Hausarzt MedizinCED: Die hartnäckige Geisel im Darm?

Mehr als 15.000 Menschen bundesweit erkranken laut Kompetenznetz Darmerkrankungen jährlich neu an Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Die meisten dieser Patienten führt der Weg erst einmal in die Praxis des Hausarztes – begleitet von hohem Leidensdruck angesichts dauerhafter und tabuisierter Beschwerden.

Unklare Pathogenese, nicht kausal therapierbar, individuell höchst unterschiedlicher Verlauf, erheblich eingeschränkte Lebensqualität der Betroffenen: chronisch entzündliche Darmerkrankungen stellen eine therapeutische Herausforderung dar. Wie lassen sich das Management der Beschwerden und die Versorgungsqualität der Patienten verbessern? Fragen dazu an den renommierten Experten Prof. Dr. med. Dr. h. c. Peter Malfertheiner, Direktor der Universitätsklinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Malfertheiner, die Pathogenese chronisch entzündlicher Darmerkrankungen ist nach wie vor nicht genau geklärt. Was sind aus Ihrer Sicht mögliche Ursachen?

Malfertheiner: Die Ursachen chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) sind vielschichtig. Von Bedeutung ist eine Imbalance des Darmmikrobioms verbunden mit einer Störung seiner Interaktion mit dem Immunsystem. Wir wissen heute, dass die Diversifizierung der Darmflora bei Patienten mit CED im Vergleich zu Gesunden limitiert und die Abwehrantwort des Darms – nämlich die Entzündungsreaktion – überschießend ist: Es kommt zu einem Kontrollverlust der regulatorischen T-Zellen. Auch die genetische Prädisposition spielt eine wichtige Rolle. Daneben kommen Umweltgifte, pathogene Keime sowie Antibiotika und natürlich schädliche Substanzen aus der Nahrung als Ursachen in Betracht

Weshalb nimmt die Inzidenz von CED kontinuierlich zu?

Malfertheiner: Wir sehen in allen Altersgruppen eine Zunahme dieser Erkrankungen. Einer der Gründe ist sicherlich die gestiegene Lebenserwartung, denn bei älteren Menschen treten CED häufiger auf. Auch bei Kindern wird eine Zunahme beobachtet. Der vermehrte frühkindliche Einsatz von Antibiotika könnte dabei eine Rolle spielen. Insgesamt ist die wachsende Inzidenz sicher auf veränderte ambientale Faktoren (i.e. Ernährung) und auf den heutigen Lebensstil zurückführen. Auch die moderne Diagnostik leistet ihren Beitrag beim häufigeren Nachweis der CED.

Wie beurteilen Sie angesichts von Chronizität und Unheilbarkeit die psychosoziale Dimension dieser Erkrankungen?

Malfertheiner: Diese spielt eine sehr große Rolle. Schließlich sind die Betroffenen in ihrem Arbeits- und Privatleben oftmals stark beeinträchtigt. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Depression, die bei CED-Patienten häufiger auftritt als in der Allgemeinbevölkerung. Depressionen verstärken wiederum eine CED, indem sie das Auftreten von Rezidiven und die Chronizität begünstigen. Es findet mithin eine negative Rückkoppelung statt.

Was empfehlen Sie zum diagnostischen Vorgehen?

Malfertheiner: Bei länger bestehenden Beschwerden, anhaltenden Durchfällen und Schmerzen im Abdomen sollte immer an eine CED gedacht werden. Zur eindeutigen Diagnose eines chronisch entzündeten Darms rate ich zu einer Ultraschalluntersuchung begleitet von einer Blutentnahme zur Bestimmung von Entzündungsparametern und zum Ausschluss einer Zöliakie. Eine Endoskopie des Magen-Darm-Traktes muss als nächstes erfolgen. Die Abgrenzung vom Reizdarm-Syndrom ist eine wichtige Differentialdiagnose. Daneben gibt es seltene chronische organische Erkrankungen des Darms, die im Rahmen der Endoskopie mit Biopsien ausgeschlossen werden können.

Was sind die wichtigsten Therapieziele bei CED?

Malfertheiner: Das vorrangige Therapieanliegen muss zum Einen sein, den Patienten die Symptome zu nehmen und etwaige Komplikationen zu beseitigen beziehungsweise ihnen vorzubeugen. Zum Anderen muss die Entzündung komplett unter Kontrolle gebracht werden. Angesichts dessen halte ich auch die derzeit diskutierte komplette Mukosaheilung für absolut unerlässlich. So gibt es eine Reihe von Untersuchungen – besonders bei Colitis ulcerosa – die zeigen, dass die vollkommene Abheilung der Mukosaschäden die Durchfälle nachhaltig stoppt und einen vier- bis zehnfach höheren Schutz vor Rezidiven der CED bietet. Die Überprüfung der Mukosaheilung erfolgt endoskopisch sowie durch die Bestimmung des Entzündungsmarkers Calprotectin im Stuhl. Im Verlauf sollten regelmäßige endoskopische Kontrollen des Darms stattfinden. Dies auch deshalb, um die Entstehung von Vorstufen eines Karzinoms rechtzeitig zu erkennen.

Wie sind diese Ziele zu erreichen?

Malfertheiner: Dazu steht uns ein sehr großes therapeutisches Arsenal zur Verfügung. Die Behandlung erfolgt differenziert in Abhängigkeit vom Vorliegen eines Morbus Crohn oder einer Colitis ulcerosa je nach Ausprägung der Erkrankung. Klassisch behandelt man akute Schübe der CED mit Kortikosteroiden. Ist die Erkrankung nicht stark ausgeprägt, können die Schübe mitunter auch bereits mit 5-Aminosalicylaten unter Kontrolle gebracht werden. Diese Wirkstoffe sind übrigens auch zur Remissionserhaltung bei leichter bis mittelgradiger Colitis ulcerosa sehr effizient. Ebenfalls dazu geeignet ist der Einsatz eines Probiotikums wie beispielsweise Mutaflor. Bei schweren Fällen beziehungsweise häufigen Rezidiven sollten in der Langzeittherapie Immunsuppressiva wie Azathioprin angewendet werden.

Welchen Stellenwert besitzen moderne Biologika in der Therapie von CED?

Malfertheiner: Diesen biologischen Substanzen kommt eine enorme Bedeutung zu, denn sie wirken positiv auf entscheidende Schritte der Inflammation ein. Die Kernmedikamente sind dabei die TNF-alpha-Inhibitoren, die sogenannten Anti-TNF, wie unter anderem das Infliximab, Adalimumab und das Certolizumab. Weiterhin zu nennen sind Substanzen, die an Anti-Integrine binden wie das Vedolizumab. Als sehr erfolgversprechend haben sich in Untersuchungen auch Kombinationen von Anti-TNF und Anti-Integrinen sowie von Anti-TNF und Interleukin 12 oder 23 erwiesen. In diesen kombinierten Behandlungen liegt meiner Ansicht nach die Zukunft der CED-Therapie bei komplizierten Fällen.

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