Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) mögen verschiedener Auffassung sein, wenn es um die Bewertung der Sinnhaftigkeit diverser Antidiabetika geht. In einem sind sie sich aber einig: Es mangelt in Deutschland nicht an wirksamen Mitteln.
“Zum Glück gibt es aus jeder Substanzklasse ein oder zwei Vertreter”, sagt DDG-Vorsitzender Prof. Baptist Gallwitz. Und Dr. Til Uebel, Sprecher der AG Diabetes der DEGAM, meint, “wir haben mehr als genug Auswahl bei den Antidiabetika”.
Entscheidend ist, was beide anfügen: So wünscht sich Gallwitz, dass in jeder Kategorie mindestens zwei Medikamente zur Verfügung stünden. Uebel bezieht sich bei der ausreichenden Auswahl auch auf jene Medikamente, “die wir alle nicht brauchen”.
Die DDG will also den Hausärzten mehr Optionen verschaffen bei der Verschreibung von Antidiabetika. Die DEGAM fordert, wie auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), mehr Evidenz.
Derzeit suchen beide Seiten einen Kompromiss – bei der Überarbeitung der Nationalen Versorgungsleitlinie Diabetes (NVL). Laut DDG erkranken jedes Jahr 500.000 Deutsche neu an Diabetes. 6,7 Millionen Menschen insgesamt litten an der Krankheit. Jeder fünfte Todesfall sei inzwischen direkt darauf zurückzuführen.
Kein Wunder, dass sich hier viele Hersteller tummeln, die aber in Deutschland aus Sicht der DDG zu oft und zu Unrecht an der frühen Nutzenbewertung im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) scheitern (s. Tab.). Das liege daran, dass es bei Antidiabetika in der Regel länger dauere, einen Zusatznutzen festzustellen, und dass das jetzige Verfahren vielen Medikamenten keine Chance gebe, sich zu beweisen, sagt die DDG.
Uneindeutige Interpretation von Studien
Der Bremer Diabetologe Dr. Harm Hammer kennt in seiner Praxis keine Probleme bei der Verordnung von Antidiabetika. “Wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe, gibt es immer noch eine andere Möglichkeit der Medikation”, sagt er. Dass das G-BA-Verfahren Antidiabetika benachteilige, sieht er nicht, im Gegenteil. Die meisten der Medikamente, die in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, hätten später gezeigt, “dass sie kaum nutzen oder nur als Nischenprodukt anwendbar sind”.
Auch bei dem inzwischen erstattungsfähigen Empagliflozin zeigt sich Hammer skeptisch: Einen Zusatznutzen im Sinne eines gesenkten Herzinfarktrisikos habe es bei dem Wirkstoff nur in Studien “entlang der asiatischen Pazifikküste gegeben”.
Empagliflozin ist ein typisches Beispiel für die Schwierigkeiten der Nutzenbewertung bei Antidiabetika: Der G-BA setzte sich 2016 über die Empfehlung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hinweg und stellte für mehrere Patientengruppen einen erheblichen Zusatznutzen fest.
Der G-BA reagierte damit auch auf uneindeutige Interpretationen von Studien, wie es sie bei Antidiabetika überdurchschnittlich häufig zu geben scheint. “Patientenrelevante Endpunkte werden bei Diabetes sehr langsam erreicht, mit der Datenlage aus Zulassungsstudien kommt man da nicht richtig weiter”, meint DDG-Chef Gallwitz. Vorteile wie Langzeitüberleben oder die Vermeidung von Krankheitskomplikationen zeigten sich oft erst sehr spät.
Til Uebel von der DEGAM bewertet es hingegen positiv, dass die Nutzenbewertung Hersteller offenbar anhält, wieder Antidiabetika zu “beforschen, die einen echten Zusatznutzen haben”. Und von denen gebe es erfahrungsgemäß eben nur sehr wenige.
Ein Algorithmus ist das Ziel
Bei der Erarbeitung der neuen NVL gehen DDG und DEGAM aber aufeinander zu und zeigen sich kompromissbereit. Gab es zum Leid vieler Ärzte in der alten Leitlinie noch von beiden Seiten verschiedene Algorithmen zur Behandlung von Typ-II-Diabetes, wolle man sich in der neuen auf einen verständigen, versichern beide Seiten.
Man sei “bezüglich der Bewertung patientenrelevanter Endpunkte” mit der AkdÄ und dem IQWiG “in engem fachlichen und konstruktiven Austausch”, erzählt Gallwitz. Soll heißen: Man wird sich wohl auch seitens der DDG künftig eng am IQWiG orien- tieren.
Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA, dürfte das begrüßen. Für Ärzte, Patienten und sein Gremium wäre eine “aktuelle, einheitliche und klare Empfehlung hilfreich”, sagt er.
Hecken zeigt sich auch zuversichtlich angesichts der Studienlage bei den Antidiabetika. Es gebe zunehmend kardiovaskuläre Endpunkt-Studien, die “nicht nur die Wirksamkeit der Arzneimittel auf den Blutzuckerspiegel untersuchen, sondern insbesondere langfristige Effekte auf patientenrelevante Endpunkte wie etwa Tod aufgrund kardiovaskulärer Ereignisse oder auch Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz betrachten”.