die Durchführung von nicht indizierten Eingriffen berichten die Bundesärztekammer [4], die Bertelsmann-Stiftung [5], der Deutsche Ethikrat [6] und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin [7] in einem Positionspapier mit dem wegweisenden Namen: „Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen.“ Das Buch „Patient ohne Verfügung“ ist seit Monaten Spiegel-Bestseller [8]. Anfang des Jahres startete gar „The Lancet“ mit einer Artikelserie zum „right care“ und dokumentiert die international vorhandene Problematik.
Hier belegt Deutschland mit 33 Prozent unnötigen Krankenhausbehandlungen eine Spitzenposition. Vielfach wird eine zu aggressive Krebsbehandlung am Lebensende aufgezeigt, bei jungen Patienten in den letzten 30 Lebenstagen bei drei von vier Betroffenen [9]. Aber auch andere Verfahren werden international kritisiert, neben der PEG-Ernährung auch Chemotherapie, die das Leben verkürzt, Bestrahlungsbehandlung kurz vor dem Lebensende, nutzlose Medikation, ineffektive Intensivtherapie am Lebensende oder die ziellose intravenöse Ernährung. Dagegen erfolgte Palliativversorgung nur in sechs Prozent der Fälle am Lebensende [10].
Indikation muss geprüft werden
Der Arzt hat in einem ersten Schritt stets zu prüfen, ob eine Indikation vorliegt: Kann mit der Maßnahme ein vom Patienten gewünschtes Therapieziel mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erreicht werden? Bei fortlaufenden Behandlungen – künstliche Ernährung, Beatmung, Dialyse – ist die Indikationsprüfung in Intervallen zu wiederholen.
Wille des Patienten zählt
Nach dieser Prüfung erfolgt dann die Behandlung naturgemäß erst nach Aufklärung und rechtswirksamer Einwilligung. Hier ist der Wille des Patienten zu beachten und da gibt es eine erhebliche Wortvielfalt (siehe Kasten). Der aktuelle und vorausverfügte Wille ist sofort umzusetzen. Vorausverfügter Wille heißt in diesem Zusammenhang, dass eine Krankheitssituation in einer Patientenverfügung treffend beschrieben ist und für diese Situation ein Behandlungswunsch vorausverfügt wurde.
Liegt bei einem nicht einwilligungsfähigen Patienten eine Patientenverfügung nicht vor oder trifft sie auf die aktuelle Behandlungskonstellation nicht zu, so ist rechtlich stets ein benannter Vertreter erforderlich. Dies kann ein Vorsorgebevollmächtigter sein (Vorsorgevollmacht ersetzt Betreuung), ansonsten ist über das Gericht ein Betreuer zu bestellen. Der rechtliche Vertreter soll nun durch Zeugenaussagen zu früheren konkreten Äußerungen den Willen ermitteln, dies nennt der Gesetzgeber dann „Behandlungswünsche“. Derlei zeugenschaftlich belegte Behandlungswünsche haben also die gleiche Rechtswirkung, wie eine unterzeichnete Patientenverfügung. Ansonsten kann aus seinen Äußerungen zu vergleichbaren Situationen auf den Willen geschlossen werden. Dies wird als der mutmaßliche Wille bezeichnet.
Nur wenn auch hier ein Wille nicht ermittelt werden kann, muss der Arzt die indizierte Maßnahme einfach so durchführen. Dabei gilt nach dem Urteil des Landgerichts München I der frühere Lehrspruch „in dubio pro vita“ zumindest bei schweren Leidenszuständen nicht mehr.
Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.
Literatur:
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2 Ticinesi A et al: Survival in older adults with dementia and eating problems: To PEG or not to PEG? Clinical nutrition 35 (2016) 1512–1516
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3 LG München I 9 O 5246/14, Urteil vom 18.01.2017
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4 Wiesing, U.: „Ärztliches Handeln zwischen Berufsethos und Ökonomisierung. Das Beispiel der Verträge mit leitenden Klinikärztinnen und –ärzten.“ Deutsches Ärzteblatt 110, Heft 38 (20.09.2013), S. A-1.752-A-1.756 , im Internet (Zugriff am 01.06.2016) unter www.zentrale-ethikkommission.de/page.asp?his=0.1.64
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5 Bertelsmann Stiftung: Faktencheck regionale Unterschiede 2015. https://faktencheck-gesundheit.de/de/faktenchecks/regionale-unterschiede/ergebnis-ueberblick/
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6 Deutscher Ethikrat: Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus; im Internet (Zugriff am 01.06.2016) unter www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-patientenwohl-als-ethischer-massstab-fuer-das-krankenhaus.pdf, 05.04.2016
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7 DGIM: Der Patient ist kein Kunde, das Krankenhaus kein Wirtschaftsunternehmen. DMW 07/2015 http://www.dgim.de/portals/pdf/Positionspapier_Schumm-Draeger_%C3%96konomisierung.pdf
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8 Thöns ;: Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende. Piper 2016
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10 Brownlee, S., Chalkidou, K., Doust, J. et al: Evidence for overuse of medical services around the world. Lancet DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(16)32585-5