Das Hohlkreuz jedenfalls, früher oft als Auslöser verdächtigt, ist nicht schuld: Dies gehört ebenso in den Bereich der Mythen wie die Annahme, degenerative Veränderungen würden immer von Schmerzen begleitet, sagt Dr. Katrin Fitzler, Langenselbold. Das gilt auch für die Aussage, Bettruhe sei immer indiziert.
Bettruhe wird in der neu überarbeiteten Nationalen Versorgungsleitlinie zum nicht spezifischen Kreuzschmerz klar abgelehnt, so Fitzler. Die weiteren, ebenfalls „nicht sinnvollen“ Behandlungen reichen von der Kurzwellendiathermie bis zur Verhaltenstherapie. Das beinhaltet unter anderem Magnetfeld-, Kälte- und Ergotherapie, Tens und Traktionen. Auch therapeutischer Ultraschall und Kinesiotaping kommen schlecht weg. Wobei die Allgemeinärztin anlässlich einer Selbstanwendung Letzteres als „nicht übel“ bewertete.
Welche Therapie ist sinnvoll?
Die Liste der als nützlich eingestuften Therapien umfasst Bewegungstherapie, Reha-Sport und Funktionstraining. Zur Schmerzlinderung sollten bevorzugt NSAR verwendet werden, sagte sie. Entspannungstechniken sind bei drohender Chronifizierung nützlich, eventuell auch eine Rückenschule. Auf Chronifizierungsgefahr können unter anderem Depressivität, Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, eine Neigung zur Somatisierung und Schonverhalten hinweisen. Das Risiko steigt auch bei Menschen mit körperlich schwerer Arbeit, monotoner Körperhaltung und unter Mobbing. Einige Therapien wurden nicht eindeutig bewertet, erklärt die Ärztin. Wärmetherapie etwa, obwohl sie bekanntlich in bestimmten Fällen hilfreich ist. Oder die Massage; von ihr können Patienten mit Störungen der Muskelspannung profitieren. Auch Akupunktur zählt dazu und kann nützen. In Fitzlers Praxis wird Akut-Akupunktur bei starken Muskelspannungsstörungen eingesetzt.
Das Leitlinien-Praxis-Dilemma: Der Patient leidet – der Arzt auch
Solche Diskrepanzen entsprechen dem häufigen Ergebnis eines Abgleichs von Leitlinien-Empfehlungen und praktischen Erfahrungen, so Dr. Oliver Emrich aus Ludwigshafen. Denn Leitlinien bieten zwar den Vorteil, auf randomisierten, kontrollierten Studien zu beruhen. Doch das impliziert auch Nachteile. Denn solche Studien betreffen lediglich einen Teil der Patienten. Beim unspezifischen Rückenschmerz ist das nur etwa jeder Zehnte. Infolgedessen rutscht der Arzt im Praxisalltag bei den anderen 90 Prozent oft in ein Dilemma: Würde man sich einseitig nur auf die externe Evidenz verlassen, so der Allgemein- und Schmerzmediziner, so liefe dies darauf hinaus, dass der Arzt mit dem Patienten (fast) nichts machen darf. „Damit können wir in der Praxis nichts anfangen“, stellte er fest.
Generell, so Emrich, ist der Hausarzt Behandler und Lotse der Patienten mit akutem, unspezifischem Rückenschmerz: „Wenn wir einen nicht-radikulären, keine neurologischen Ausfälle bedingenden Rückenschmerz haben, mit mäßigem Leidensdruck: Da brauchen wir keinen Facharzt – das können wir selbst. Wir machen eine aktivierende Therapie, grob orientiert an der Nationalen Versorgungsleitlinie.“ Aber bei Beschwerdepersistenz nach vier Wochen ist die fachärztliche Diagnostik an der Reihe. Liegen Alarmzeichen wie Fieber, Gewichtsabnahme, Kortikoide, zerstörte Knochen oder Blasen-Mastdarm-Störungen vor, dann sind Facharzt bzw. Klinikeinweisung sofort nötig.
Quelle: 28. Deutschen interdisziplinären Schmerz- und Palliativkongress (22.-25.3.2017) in Frankfurt am Main