KongressberichtDie Zukunft der Suchtbehandlung ist digital

Die Zahl der Drogentoten steigt und die Fentanyl-Krise droht auch nach Deutschland zu kommen. Dass nun rasches Handeln erforderlich ist, verdeutlichten die Experten beim interdisziplinären Kongress für Suchtmedizin. Eine Möglichkeit sind niedrigschwellige, digitale Angebote.

Wie anfangs in den USA werden auch hierzulande immer häufiger synthetische Opioide wie Fentanyl Heroin beigemischt.

Deutschland vor der Überdosiskrise

Das kanadische British Columbia ist derzeit ein Hotspot der Überdosiskrise, jeden Tag sterben daran bis zu neun Menschen. In den USA wurden im letzten Jahr 110.000 Drogentote gezählt – was bereits Auswirkungen auf die Gesamtlebenserwartung hat. In Europa führen Schottland (267 Drogentote/1 Mio. Allgemeinbevölkerung) und mit einigem Abstand Schweden (79/ 1 Mio.) die Liste an. Länder wie Frankreich oder die Niederlande, die eine hohe Abdeckung mit Substitution aufweisen, haben ein deutlich geringeres Problem damit.

In Deutschland besteht bislang keine generelle Überdosiskrise, allerdings ist eine steigende Mortalität im Kontext von Drogenkonsum zu beobachten. Wie anfangs in den USA werden auch hierzulande immer häufiger synthetische Opioide wie Fentanyl Heroin beigemischt; innerhalb von drei Jahren wurde Fentanyl dort die dominierende Droge.

Wie die Erfahrungen zeigen, sollte man schnell auf die Überdosiskrise reagieren, um möglichst viele Menschen zu erreichen und ihnen eine Substitution zur Verfügung zu stellen. Denn der Schutz vor einer Überdosiskrise ist deutlich besser, wenn die Menschen bereits in Behandlung sind und dort gehalten werden können.

Die Experten fordern daher dringend ein Monitoring des aktuellen Konsumverhaltens sowie lokale Frühwarnsysteme. Ein Weg die Versorgung – die bisher nicht auf den veränderten Drogenmarkt eingestellt ist – zu verbessern, sind niedrigschwellige, digitale Zugangsmöglichkeiten. So verbindet etwa das Projekt ASSIST in Stuttgart erfolgreich digitale Angebote mit direkten Versorgungsmöglichkeiten. (Dr. Maurice Cabanis, Stuttgart & Prof. Michael Krausz, Vancouver, Kanada)

Neue Therapieansätze bei Suchterkrankungen

Zur Behandlung von Suchterkrankungen stehen momentan die Substitutionstherapie bei Opioidabhängigkeit (z.B. mit Buprenorphin), sowie Medikamente bei Alkoholabhängigkeit (z.B. Acamprosat) oder bei Nikotinsucht (z.B. Bupropion) zur Verfügung. Begleitend werden verschiedene Arten der Psychotherapie, etwa kognitive Verhaltenstherapie oder Kontingenzmanagement durchgeführt.

Einen neuen Ansatz bietet die halluzinogene Substanz Psilocybin, die derzeit in mehreren, meist kleineren Studien bei den oben genannten Suchterkrankungen und Kokainsucht untersucht wird. In Kanada wird die Substanz im Rahmen von ein- bis zwei Sessions einzelnen Patienten verabreicht und zeigt “erstaunlich überzeugende Ergebnisse”.

Ein interessantes nicht-invasives Verfahren im Bereich der Suchtbehandlung ist die repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS), wobei das in Schädelnähe erzeugte Magnetfeld ein elektrisches Feld im Gehirn induziert, welches zur Aktivierung von Nervenzellen im dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC) führt. Dadurch sollen die kognitive Kontrolle gestärkt, individuelle Verhaltenskontrollen verbessert und erstarrte Verhaltensantworten vermindert werden.

Vor allem die rTMS mit höheren Frequenzen scheint sich bei Alkoholsucht und Substanzmissbrauch zu bewähren. Zudem zeigt ein aktuelles Review, dass mehrere TMS am DLPFC zu einer signifikanten Verringerung des selbstberichteten Kokainverlangens (Craving) führten und sich die Neigung zu unüberlegtem Handeln unter Stress gegenüber den Kontrollpersonen verbesserte. (Prof. Christian Schütz, Vancouver Kanada)

Digitale Unterstützung der Adhärenz

Bei der Adhärenz von Suchtpatienten bestehen besondere Herausforderungen – beispielsweise Stigma und Scham, was die Bereitschaft beeinträchtigt, sich an abgesprochene Behandlungen zu halten. Dazu kommen komplexe Therapieregime und ein hohes Rückfallrisiko. Für eine digitale Unterstützung gibt es drei zentrale Anwendungsgebiete: Testen und Kontrolle (digitale Biomarker, mobile Tests für Alkohol oder Drogen), Therapie und Selbsthilfeprogramme (Web-based Programme, Apps, Telemedizin) und die tägliche Unterstützung im Alltag (Apps, Telemedizin).

In ersten Studien zeigte die digitale Intervention gute Erfolge bei Alkoholabhängigkeit, jedoch kaum bei der Raucherentwöhnung. Eine Pilotstudie (HOPE Heal. Overcome. Persist. Endure), die eine unterstützende Smartphone-Anwendung bei Opioidabhängigen testete, ergab eine akzeptable Adhärenz über sechs Monate.

Das Potenzial digitaler Dienste für die Suchttherapie ist noch nicht ausgeschöpft – in dem recht neuen Forschungsfeld sind noch zahlreiche Entwicklungen zu erwarten. Eine hierzulande beliebte virtuelle Beratungsplattform ist DigiSucht (www.suchtberatung.digital). (Prof. Kaarlo Simojoki, Mehiläinen, Finnland)

Drug Checking für Jugendliche

Das Angebot für Drug Checking gilt bislang hauptsächlich für Erwachsene. Doch gerade Jugendliche und junge Erwachsene konsumieren überdurchschnittlich oft Partydrogen – wodurch eine erhöhte Gefahr für Überdosierungen oder toxischen Verunreinigungen besteht.

Angesichts möglicher Fentanyl-Beimischungen könnte Drug Checking die Jugendlichen vor gesundheitlichen Schäden bewahren. Dagegen spricht, dass die Konsumbereitschaft steigen könnte, weil es eine vermeintliche Sicherheit und einen seriösen Umgang mit Drogen vermittelt. (Dr. Maurice Cabanis, Stuttgart & Dr. Franziska Saissi, Zürich, Schweiz)

DiGAs versus Gesundheits-Apps

Während Apps auf den Lebensstil abzielen, dienen DiGAs der Therapieunterstützung. Der Zugang zu Apps ist frei, aber zahlungspflichtig. DIGAs dagegen sind als Medizinprodukte verordnungspflichtig, jedoch für die Anwender kostenfrei. Ihr Nutzen ist in Studien nachgewiesen, ihre Anwendungsdauer zeitlich beschränkt. (Prof. Christina Holzapfel, München)

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