Angsterkrankungen
Angststörungen sind keine Seltenheit; denn 15 Prozent der Bevölkerung leiden daran. Damit gehören Angsterkrankungen neben Depression, Demenz, Schizophrenie und Suchterkrankungen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Angst vor realen Bedrohungen ist ein sinnvoller psychischer Mechanismus, um sich vor Gefahren zu schützen.
Doch grundlose, übertriebene Angstreaktionen haben für Betroffene einen Krankheitswert, zumal sie die Lebensqualität wesentlich beeinträchtigen und zu längeren Krankschreibungen und sogar Berentungen führen.
Zu den Angststörungen zählen die Panikstörung mit plötzlichen Angstanfällen, die generalisierte Angststörung, bei der eine übertriebene Angst vor alltäglichen Gefahren besteht, und die soziale Phobie, die mit extremer Schüchternheit einhergeht. Werden Angststörungen nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, so kann es zu einer Chronifizierung kommen.
Auch besteht bei Angsterkrankungen ein erhöhtes Risiko für eine Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen und auch das Suizidrisiko ist erhöht. Trotz der Häufigkeit und der besonderen Risiken wird die Angststörung aber nur bei jedem zweiten Betroffenen richtig erkannt und behandelt.
Psychotherapeutisch empfiehlt die Leitlinie die kognitive Verhaltenstherapie, da deren Wirksamkeit in zahlreichen kontrollierten Studien zweifelsfrei belegt wurde. Als pharmakologische Therapie werden in erster Linie die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) propagiert.
In zweiter Linie können trizyklische Antidepressiva oder Pregabalin verordnet werden. Von der Langzeit-Anwendung von Benzodiazepinen muss man aber wegen der potenziellen Abhängigkeitsgefahr dringend abraten (Katharina Domschke, Freiburg i.B.).
Depression
Subklinische Entzündungsprozesse spielen bei einer Subgruppe von depressiven Patienten, die schlecht auf eine Standardtherapie ansprechen, eine pathogenetische Schlüsselrolle. Auch bei der Pathogenese des Typ 2-Diabetes sind subklinische Entzündungsprozesse beteiligt, woraus sich ein Zusammenhang zwischen Diabetes und Depression ergibt.
Stärkere länger anhaltende inflammatorische Körperantworten als Ausdruck eines chronischen sozialen Stresses haben negative Auswirkungen sowohl auf die Depression als auch auf den Diabetes. Chronische soziale Stresserfahrung, Immunsystem, Diabetes, rheumatoide Arthritis, Depression und Angst befeuern sich gegenseitig und haben negative Konsequenzen für die Blutgerinnung und das kardiovaskuläre Risiko und somit auch für die Mortalität und die Suizidalität.
Im klinischen Alltag und bei Diskussionen mit den Patienten stellt sich immer wieder die Frage nach der Wirksamkeit und Verträglichkeit der Antidepressiva. Alle untersuchten Antidepressiva sind wirksamer als Placebo. Als Hausarzt ist man gut beraten, sich auf vier Substanzen zu beschränken. Empfehlenswert für jüngere Patienten ohne Komedikation sind SSRIs wie Citalopram (bis 40 mg) oder Escitalopram (10-20 mg).
Bei älteren Patienten sollte primär Sertralin (75-150 mg) oder die SNRIs Duloxetin (30-120 mg) bzw. Venlafaxin (bis 300 mg) eingesetzt werden. Reservesubstanz ist Agomelatin (25 mg zur Nacht). Citalopram und Escitalopram sollten nicht mit anderen Medikamenten kombiniert werden, die ebenfalls die QT-Zeit verlängern.
Bei Agomelatin müssen nach 2 und 6 Wochen die Leberwerte kontrolliert werden. Für Patienten mit Adipositas, bei denen eine Gewichtszunahme unerwünscht ist, eignet sich Bupropion. Eine simultane Behandlung mit Benzodiazepinen sollte kritisch hinterfragt und sehr zurückhaltend zur Anwendung kommen. Ihre Gabe sollte auf 8 bis 12 Tage begrenzt werden, um eine Abhängigkeit zu vermeiden.
Doch die Gabe von Antidepressiva geht mit einer Reihe von Nebenwirkungen einher. Dazu gehören Absetzeffekte (73,5 Prozent), sexuelle Störungen (71,8 Prozent), Gewichtszunahme (65,3 Prozent), emotionale Einschränkung (64,5 Prozent) und ein subjektives Gefühl von Abhängigkeit (43 Prozent).
Doch Antidepressiva haben kein intrinsisches Suizidrisiko und erhöhen auch nicht das Demenzrisiko sondern im Gegenteil, sie wirken einer Demenz entgegen (Ulrich Schweiger, Lübeck).
Alkoholabhängigkeit
Etwa 9,5 Millionen Deutsche konsumieren Alkohol in riskanter Form und ca. 1,3 Millionen gelten als alkoholabhängig, aber nur etwa 10 Prozent machen eine Therapie. Das Spektrum der Erkrankungen, welche durch Alkohol induziert oder mit verursacht werden, ist breit.
Es reicht von der Fettleber bzw. der Leberzirrhose und der chronischen Pankreatitis über die dilatative Kardiomyopathie bis hin zu zahlreichen Malignomen. Aber auch bei der Hypertonie, dem Vorhofflimmern, der Depression und den Schlafstörungen spielt ein gesteigerter Alkoholgenuss eine große Rolle.
Somit ist die Alkoholabhängigkeit eine Erkrankung, die nicht nur die Lebensqualität beeinträchtigt sondern auch die Lebenszeit verkürzt.
Bei der Alkoholabhängigkeit kommt es zu Veränderungen im Transmitter-System des Gehirns. Typischerweise führt das Suchtmittel zu einer Ausschüttung von endogenen Endorphinen. Diese induzieren einen verstärkenden und zugleich belohnenden Effekt des Alkohols und die Erinnerung an diese Belohnung wird gespeichert. Wenn kein Alkohol getrunken wird, entsteht ein Suchtdruck, auch Craving genannt.
Alkoholkranke Patienten unterliegen einer starken Stigmatisierung, so dass die Erkrankung oft unerkannt und unbehandelt bleibt. Patienten mit Alkoholproblemen stellen sich deshalb primär meist nicht wegen ihrer Suchterkrankung vor, sondern klagen über körperliche Beschwerden. Bei anderen fallen eine Erhöhung des MCV oder erhöhte Leberwerte auf.
In all diesen Situationen sollte man an eine Alkoholabhängigkeit denken und das Thema “Alkohol” ansprechen. Das erste Gespräch muss dabei nicht immer mit der definitiven Diagnosestellung oder einem exakten Lösungsweg enden. Vielmehr ist es wichtig, dass ein Vertrauen aufgebaut wird, damit der Patient sich öffnen kann.
Eine nihilistische Einstellung nach dem Motto “Das bringt nur Frust, denen kann man doch nicht helfen” ist nicht gerechtfertigt. Es ist wichtig, Hilfe anzubieten und über mögliche Therapieverfahren aufzuklären. Dies lohnt sich in jedem Fall und die Patienten sind meist sehr dankbar (Andreas Heinz, Berlin, Falk Kiefer, Mannheim).
Quelle: Virtuelle Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), 26.-28.11.2020