Serie "Forschung mal praktisch"OASIS-D – ein Diagnose-Tool für Angststörungen

Die hausärztliche Betreuung von Menschen mit Angststörungen ist oft herausfordernd und zeitaufwendig. Um hier zu unterstützen, haben Allgemeinmediziner den OASIS-Kurzfragebogen auf Deutsch validiert.

Die Hausarztpraxis stellt bei Angststörungen in der Regel die erste Anlaufstelle dar.

Alle Angststörungen (ICD-10: F40–F43) sind für die Betroffenen mit erheblichem Leidensdruck verbunden [1]. Gemeinsame Merkmale sind das Auftreten von Angst oder Furcht ohne angemessenen Grund und eine übertriebene Stärke dieser unkontrollierbar erscheinenden Angstreaktionen [2].

Wegen einer erhöhten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen und krankheitsbedingter Arbeitsausfälle führen die zumeist chronisch verlaufenden Angststörungen zu erheblichen gesundheitsökonomischen Kosten [3] [4].

Die Hausarztpraxis stellt bei Angststörungen in der Regel die erste Anlaufstelle dar. Etwa ein Drittel der Patienten werden wegen der Angststörung sogar ausschließlich dort behandelt [5] [6] – gemäß der aktuellen S3-Leitlinie kann eine alleinige ambulante Behandlung leichter bis mittelschwerer Angststörungen auch durch den Hausarzt erfolgen [7].

Demnach kommen der hausärztlichen Versorgungsebene unter anderem folgende Funktionen zu: Erkennung von Angststörungen und korrekte Diagnosestellung, Einleitung der Therapie unter partizipativer Entscheidungsfindung, Verlaufskontrolle und ggf. Überweisung zum Fachspezialisten.

Fünf hilfreiche Fragen

Die “Overall Anxiety Severity and Impairment Scale” (OASIS-D) ist ein zeitökonomischer Fragebogen zur Messung der aktuellen Stärke von Angstsymptomen sowie daraus resultierenden Beeinträchtigungen. Erfasst werden klinische Aspekte, die bei allen Angststörungen sowie subklinischen Angstproblemen relevant sind.

Der OASIS-D besteht aus fünf Fragen, die sich auf den Zeitraum der letzten Woche beziehen und mittels fünfstufiger Antwortskalen eingeschätzt werden: Fragen 1 und 2 zielen auf die Häufigkeit und Intensität des Auftretens von Angst oder Furcht. Frage 3 misst das für Angststörungen typische Vermeidungsverhalten.

Fragen 4 und 5 erfassen, wie sehr der Patient aufgrund des Angsterlebens dabei beeinträchtigt war, notwendige Aufgaben bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause zu erledigen sowie soziale Aktivitäten und Beziehungen zu pflegen.

Zur objektiven Auswertung werden die Antworten auf die einzelnen Fragen in Punktwerte (0–4) übersetzt, die zum OASIS-D-Testwert (Spannweite: 0–20) aufsummiert werden. Höhere Testwerte sind im Sinne einer höheren klinischen Belastung zu interpretieren.

Studien haben gezeigt, dass die Anwendung des OASIS-D schriftlich (etwa im Wartebereich der Praxis) oder mündlich (etwa auch am Telefon) geschehen kann [8]. Die objektive Auswertung kann einer geschulten MFA übertragen werden [9]. Der Zeitaufwand für Durchführung und Auswertung beläuft sich auf wenige Minuten.

Tipps zum Einsatz in der Praxis

In der klinischen Praxis eignet sich der Einsatz des OASIS-D vor allem dann, wenn 1. bei einem Patienten der Verdacht auf das Vorliegen einer Angststörung (oder klinisch relevanter Angstprobleme) besteht oder wenn 2. bei einem Patienten mit bekannter Angststörung der Symptomverlauf systematisch beobachtet werden soll.

1. Diagnostik: Besteht der Verdacht auf eine Angststörung, können Sie den diagnostischen Grenzwert heranziehen: Bei einem OASIS-D-Testwert von 8 oder mehr gilt der Verdacht als erhärtet.

Zwar wurde dieser Grenzwert im Rahmen der deutschen Evaluationsstudie nur für hausärztliche Patienten mit Panikstörung mit/ohne Agoraphobie getestet, jedoch fanden internationale Studien gleiche oder ähnliche Grenzwerte auch für Patienten mit generalisierter Angststörung, sozialer Angststörung, posttraumatischer Belastungsstörung oder Zwangsstörung [13] [14] [15]. Hausärztliche Patienten mit Angststörung(en) wiesen einen mittleren Gesamttestwert von 11 auf, solche ohne Angststörung dagegen einen von 6.

Bei einem Einsatz zu diagnostischen Zwecken sollten Sie beachten, dass der OASIS-D nicht nur auf Angststörungen, sondern auch auf depressive Störungsbilder ansprechen kann. Deswegen sollten Patienten mit hohen OASIS-D-Testwerten sowohl auf Angst- als auch auf depressive Störungen gründlich untersucht werden.

Generell gilt, dass der Einsatz eines Fragebogens wie OASIS-D das diagnostische Prozedere nur objektiv untermauern kann, während die eigentliche Diagnosestellung durch einen klinisch versierten Beurteiler erfolgen muss.

2. Verlaufskontrolle: Soll der Symptomverlauf systematisch erfasst werden, so können Sie den OASIS-D bei betroffenen Patienten wiederholt anwenden. Die Differenz zweier individueller Testwerte gibt dann Auskunft über Veränderungen der Angstsymptomstärke und angstbedingten Beeinträchtigungen.

Da die Messungen zufälligen Schwankungen unterliegen, sollten erst Testwert-Differenzen von ≥ 5 Punkten als klinisch bedeutsam eingestuft werden.

Interviewstudien deuten darauf hin, dass allein die wiederholte Anwendung des OASIS-D (im Zuge eines hausärztlichen Case-Management-Programms) klinisch vorteilhafte Effekte mit sich brachte [8] [12] [16].

So gaben die behandelten Patienten an, durch die mehrfache Beantwortung der Fragen allmählich einen objektiveren Blick auf die eigene Symptomatik entwickelt zu haben. Derartige Effekte können sich positiv auf das Patienten-Selbstmanagement auswirken und so zu einer besseren Bewältigung der Angsterkrankung beitragen.

Fazit

  • Der Kurzfragebogen OASIS-D kann die Diagnostik und Verlaufskontrolle bei Patienten mit Angststörungen in der Hausarztpraxis erleichtern und standardisieren. Er ist bei allen Angststörungen (ICD-10:F40–F43) sowie bei subklinischen Angstproblemen anwendbar.
  • Der Zeitaufwand für Durchführung und Auswertung beläuft sich auf wenige Minuten; die objektive Auswertung kann einer geschulten MFA übertragen werden.
  • Die Studie zur Evaluation des OASIS-D ist im Internet frei verfügbar (https://doi.org/10.1038/s41598-023-33355-0). Der OASIS-D-Fragebogen wurde als Anhang zur genannten Studie ebenfalls im Internet veröffentlicht (www.hausarzt.link/iiR8V).

Literatur:

  1. Olatunji BO, Cisler JM, Tolin DF. Quality of life in the anxiety disorders: a meta-analytic review. Clin Psychol Rev. 2007;27(5):572-81.
  2. Haas C, Gensichen J, Lukaschek K. Keine Angst vor der Panik. Fortschr Med. 2023;165(3):46-9.
  3. Brettschneider C, Bleibler F, Hiller TS, Konnopka A, Breitbart J, Margraf J, Gensichen J, König H-H, Blank W, Bleibler F, Breitbart J, Brettschneider C, Freytag A, Gensichen J, Hiller TS, Hoyer H, Huenges B, König H-H, Mainz A, Margraf J, Sänger S, Schelle M, Schmidt K, Schneider N, Schöne E, Schumacher U, Sommer M, Teismann T, Thiel P, Wensing M, for the Jena PS-G. The allocation of resources in the care for patients with panic disorder in Germany: an excess cost analysis informing policy and science. Cost Eff Resour Alloc. 2019;17(1):9.
  4. Konnopka A, König H. Economic burden of anxiety disorders: A systematic review and meta-analysis. Pharmacoeconomics. 2020;38(1):25-37.
  5. Kroenke K, Spitzer RL, Williams JB, Monahan PO, Löwe B. Anxiety disorders in primary care: prevalence, impairment, comorbidity, and detection. Ann Intern Med. 2007;146(5):317-25.
  6. Schulz H, Barghaan D, Harfst T, Koch U. Themenheft 41″ Psychotherapeutische Versorgung”. 2008.
  7. Bandelow B, Wiltink J, Alpers GW, Benecke C, Deckert J, Eckhardt-Henn A, Ehrig C, Engel E, Falkai P, Geiser F, Gerlach AL, Harfst T, Hau S, Joraschky P, Kellner M, Köllner V, Kopp I, Langs G, Lichte T, Liebeck H, Matzat J, Reitt M, Rüddel HP, Rudolf S, Schick G, Schweiger U, Simon R, Springer A, Staats H, Ströhle A, Ströhm W, Waldherr B, Watzke B, Wedekind D, Zottl C, Zwanzger P, Beutel ME. Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen, Version 2: Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF); 2021.
  8. Gensichen J, Hiller TS, Breitbart J, Brettschneider C, Teismann T, Schumacher U, Lukaschek K, Schelle M, Schneider N, Sommer M, Wensing M, König H-H, Margraf J. Panic disorder in primary care: the effects of a team-based intervention. Dtsch Arztebl Int. 2019;116(10):159-66.
  9. Blank WA, Lukaschek K, Breitbart J, Hiller TS, Brettschneider C, Margraf J, Gensichen J, für die Paradies-Studiengruppe Perspektiven von Medizinischen Fachangestellten zu teambasierter Behandlung von Patienten mit Panikstörung in der Hausarztpraxis – Eine qualitative Studie. Psychiatr Prax. 2020;48(05):258-64.
  10. Norman SB, Campbell-Sills L, Hitchcock CA, Sullivan S, Rochlin A, Wilkins KC, Stein MB. Psychometrics of a brief measure of anxiety to detect severity and impairment: the Overall Anxiety Severity and Impairment Scale (OASIS). J Psychiatr Res. 2011;45(2):262-8.
  11. Hiller TS, Hoffmann S, Teismann T, Lukaschek K, Gensichen J. Psychometric evaluation and Rasch analyses of the German Overall Anxiety Severity and Impairment Scale (OASIS-D). Sci Rep. 2023;13(1):6840.
  12. Hiller TS, Steffens MC, Ritter V, Stangier U. On the context dependency of implicit self-esteem in social anxiety disorder. J Behav Ther Exp Psychiatry. 2017;57(Supplement C):118-25.
  13. Campbell-Sills L, Norman SB, Craske MG, Sullivan G, Lang AJ, Chavira DA, Bystritsky A, Sherbourne C, Roy-Byrne P, Stein MB. Validation of a brief measure of anxiety-related severity and impairment: the Overall Anxiety Severity and Impairment Scale (OASIS). J Affect Disord. 2009;112(1):92-101.
  14. Ito M, Oe Y, Kato N, Nakajima S, Fujisato H, Miyamae M, Kanie A, Horikoshi M, Norman SB. Validity and clinical interpretability of Overall Anxiety Severity And Impairment Scale (OASIS). J Affect Disord. 2015;170:217-24.
  15. Moore SA, Welch SS, Michonski J, Poquiz J, Osborne TL, Sayrs J, Spanos A. Psychometric evaluation of the Overall Anxiety Severity And Impairment Scale (OASIS) in individuals seeking outpatient specialty treatment for anxiety-related disorders. J Affect Disord. 2015;175:463-70.
  16. Lukaschek K, Schöne E, Hiller TS, Breitbart J, Brettschneider C, Margraf J, Gensichen J, für die Paradies-Studiengruppe Case-Management bei Panikstörung in der Hausarztpraxis. Z Allgemeinmed. 2022;98(2):54-8.
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