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Arzt-Patienten-KommunikationTipps zur Sexualanamnese

Sowohl Patienten als auch Ärzten fällt es oft schwer, das Thema Sexualität anzusprechen. Wie Sie im Praxisalltag kompakt und effektiv eine Sexualanamnese erheben.

Immer mehr Patienten wenden sich bei sexuellen Störungen an ihren Hausarzt. Zugleich kennt dieser seine Patienten am besten und weiß um deren somatische und psychische Risikofaktoren für die sexuelle Gesundheit. Aber wie gelingt eine gute Sexualanamnese im hausärztlichen Alltag?

Die Sexualanamnese ist das wichtigste Instrument in der Diagnostik sexueller Probleme. Sie bedeutet vor allem, gemeinsam auf die Suche zu gehen – sowohl nach Ursachen als auch nach Lösungen. Mit dem Patienten zu verstehen, wie und warum etwas so geworden ist, wie es ist, ist sehr wichtig und wirkt fast immer bereits “therapeutisch”.

Dabei ist der Begriff “Anamnese” eher irreführend, da er den Fokus zu sehr auf die Vergangenheit richtet. Wichtig ist in der Praxis zunächst eine Exploration des sexuellen Ist-Zustands: Der beste Zugang zur sexuellen Symptomatik besteht in einer klaren und detaillierten Beschreibung des sexuellen Status quo mit seinen verschiedenen Komponenten, zu denen auch die relevanten biografischen und sexuellen Erfahrungen gehören.

2 x 2-Regel

Bei der Sexualanamnese sollten Sie zwei Achsen und zwei Perspektiven beachten (s. Grafik). Zum einen stehen wie bei jeder Anamnese Struktur- und Informationsachse sowie Beziehungsachse in enger Wechselbeziehung. Nur wenn vonseiten des Arztes wirkliches Bemühen um ein Verstehen der Problematik erkennbar ist, kommt ein fruchtbares Arbeitsbündnis zustande.

Und nur, wenn ein tragfähiges Arbeitsbündnis vorhanden ist, fühlt der Patient oder das Paar sich verstanden und vermittelt dem Therapeuten die für das weitere Vorgehen notwendigen Informationen. So bleibt ein Erst- oder Anamnesegespräch keine “Einbahnstraße” mit einem einseitigen Informationsfluss vom Patienten zum Arzt und bietet bereits viele Edukations- und Beratungsmöglichkeiten. Durch Therapeuten, die alles ganz schnell oder grundsätzlich “besser wissen”, fühlen sich Patienten leicht entwertet, bevormundet oder “klein gemacht” und nicht in ihrer Individualität gesehen.

Darüber hinaus sollten Sie immer zwei Perspektiven fokussieren: das innere Erleben und das reale Geschehen bzw. die sexuelle (Inter)Aktion und Funktion. Konzentrieren sich Ärzte nur auf den Erektionsgrad in verschiedenen Phasen einer sexuellen Begegnung, erhalten sie ein unvollständiges Bild. Dasselbe gilt, wenn sie nur die Gedanken und Gefühle des Patienten erfassen, aber nicht das, was sich an physischer Stimulation sowie sexueller Funktion und Interaktion tatsächlich abspielt.

Zum Gespräch einladen

In der Praxis gibt es grundsätzlich zwei Varianten:

1. Der Patient spricht das Thema Sexualität an.

2. Der Arzt möchte es ansprechen – entweder im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung oder Anamneseerhebung oder weil bekannte Risikofaktoren vorliegen (etwa Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen oder psychische Probleme).

Möchten Sie Sexualität thematisieren, empfiehlt sich die “Einladungsmethode”. Dabei holen Sie sich zunächst die Zustimmung des Patienten. Ein Beispiel: “Ich weiß von vielen meiner Patienten mit Diabetes, dass es dadurch früher oder später auch zu Problemen in der Sexualität kommen kann. Deshalb würde ich Ihnen gern einige Fragen dazu stellen. Wären Sie damit einverstanden?”.

Eine solche Einladung können Patienten ablehnen, aber die wenigsten tun dies. Und diejenigen, die es tun (“lieber nicht”; “ich glaube, das ist nicht nötig”; “damit habe ich/haben wir schon lange abgeschlossen”), merken sich, dass ihr Arzt diesbezüglich gesprächsbereit ist und kommen nicht selten später darauf zurück (“Sie haben da neulich ein Thema angeschnitten. Ich denke, es ist vielleicht doch gut, wenn wir einmal darüber sprechen.”).

Haben Sie die Zustimmung des Patienten eingeholt, sollten Sie das Gespräch mit einigen einfachen Screening-Fragen eröffnen:

  • “Waren Sie in den letzten sechs Monaten sexuell aktiv?”
  • “Welche sexuellen Probleme sind bei Ihnen und Ihrem Partner/Ihrer Partnerin aufgetreten?”

Das Problem Zeitdruck

Zeitdruck ist unter den üblichen Praxisbedingungen allgegenwärtig. Besonders problematisch kann es sein, wenn Patienten das Thema Sexualität quasi beim Rausgehen ansprechen – oder gegen Ende der Konsultation, und dann in ihrem Redefluss kaum zu stoppen sind.

Zeigen Sie in beiden Fällen Interesse und hören Sie dem Patienten auf jeden Fall eine Minute zu, ohne ihn zu unterbrechen. Betonen Sie, dass es Behandlungsmöglichkeiten gibt und es deshalb wichtig und richtig ist, dass der Patient die Probleme anspricht. Bitten Sie um Verständnis für den Zeitdruck im Praxisbetrieb und verweisen Sie darauf, dass eine solche Problematik komplex ist und eine sorgfältige Abklärung (nicht “zwischen Tür und Angel”) benötigt.

Verabreden Sie dann einen möglichst zeitnahen neuen Termin, der ganz für die sexuelle Problematik reserviert ist.

Auch ein eher kurzes, aber offenes und fokussiertes Gespräch hat immer schon einen therapeutischen Effekt, weil viele Patienten es noch nie erlebt haben, wie unverkrampft und detailliert über sexuelles Erleben und Verhalten gesprochen werden kann.

Sexuelles Erleben analysieren

Bei der Sexualanamnese besteht der Königsweg in einer ausführlichen Detailanalyse der letzten oder einer typischen sexuellen Erfahrung. Mit einer solchen detaillierten Besprechung des sexuellen Erlebens dringen Ärzte recht schnell und direkt in diesen intimen Lebensbereich der Patienten ein.

Deshalb sollten Sie erklären, warum Sie so vorgehen: “Es ist wichtig, dass ich mir ein möglichst genaues Bild machen kann, was im Einzelnen passiert, wenn ihre sexuellen Probleme auftreten. Am besten geht das, wenn wir uns gemeinsam anschauen, wie entweder die letzte oder eine typische Situation aussieht, in der Sie sexuell aktiv waren. Wären Sie damit einverstanden?”.

Die meisten Patienten stimmen diesem Vorschlag zu. Dennoch ist vielen anzumerken, wie schwer das offene Sprechen fällt und dass Gefühle wie Peinlichkeit oder Scham auftauchen. Das sollten Sie nicht ignorieren, sondern empathisch aufgreifen und rückmelden: “Ich merke, dass das gar nicht so leicht fällt und ich Sie da ganz schön ins kalte Wasser werfe. Wollen wir es trotzdem weiter versuchen? Geben Sie mir einfach ein kleines Signal, wenn es zu schnell geht oder ich an irgendeiner Stelle zu direkt frage”.

Auch das Setzen von Orientierungspunkten zum Zeitrahmen und zu den Inhalten hilft sehr: “Wir haben heute begrenzt Zeit und sollten uns erst mal darauf konzentrieren, wie die Probleme aktuell aussehen. Bei den nächsten Terminen werden wir uns dann mit der Entwicklung der Probleme und der Partnerschaft beschäftigen”.

Inhalte der Sexualanamnese

Wenn Sie Geschichte und Entwicklung der sexuellen Problematik fokussieren, sollten Sie Folgendes klären: Unter welchen inneren und äußeren Bedingungen sind die Schwierigkeiten erstmals aufgetreten (u.a. plötzlich oder schleichend)? Wie war dann der weitere Verlauf (kontinuierlich schlechter, konstant, Besserungs- oder symptomfreie Phasen)?

Gibt es Lebensereignisse oder besondere Umstände, die von Bedeutung sind für Veränderungen im sexuellen Ist-Zustand? Wie ist es unter Urlaubs- oder stressfreieren Bedingungen? Hat der Patient unter speziellen Belastungen gelitten und sexuelle Grenzverletzungen oder sexuellen Missbrauch erlebt?

Die Umstände und Bedeutung der ersten sexuellen Erfahrungen können eine ebenso wichtige Rolle für sexuelle Probleme spielen wie typische Lebensübergänge (Zusammenleben, Heirat, Schwangerschaft/Kinder, Trennung, Umzug, Eintritt ins Berufsleben, berufliche Veränderungen usw.).

Ein weiterer wichtiger Bereich der Sexualanamnese ist die Masturbation. Für einen Teil der Patienten ist sie nach wie vor schambehaftet. Daher sollten Sie auch hier erklären, warum Informationen dazu für eine umfassende Einschätzung der Probleme bedeutsam sind. Gesprächstechnisch hat sich die “Selbstverständlichkeitsmethode” bewährt, bei der Ärzte – empirisch gestützt – davon ausgehen, dass die meisten Männer und die Mehrheit der Frauen zumindest gelegentlich masturbieren.

Die Frage bezieht sich also nicht auf das “ob”, sondern auf das “wie” (zum Beispiel: “Wenn Sie sich selbst stimulieren, wie ist es dabei mit der Gliedsteife?”).

Partnerschaft und Werte

Die Einbindung der sexuellen Problematik des Patienten in seine Partnerschaft und die Anteile und Motive des Partners sind ein fester Bestandteil jeder Sexualanamnese. Auch im Erstgespräch und in der Exploration des sexuellen Ist-Zustands sollten Sie sie thematisieren, ohne ihnen jedoch zu viel Raum einzuräumen – hier besteht die Gefahr, sich schnell zu verlieren und nicht weiter auf die sexuelle Problematik einzugehen. Wichtige Punkte, die Sie eher früh ansprechen sollten:

  • Besteht beim Partner noch Interesse an Sexualität?
  • Welche Einstellung und welche Erklärung hat der Partner in Bezug auf die beklagte Störung?
  • Gibt es Schuldzuweisungen und Schuldvorwürfe?
  • Wer initiiert die sexuellen Kontakte häufiger?
  • Wird über Sexualität und über die jeweiligen sexuellen Wünsche und Bedürfnisse gesprochen?

Wichtig sind auch die persönlichen Einstellungen zur Sexualität, das Wertegerüst des Patienten inklusive religiöser Überzeugungen sowie soziokulturelle Faktoren. Auch das ist ein weiter Bereich, von dem Sie sich unter Praxisbedingungen zunächst einmal einen kompakten Überblick verschaffen sollte.

Auch im hausärztlichen Alltag können Sie kompakt und effektiv eine Sexualanamnese führen.

Literatur:

  1. Hartmann U (2018). Sexualtherapie. Ein neuer Weg in Theorie und Praxis. Berlin: Springer.
  2. Hartmann U, Krüger T, Kürbitz V, Neuhof C (Hrsg.) (2021). Sexualmedizin für die Praxis. Sexualberatung und Kurzinterventionen bei sexuellen Störungen. Berlin: Springer.
  3. Perelman MA (2018). Sex coaching for non-sexologist physicians: how to use the sexual tipping point mode. J Sex Med, 15, 1667–1672.
  4. Gekürzte und modifizierte Fassung des Kapitels “Gesprächsführung und Sexualanamnese” aus: Hartmann U, Krüger T, Kürbitz V, Neuhof C (Hrsg.): Sexualmedizin für die Praxis. Berlin: Springer 2021.

Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

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