Berlin. Zukünftig haben bereits Versicherte ab einem Alter von 18 Jahren Anspruch auf die ärztliche Gesundheitsuntersuchung. Bislang liegt die Altersgrenze der als Check-up 35 bekannten Leistung bei 35 Jahren. Dafür werden aber auch die Intervalle angepasst: Im Alter zwischen 18 und 35 Jahren kann einmalig eine Gesundheitsuntersuchung in Anspruch genommen werden, ab einem Alter von 35 Jahren dann nur noch alle drei statt bislang alle zwei Jahre. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in seiner Sitzung am Donnerstag (19. Juli) beschlossen.
Die Anpassungen hatte der Gesetzgeber dem G-BA aufgetragen. Das im Juli 2015 in Kraft getretene Präventionsgesetz sah vor, dass der G-BA den Check-up unter die Lupe nimmt und nachjustiert. So erhält die Beratung künftig insgesamt mehr Gewicht. Patienten sollen dadurch motiviert werden, mehr für ihre Gesundheit zu tun. Die bisherige Fokussierung der Gesundheitsuntersuchung auf die Früherkennung von Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Nierenerkrankungen entfällt.
Bis die nun abgestimmten Änderungen in der Praxis ankommen, dauert es jedoch noch. Das Bundesgesundheitsministerium kann ab sofort drei Monate lang Beanstandungen erheben; bei Nichtbeanstandung tritt der Beschluss am Tag nach seiner Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Dann hat der Bewertungsausschuss sechs Monate Zeit, um die Vergütung festzulegen. Ein konkreter Zeitpunkt, wann der reformierte Check-up Leistung in der Hausarztpraxis wird, könne daher aktuell jedoch noch nicht genannt werden, hieß es am Rande der Sitzung in Berlin.
Die Gesundheitsuntersuchung ist dabei umstritten: Studien können bisher nicht belegen, dass regelmäßige Gesundheitsuntersuchungen gesunde Menschen vor Erkrankungen schützen oder die Lebenserwartung verlängern, zeigte etwa ein Cochrane Review 2012. Um zumindest die Evaluation der Inanspruchnahme auf eine breitere Basis zu stellen, hat der G-BA in seiner Sitzung beschlossen, das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zu beauftragen, die Akzeptanz der neuen Gesundheitsuntersuchung auszuwerten.
Neu: gesamtes Lipidprofil
Zum Check-up gehören weiterhin neben der Anamnese eine körperliche Untersuchung, das Messen des Blutdrucks, eine Untersuchung des Urins sowie die Bestimmung der Blutzucker- und Cholesterinwerte, stellt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) klar. Die konsentierte Beschlussfassung der neuen Richtlinie lag zunächst noch nicht vor. Künftig werde aber ein vollständiges Lipidprofil erstellt, erklärt die KBV bereits – bestehend aus Gesamtcholesterin, LDL- und HDL-Cholesterin sowie Triglyceriden.
Im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung werden künftig darüber hinaus noch stärker als bisher gesundheitliche Risiken und Belastungen erfasst und bewertet. So sollen mittels Risk-Charts kardiovaskuläre Risiken systematisch erfasst werden, wenn dies aus ärztlicher Sicht angezeigt ist, heißt es bei der KBV. Je nach Ergebnis erfolgt im Anschluss eine Beratung, wie das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung minimiert werden kann. In Berlin sprachen sich vor allem die Kassen dagegen aus, das Risiko bei jedem Patienten zu erheben: Diese verpflichte Ärzte, den 20-jährigen Leistungssportler oder fitten 60-Jährigen ebenso als Risiko-Patienten anzusehen wie andere.
In der Anamnese sollen künftig auch Risikofaktoren für onkologische Erkrankungen erhoben werden; insbesondere geht es hierbei um eine gegebenenfalls bestehende familiäre Belastung.
Ergänzt wurden zudem weitere Laboruntersuchungen und die Vorgabe, dass der Impfstatus zu überprüfen ist. Bezogen auf die 18 bis 35-Jährigen findet eine Blutuntersuchung nur bei entsprechender Risikokonstellation statt. Auch die Frage der zusätzlichen Laboruntersuchungen sorgte im Vorfeld für Diskussionen: Die DGIM riet, künftig HDL- und LDL- neben dem Gesamtcholesterinwert zu bestimmen, um das kardiovaskuläre Risiko besser abzuschätzen und mit LDL eine familiäre Hypercholesterinämie zu entdecken. Die DEGAM hingegen plädierte, außer HDL-Cholesterin keine weiteren Laboruntersuchungen aufzunehmen.
Vereinbart wurde auch, dass Ärzte die Ergebnisse des Check-ups nicht mehr auf dem Formular 30 („Berichtsvordruck Gesundheitsuntersuchung“) dokumentieren müssen. Die Dokumentation erfolgt künftig ausschließlich in der Patientenakte.
Hausarzt soll motivieren
G-BA-Chef Dr. Josef Hecken betonte in der Sitzung die motivierende Rolle der Ärzte. Dies wird auch an verschiedenen Stellen in der überarbeiteten Richtlinie deutlich: So ist neu, dass die Versicherten – je nach Impfstatus – zur Nachimpfung motiviert werden sollen. Zudem sollen Versicherten, die eine familiäre Belastung insbesondere mit Brustkrebs, Darmkrebs und Hautkrebs haben, über das möglicherweise erhöhte Erkrankungsrisiko aufgeklärt und auf das Angebot bestehender Krebsfrüherkennungsuntersuchungen aufmerksam gemacht werden.
Auf diese soll künftig auch auf anderen Wegen verstärkt hingewiesen werden, entschied der G-BA in seiner Sitzung. So sollen gesetzlich Versicherte ab Juli 2019 regelmäßig ab dem 50. Lebensjahr schriftlich zur Früherkennungsuntersuchung auf Darmkrebs eingeladen werden und eine einheitliche Versicherteninformation erhalten.
Wie bisher können immunologische Test auf okkultes Blut im Stuhl (iFOBT) und Koloskopien in Anspruch genommen werden. Da Männer im Vergleich zu Frauen ein höheres Darmkrebs-Risiko haben, wird eine Darmspiegelung Männern künftig bereits ab 50 Jahren angeboten und nicht wie bisher ab 55. Jährlich Anspruch auf den Stuhltest sollen Frauen und Männer im Alter von 50 bis 54 Jahren haben.
Die Versicherten haben zudem insgesamt Anspruch auf zwei Darmspiegelungen, Frauen wie bisher ab 55. Zwischen diesen Koloskopien müssen mindestens zehn Jahre liegen. Wird das Angebot erst ab 65 Jahren wahrgenommen, hat man nur Anspruch auf eine Spiegelung. Entscheiden sich Versicherte gegen eine Darmspiegelung, haben sie ab 55 Jahren alle zwei Jahre Anspruch auf einen Test auf Blut im Stuhl. Bei auffälligen Stuhltests können sie zur Abklärung zusätzlich eine Spiegelung machen lassen. Nach der ersten Einladung zur Früherkennung sollen die Versicherten erneut mit 55, 60 und 65 Jahren die entsprechende Post von ihrer jeweiligen Krankenkasse bekommen. Mit im Briefumschlag soll ausführliches Info-Material liegen.
Hecken drängt auf “zügige” Regelung
Die Änderungen gehen zurück auf das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz. Das Bundesgesundheitsministerium muss auch diesen Beschluss noch prüfen. Darüber hinaus muss noch der Bewertungsausschuss eine Entscheidung fällen. Hecken kündigte aber an: “Ich werde darauf drängen, dass alle technischen Fragen so zügig geregelt werden können, dass zum 1. April nächsten Jahres die erste Welle der Einladungen versandt werden kann.”
Die Richtlinie hat das Ziel, das künftig weniger Menschen an Darmkrebs sterben. Es handelt sich laut Krebsgesellschaft um die zweithäufigste Krebserkrankung. In Deutschland erkranken pro Jahr mehr als 33.000 Männer und mehr als 26.000 Frauen daran. Deutlich mehr als 20.000 Menschen sterben pro Jahr daran.