Sie haben das größte “ambulante Krankenhaus” Israels gegründet. Ihre These: Pflegerische Leistungen müssen sich aus der stationären immer mehr in die ambulante Versorgung verlagern. Warum?
Sabar: Das Krankenhaus bekleidet heute nicht mehr seine traditionelle Rolle. Das ist in erster Linie ein Kapazitätsproblem: Es gibt schlichtweg nicht ausreichend Betten, gemessen an der Zahl der Hochbetagten und chronisch Kranken. Die Pflege muss immer öfter die Familie, die Gesellschaft übernehmen. Sie findet in den eigenen vier Wänden statt – was übrigens ein Phänomen ist, das wir auch in anderen Bereichen beobachten: Der größte “Hotelbetreiber” ist heutzutage keine Hotelkette mit eigenen Häusern, sondern AirBnb. Der größte “Taxi-Anbieter” ist Uber, also ein Unternehmen ohne eigene Fahrzeugflotte. Auch medizinische und pflegerische Leistungen sind ohne eigene Infrastruktur, ohne feste Betten denkbar – die stehen nämlich in den Häusern der Patienten.
Sind dafür ambulant ausreichend Kapazitäten vorhanden?
Keine Frage: An den Strukturen muss noch deutlich geschraubt werden. Auch deshalb freue ich mich auf den Austausch in Berlin (s. Kasten). Was wir aber nicht vergessen dürfen: In vielen Ländern sind schon heute Familienmitglieder quasi 24 Stunden im Krankenhaus eingebunden, um für eine gute Versorgung ihrer Liebsten zu sorgen. Faktisch müssen Angehörige Schichten schieben, um neben der medizinischen Versorgung auch eine gute Pflege zu gewährleisten. Was aber fehlt, sind beispielsweise entlastende Hilfsangebote für ambulant pflegende Angehörige. Hausärzte und ihre Teams nehmen dabei eine wichtige koordinierende Rolle ein, die es zu stärken gilt. Man denke nur an Hausbesuche: Hier wird ja genau diese Idee bereits gelebt.
Welche Vorteile ergeben sich, wenn dies gelingt?
Internationale Studien zeigen, dass die ambulante Pflege sowohl medizinische wie auch wirtschaftliche Vorteile haben kann. Patienten daheim, in ihrer natürlichen Umgebung, in den Familienstrukturen zu pflegen, führt zu einer schnelleren Genesung und weniger Komplikationen wie Infektionen, Mangelernährung, Einsamkeit oder Orientierungslosigkeit, wie sie bei Krankenhausaufenthalten immer wieder auftreten. Darüber hinaus kann eine Verlagerung ins Ambulante die Bettentage und damit Kosten für die Versorgung senken.
Dr. Ron Sabar live erleben
Dr. Ron Sabar wird bei der WONCA Europa- Konferenz sprechen. Diese findet kommendes Jahr vom 24. bis 27. Juni 2020 in Berlin statt – zeitgleich zum Kongress der Gastgeberin, der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM).
Mehr zum WONCA-Kongress unter www.woncaeurope2020.org , zum DEGAM-Kongress unter www.degam.de