Berlin. Einig im Ziel, aber noch nicht im Weg dorthin, sind sich die Abgeordneten des Bundestages bei der Frage, wie künftig mehr Menschen Organe spenden können. Die Debatte am Mittwoch (28. November) soll die Grundlage für den weiteren Gesetzgebungsprozess sein und wurde unabhängig von der Parteizugehörigkeit der einzelnen Abgeordneten geführt. Einig sind sich die Redner in drei Punkten:
- Postmortale Organspende ist wünschenswert, um Leben zu retten.
- Der Anteil der Menschen, die eine Organspende befürworten, ist sehr viel größer als der Anteil, der seine Entscheidung in einem Spenderausweis dokumentiert. Diese Lücke gilt es zu schließen.
- Bei der Organisation der Organspende gibt es noch viele Defizite zu beheben.
Uneinig waren sich die Politiker, ob die Widerspruchslösung der richtige Weg ist, die Zahl der Organspender zu erhöhen. Im Fokus stand dabei das Selbstbestimmungsrecht. Die einen, darunter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) oder SPD-Politiker Prof. Karl Lauterbach, halten es für zumutbar, die Deutschen zu verpflichten, sich mit dem Thema zu beschäftigen. „Wenn laut Umfragen 94 Prozent der Menschen Organspende befürworten, ist es doch gerechtfertigt, mit der Widerspruchslösung daran anzuknöpfen”, sagte etwa Dr. Petra Sitte von den Linken. Die größere Zumutung sei es für die Wartenden, auf “unsere Entscheidung” angewiesen zu sein. „Die Widerspruchslösung ist keine Organ-Abgabe-Pflicht“, betonte Spahn.
„Zur Selbstbestimmung gehört, nicht entscheiden zu müssen“
Andere hegen hingegen Zweifel, ob der Entscheidungsdruck auf den Einzelnen so nicht zu groß werde. „Die Widerspruchslösung hebelt den Grundsatz aus, dass jeder einer Behandlung erst zustimmen muss“, erläuterte Christine Aschenberg-Dugnus von der FDP. „Zur Selbstbestimmung gehört auch, sich nicht entscheiden zu müssen“, ergänzte Parteikollege Prof. Andrew Ullmann. Bürger, die sich gegen die Organspende entscheiden würden, gerieten unter einen enormen “Legitimationsdruck”, so Wolfgang Kubicki (FDP). “Das kann der Staat nicht erwarten.”
Vor allem die Begrifflichkeit der Spende – per Definition ein “Geben” oder “Schenken” – rückte in der Debatte in diesem Zusammenhang in den Fokus. Sylvia Kotting-Uhl (Grüne) betonte neben zahlreichen Politikern aller Parteien, die ähnliche Standpunkte äußerten: “Eine Spende muss eine Spende bleiben. Und von Spende kann keine Rede sein, wenn man deutlich sagen muss, wenn man sie nicht geben will.” Diese Argumentationskette führe den Begriff ad absurdum.
Fragen im Umgang mit behinderten Menschen
Ungeklärt sei bei der Widerspruchslösung zudem, wie man mit Menschen mit schweren Behinderungen oder psychischen Erkrankungen umgehe. „Viele sind nicht in der Lage, diese Entscheidung zu treffen, wie gehen wir damit um?“, sagte die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die sich auch für die Lebenshilfe engagiert. Mit einer Parallele zum Datenschutz zeigte sie deutliche Kritik auf: Heutzutage müsse schon jeder für die Verarbeitung seiner persönlichen Daten explizit zustimmen – es herrsche also das komplette Gegenteil der diskutierten Widerspruchslösung, und das in einem deutlich unbedeutenderen Teil des menschlichen Lebens.
Die meisten Kritiker der Widerspruchslösung favorisieren eine verpflichtende Entscheidung. Diese sieht vor, dass Bürger immer wieder zu ihrer Entscheidung gefragt werden, zum Beispiel bei Behördengängen. „Das ermöglicht auch, seine Entscheidung im Laufe des Lebens zu überdenken“, so Katja Kipping von den Linken. Dies solle an eine unabhängige, sorgfältige Beratung gekoppelt werden. Für einige Redner, unter anderem Jörg Schneider (AfD), gehört dazu auch, dass man neben Ja und Nein auch „weiß nicht“ wählen kann oder dass man sich erst später oder nicht entscheiden will.
Viele Defizite in Kliniken
Unabhängig von der Frage der Selbstbestimmung waren sich die Redner einig, dass es in der Organisation der Organspende und Transplantation viele Baustellen gibt. So fehlten Kliniken Zeit und finanzielle Ressourcen, um potenzielle Spender zu identifizieren, eine umfassende Aufklärung über den gesamten Prozess zu leisten, ausreichend Berater einzusetzen. Seit den Skandalen um Transplantationen habe man das Vertrauen wieder gut aufgebaut und die Zahl der Spenderausweise sei von 22 auf 36 Prozent gestiegen, sagte Ex-Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Aber: „Wir müssen den Willen noch besser umsetzen.“ Eine Studie zeige Meldedefizite in den Entnahmekrankenhäusern, ergänzte FDP-Politiker Ullmann. „Die Bereitschaft zur Organspende steigt, aber die Entnahmen sinken“, da die Kliniken potenzielle Spender nicht erkennen und melden würden.
Hier setzt ein Gesetzentwurf an, dem das Bundeskabinett Ende Oktober zugestimmt hat. Unter anderem sollen die Krankenhäuser höhere Vergütungen der Krankenkassen erhalten. Mobile Ärzteteams sollen dafür sorgen, dass auch in kleineren Kliniken die medizinischen Voraussetzungen für Organ-Entnahmen festgestellt werden können.
Weitgehend Konsens zeichnete sich unter den Bundestagsabgeordneten in der Diskussion ab, dass es künftig ein Register geben soll, in dem jeder seine Entscheidung zur Organspende dokumentieren und auch immer wieder verändern kann.
“Beratung muss für Hausärzte vergütet werden”
Darüber hinaus herrschte Einigkeit, dass die Aufklärung und Information weiter verstärkt werden solle. Unions-Politiker Prof. Matthias Zimmermann erinnerte dabei an die Schlüsselrolle der Hausärzte. “Die Beratung zur Organspende muss für Hausärzte abrechenbar sein”, betonte er. Um Hausärzte in ihrer beratenden Rolle zu unterstützen, haben Deutscher Hausärzteverband und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) jüngst eine Kampagne gestartet und Hausärzten Informationsmaterialien für das entsprechende Gespräch an die Hand gegeben.
Bei allen Gemeinsamkeiten, aber vor allem auch vielfältigen Standpunkten hat Vize-Bundestagspräsidentin Petra Roth (Grüne) am Nachmittag eine “bemerkenswerte, intensive Orientierungsdebatte” lobend beendet. Weitere Redner, die vor dem Plenum nicht zu Wort kamen, hätten ihre Beiträge zu Protokoll gegeben.