Seit Oktober können Hausärztinnen und Hausärzte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) verschreiben. Zwar besteht damit nun eine Abgrenzung zur Fülle an Lifestyle-Apps und die Hoffnung auf neue Chancen in der Versorgung – doch die Handhabung in der Hausarztpraxis ist mitunter zu komplex.
Von Blutzucker-Tagebüchern über virtuelle Ernährungscoaches bis hin zur Erinnerung an die Medikamenteneinnahme: Die Auswahl an Gesundheits-Apps ist groß, ebenso das Interesse:
Im ersten Quartal 2020 verzeichneten die Apps in Deutschland fast zwei Millionen Downloads – rund doppelt so viele wie im Jahr zuvor, wie der im November veröffentlichte “E-Health-Monitor 2020” von McKinsey zeigt.
Für Hausärztinnen und Hausärzte macht es die Fülle an Angeboten schier unmöglich, Empfehlungen an die Hand zu geben. Einheitliche Qualitätskriterien für die Apps fehlen, und ihr Nutzen ist wissenschaftlich zumeist nicht untersucht.
Das im Dezember 2019 in Kraft getretene Digitale-Versorgung-Gesetz (DGV) wollte zumindest in Teilen Leitplanken für diesen schnelllebigen Markt definieren – in Form der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA).
Im Gegensatz zu sogenannten Lifestyle-Apps sind DiGA Medizinprodukte niedriger Risikoklassen (I bis IIa), die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zertifiziert und in ein zentrales Verzeichnis aufgenommen wurden.
Neu ist, dass Ärzte DiGA als Kassenleistung verordnen können. Das – auf Papier basierende – Verordnungsverfahren (s. unten) sieht der Deutsche Hausärzteverband jedoch kritisch. Gerade für weniger internetaffine Patientinnen und Patienten eröffne sich damit ein komplexer Prozess, der zu höherem Beratungsaufwand in der Hausarztpraxis führen werde (s. Kommentar S. 23).
Darüber hinaus sei es wichtig, Therapiehoheit und Selbstbestimmtheit in der Praxis zu sichern, betonte Axel Wehmeier, Vorstandsmitglied der Hausärztlichen Vertragsgemeinschaft AG (HÄVG), auf der digitalen practica.
Denn: Mit den DiGA könnte die Industrie stärker in den Verordnungsprozess drängen.
Alternativ zur Verordnung durch den Arzt haben Versicherte die Möglichkeit, einen Antrag auf Kostenübernahme für eine bestimmte App bei ihrer Krankenkasse zu stellen.
Dazu müssen sie eine entsprechende Indikation nachweisen, die beispielsweise aus ihnen vorliegenden Behandlungsunterlagen hervorgeht.
Wichtig in der Praxis: Eine ärztliche Bescheinigung ist dafür nicht vorgesehen.
Vergleichsweise hohe Kosten
Bei Redaktionsschluss hatte das BfArM fünf Anwendungen in seinem DiGA-Verzeichnis gelistet, 41 standen in der “Pipeline”. Den Preis für ihre Anwendungen können Hersteller im ersten Jahr frei festsetzen.
Während Lifestlye-Anwendungen in den Appstores oft kostenfrei oder für Centbeträge erhältlich sind, liegen die Kosten bei DiGA höher. Begründet wird dies etwa mit den Anforderungen an den Datenschutz, die bei der Zulassung erfüllt werden müssen.
Die Tinnitus-App Kalmeda kostet beispielsweise 116 Euro pro Patient im Quartal und Velibra, eine Anwendung gegen Angststörung, eine einmalige Lizenzgebühr von 476 Euro.
Viele Ärzte kritisieren, dass Kassen dabei für Tools zahlen, deren Nutzen oft noch nicht final belegt ist. Denn: Das Prozedere sieht – im Gegensatz etwa zur Arzneizulassung – eine vorläufige Aufnahme ins Verzeichnis vor; in diesem Fall wird die wissenschaftliche Evaluation nachgereicht.
Bei den ersten fünf zugelassenen DiGA trifft dies auf drei zu.
Verzeichnis teils unübersichtlich
Das DiGA-Verzeichnis soll Ärztinnen und Ärzten diese Infos an die Hand geben – doch die Angaben sind lang und teils unübersichtlich aufbereitet, zugrundeliegende Studien sind mitunter nicht frei zugänglich (“Der Hausarzt” 18/20).
Im Reiter “Information für Fachkreise” finden sich Hinweise zur Verordnung, etwa die empfohlene Anwendungszeit oder abzurechnende ärztliche Leistungen. Ein Beispiel: Bei der Erstverordnung der App “zanadio” zur Gewichtsreduktion bei Adipositas “erforderlich” sind demnach die EBM-Positionen 03000, 35100 und 03230. BMI und Waist-to-Hip-Ratio sind zu berechnen, Behandlungsziele zu definieren, Motivation und Medikationsplan zu prüfen.
Das BfArM nennt weitere Leistungen, die “wünschenswert/ggf. erforderlich” sind und gibt an, welche Kontrolluntersuchungen auszuführen sind. Ab 2021 soll es eine entsprechende Schnittstelle in der Praxissoftware geben.
Doch: Während das Verzeichnis hier Eingang finden soll, werden Studienergebnisse dann wohl nur verkürzt oder als Link aufgeführt, was die Handhabung im Praxisalltag einmal mehr erschwert.
Dabei zeigen auch aktuelle Zahlen, dass der Beratungsbedarf in den Praxen steigen könnte, eine übersichtliche Handhabung also essenziell wird.
So ist der Bezug von DiGA über das Internet laut dem repräsentativ ausgelegten “E-Patient Survey 2020” zuletzt von 67 Prozent (2019) auf 46 Prozent gesunken, während der Anteil der Vermittlung durch den Arzt im selben Zeitraum von 9 auf 14 Prozent stieg.
„DIGA können den Versorgungsalltag spürbar verbessern”
Kommentar von Stephan Pilsinger, CSU-Bundestagsabgeordneter und Hausarzt
Mit dem Digitale-Versorgung- Gesetz (DVG) hat der Deutsche Bundestag im Dezember vergangenen Jahres die Voraussetzungen für die Einführung der „App auf Rezept“ geschaffen.