Ein Großteil aller Erkrankungen ist ernährungs- und lebensstilassoziiert. Wie können Hausärzte gegensteuern?
Die Medizin hat sich vom “reactive approach” entfernt. Heutzutage zählt vor allem, wie Patienten ihre Gesundheit aktiv mitgestalten können. Und dabei spielt die Ernährung eine zentrale Rolle.
Im hausärztlichen Alltag bleibt im Regelfall nicht genug Zeit für eine Ernährungsberatung. Aber ich sehe es als wichtige Aufgabe der Hausärzte, Patienten mit einem entsprechenden Bedarf zu erkennen und zur Ernährungstherapie zu schicken. Es sei denn, er oder sie ist selbst Ernährungsmediziner.
Bei welchen Krankheitsbildern ist eine Ernährungstherapie unbedingt indiziert?
Patienten mit einer Unter- und Mangelernährung oder einer malignen Adipositas gehören zum Ernährungsmediziner. Dasselbe gilt auch für Menschen mit einem metabolischen Risiko, zum Beispiel bei Krebserkrankungen im Bereich des Gastrointestinaltrakts.
Sinn macht eine Überweisung eventuell auch beim “hausärztlichen Chroniker”: Bei Patienten mit Fibromyalgie, chronischen Entzündungen und psychosomatischen Erkrankungen kann ein Ernährungsproblem bestehen. Zum Beispiel profitieren Menschen mit Rheuma vom Fasten und von antientzündlicher Ernährung.
Oft sprechen Hausärzte das Thema Ernährung auch selbst an. Haben Sie Tipps für die Kommunikation?
Die betroffenen Patienten wissen, dass sie übergewichtig sind – schließlich ist ihnen bekannt, wie viel sie wiegen und wie sie im Spiegel aussehen. Das müssen wir ihnen also nicht unter die Nase reiben. Trotzdem spreche ich das Thema an und frage, ob er oder sie etwas dagegen tun möchte. Dann gebe ich ihnen ein Ernährungstagebuch mit (s. Link-Tipp).
Außerdem drucke ich ihnen die zehn Regeln der gesunden Ernährung aus (s. Kasten unten) und fordere sie dazu auf, diese an ihren Kühlschrank zu hängen. Der Patient muss zur Selbsterkenntnis kommen, das ist entscheidend. Wenn der- oder diejenige nicht will, bringt es nichts. Und zur Selbsterkenntnis gelangt er oder sie zum Beispiel durch ein Ernährungstagebuch.
Wichtig ist es auch immer, Strategien zu finden, die zu dem Betroffenen und seinem Alltag passen. Es nützt nichts, den Patienten strikte Vorschriften zu machen. Eine übergewichtige Mutter von zwei Kindern, die berufstätig und alleinerziehend ist, brauche ich nicht dazu aufzufordern, ins Fitnessstudio zu gehen – sie hat gar keine Zeit dafür.
Welche Fragen stellen Sie den Patienten, um herauszufinden, welche Strategien für sie infrage kommen?
Ich erkundige mich nach ihrem Tagesrhythmus: Was machen sie beruflich? Wie fahren sie zur Arbeit? Haben sie Zeit für Sport? Wie versorgen sie sich in der Mittagspause, kann er oder sie sich etwas vorkochen?
Wir sollten ja mindestens 10.000 Schritte pro Tag machen und dies sieben Tage die Woche – das lässt sich zum Beispiel dadurch erreichen, dass man auf dem Weg zur Arbeit eine Straßenbahnstation früher aussteigt. Dann muss er oder sie zwar früher los, hat die Bewegung aber in den Alltag eingebaut.
Viele Menschen greifen auf Diäten zurück, um abzunehmen. Im Trend liegen derzeit etwa Low-Carb oder Intervallfasten. Was halten Sie davon?
Radikale Änderungen werden meist nicht durchgehalten.
Besser ist ein Komponentenaustausch – das heißt, der Teller bleibt immer gleich voll, aber die Zusammensetzung ändert sich. Intervallfasten macht Sinn, um den Leberstoffwechsel zu entlasten – aber nicht für eine Gewichtsabnahme. Das Einsparen von Kohlenhydraten zum Abnehmen halte ich am Abend für sinnvoll.
Welche Hinweise geben Sie den Betroffenen sonst noch?
Ich empfehle, ausreichend Wasser zu trinken. Der Magen muss beim Abnehmen weiterhin gedehnt werden, damit aus der Magenwand Leptin freigesetzt wird und dem Gehirn rückmeldet, dass man satt ist. Gegebenenfalls verordne ich ein Trinkprotokoll.
Außerdem rate ich zum Beispieldazu, das Gemüse im Kühlschrank auf Augenhöhe zu lagern, vegetarische Tage einzuführen, keine Light-Produkte zu kaufen, Weintrauben zu meiden und den Verdauungsschnaps wegzulassen.
Auch sollten die Patienten keine Mahlzeiten auslassen, sondern den Blutzuckerspiegel konstant halten. Generell halte ich völligen Verzicht für kritisch – es gilt, ein ausgewogenes Verhältnis zu finden. In Hinblick auf die Bewegung hilft es vor allem, die Beinmuskulatur zu trainieren – also Laufen, Nordic Walking, Schwimmen.
Immer mehr Menschen ernähren sich vegan. Was raten Sie ihnen?
Hier ist es natürlich wichtig, die Vitamine regelmäßig zu monitoren. Bei unter 18-Jährigen ist eine vegane Ernährung auf keinen Fall empfehlenswert. Auch bei Risikogruppen wie Schwangeren, älteren Menschen und Krebspatienten ist sie kontraproduktiv.
Studien zeigen, dass eine vegetarische Ernährung gesünder ist und die Menschen deutlich länger leben.