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Hausärzte weltweitFast wie auf dem Traumschiff

Der Allgemeinmediziner Dr. Joachim von Pritzbuer war 15 Jahre lang als Schiffsarzt auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs. Er erzählt von seinen Erlebnissen.

Ein klassischer Fall: Der ältere Herr kommt mit Rückenschmerzen. An diagnostischen Verfahren hat er alles machen lassen, was das deutsche Gesundheitswesen bietet. “Und nun kam er zu mir und fragte, was ich als Schiffsarzt ihm denn raten würde”, erzählt Dr. Joachim von Pritzbuer.

Da schwebten die Überväter aller Schiffsärzte im Raum, Horst Naumann und Nick Wilder. Versierte “Traumschiff”-Mediziner, die in Jahrzehnten das deutsche Fernsehpublikum mit ihren übernatürlichen medizinischen Fähigkeiten begeisterten. Die Realität sieht – was sonst – ein wenig anders aus.

“Horst Naumann vom Traumschiff hat uns ein bisschen die Preise versalzen”, sagt Dr. Joachim von Pritzbuer, halb im Spaß und halb im Ernst. “Der kann alles, weiß immer Rat und ist immer braungebrannt. Diesem Standard laufen wir hinterher, aber wir bemühen uns Schritt zu halten.”

Kombinierte Leidenschaften: Medizin und Reisen

15 Jahre lang fuhr der “echte” Allgemeinmediziner und Notarzt mit der Kreuzfahrtflotte des deutschen Marktführers zur See. Der 53-Jährige war mit allen Schiffen auf allen Routen unterwegs, “ich habe 52mal Gran Canaria angelaufen, die kanarischen Inseln interessieren mich überhaupt nicht mehr”, sagt der Globetrotter, dem im persönlichen Reiseportfolio nur noch die Antarktis fehlt.

Mit dem Dienst als Schiffsarzt, “der nach dem Kapitän einer der beliebtesten Crew-Mitglieder an Bord ist”, hat der gebürtige Bremer zwei Leidenschaften kombiniert: Medizin und Reisen.

Nach Abitur und Zivildienst im Rettungsdienst war er zunächst drei Monate lang mit dem Fahrrad durch die kanadischen Wälder unterwegs, bis er ins Medizinstudium in Kiel startete. Es war der Beginn einer großen Reiseleidenschaft, die ihn in jeden Winkel der Erde führte. Dass er auf der Kreuzfahrt anheuerte, “überhaupt nicht meine Art Urlaub zu machen”, kommt nicht von ungefähr.

Vom Medizinstudium ging Joachim von Pritzbuer erst zum Notdienst, dann ins Krankenhaus, schließlich als Weiterbildungsassistent in eine Hausarztpraxis im Landkreis Cuxhaven, bei der ein praxiseigener Notarztwagen vor der Tür stand. Der Chef dort betreute die Sea Cloud, den historischen Luxussegler, medizinisch, schaffte die Dienste aber nicht allein. Joachim von Pritzbuer sprang ein, fand Gefallen an der Seefahrt und heuerte bei der Kreuzfahrt an.

Bis zu 6.000 Passagiere und 1.400 Crew-Mitglieder fahren in nichtpandemischen Zeiten auf den größten Schiffen der Flotte mit; bis zu vier Ärzte aus den Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Innere Medizin und Chirurgie plus medizinisches Personal betreuen die Bordinsassen im Zwei-Schicht-Betrieb mit nächtlicher Rufbereitschaft und Mini-Hospital inklusive Intensivstation.

Crew und Passagiere haben jeweils eigene Sprechstunden, “damit der ölverschmierte Maschinist nicht neben dem Smoking-tragenden Passagier sitzt”.

An Diagnostik sei alles möglich, was in einem durchschnittlichen kleinen Krankenhaus vorgehalten werde. “Das Schiff bietet ein sehr hohes Patientenportfolio, weil die Passagiere nahezu wöchentlich komplett wechseln. Wir haben eine unglaubliche Bandbreite von Krankheiten.”

Verschleppte TBC, nicht ausgeheilte Brüche, Geschlechtskrankheiten oder Borreliose in weit fortgeschrittenen Stadien, starke, nicht erkannte Fehlsichtigkeit unter den Crew-Mitgliedern: “Es ist völlig egal, nach welcher Krankheit Sie mich fragen: Wir hatten sie an Bord.” Den hohen medizinischen Standard Deutschlands böten die allermeisten anderen Länder der Welt nicht, mit Ausnahme von Skandinavien.

Auf dem Schiff kann anbehandelt werden; eine weiterführende Diagnostik aber muss landseitig erfolgen. Wiederholt komme es vor, dass Akutpatienten mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden müssten, den Myokardinfarkt nennt Joachim von Pritzbuer als klassisches Beispiel und erzählt, wie einmal zwei Patienten auf einmal an Bord einen Infarkt erlitten.

Den einen holte das medizinische Team ab, den anderen fing eine Passagierin – zufällig Ärztin – auf, als er mit Kammerflimmern vom Laufband stürzte. Nach Reanimation war der Patient wieder wach und fragte, was los sei.

Etwa ein Prozent der Bordinsassen brauche am Tag medizinische Betreuung. “Das reicht von der Kopflaus über den eingewachsenen Zehennagel bis hin zur älteren Dame mit der Blasenschwäche, die beim 12-Stunden-Landgang nichts trinkt und dann dehydriert und exsikkiert ins Bordhospital eingeliefert wird.”

Der Gast, der seinem Sohn einen Zaubertrick vorführen wollte, dann aber die Kaffeebohne nicht mehr aus dem Gehörgang herausholen konnte, bleibt ebenso im Gedächtnis wie die Dame, die zum Pflasterwechsel nach Brustvergrößerung in der Sprechstunde auftauchte.

“Das Schiff fehlt mir”

Mindestens jeden zweiten Tag muss ein Patient auf dem Schiff stationär aufgenommen werden, und die allermeisten mit gravierenderen gesundheitlichen Problemen werden zur Diagnostik dauerhaft an Land verabschiedet.

In den 15 Jahren war Joachim von Pritzbuer jeweils im Drei-Monats-Rhythmus unterwegs: Drei Monate Schiff, drei Monate Land – Zeit, die er für Notarzteinsätze in seiner Heimat Cuxhaven nutzte. Die Familie daheim hatte Verständnis für das Fernweh des Reise-Mediziners.

Trotzdem war es nach 15 Jahren genug, die Flaute der Flotte während der Corona-Pandemie nutzte der Schiffsarzt zur Neuorientierung. “Das Schiff fehlt mir”, sagt er, und dass es nicht ausgeschlossen sei, dass er nochmals anheuere. Die Antarktis fehlt noch auf der Liste, auch das Donau-Delta reizt ihn.

Doch jetzt ist er erst einmal zu seinen Anfängen zurückgekehrt, einen Tag pro Woche arbeitet er in einer Landarztpraxis mit, die restliche Zeit teilt er auf zwischen Notarzt-Dienst und Beratertätigkeit für ein Unternehmen, das sich auf die medizinische Beratung von Crews spezialisiert hat, die auf ihren Schiffen – Container, Frachter, Tanker – nicht die ärztliche Versorgung der Kreuzfahrt haben.

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