Müdigkeit ist ein sehr unspezifisches Symptom, hinter dem sich Vieles verbergen kann. Das Spektrum der möglichen Ursachen reicht von einer harmlosen Befindlichkeitsstörung i.S. eines Erschöpfungssyndroms über Schlafstörungen bis hin zu malignen Erkrankungen.
Auf Begleitsymptome achten
Am Anfang der Diagnostik stehen immer eine ausführliche Anamnese und eine sorgfältige körperliche Untersuchung. Dabei sollte insbesondere auf Begleitsymptome geachtet werden, da diese richtungsweisend sein können. Dazu gehören Gewichtsabnahme, Dyspnoe, Husten, Fieber, Blut im Stuhl und Durchfälle.
Schlafstörungen oft unbewusst
Wer schlecht schläft, ist tagsüber müde, es kann zu einem imperativen Schlafdrang kommen. Die Schlafstörung ist dem Patienten nicht immer bewusst, insbesondere wenn es sich um ein obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom handelt. Schnarcht der Patient und werden Atempausen beobachtet, sollten Sie den Patienten im Schlaflabor weiter abklären lassen. Auch ein Restless- Legs-Syndrom beeinträchtigt den Schlaf mit konsekutiver Tagesmüdigkeit.
Auch das Herz nicht vergessen
Sowohl die Links- als auch die Rechtsherzinsuffizienz machen müde, meist wird auch über Dyspnoe geklagt. Auch bradykarde Herzrhythmusstörungen vermindern die körperliche Leistungsfähigkeit. Das gilt auch für Medikamente insbesondere Betablocker, die eine Sinusbradykardie verursachen. Deshalb kann es sinnvoll sein, soweit vertretbar, einen Auslassversuch zu machen.
Ist der Diabetes entgleist?
Das Initialsymptom eines bisher nicht bekannten Diabetes mellitus kann eine körperliche Schwäche sein. Auch bei einer Entgleisung der Stoffwechsellage klagen viele Patienten über Schlappheit. Bei den endokrinen Ursachen sollte man auch immer an eine Hypothyreose denken und deshalb den TSH-Wert bestimmen. Eine Nebenniereninsuffizienz (M. Addison) ist dagegen sehr selten.
Kranke Leber und Niere machen müde
Die Müdigkeit ist der Schmerz der Leber. D.h. alle chronischen Lebererkrankungen (chronische Hepatitis B und C, cholestatische Lebererkrankungen, Fettleber, Leberzirrhose) können Ursache einer anhaltenden Müdigkeit sein. Deshalb sollten immer die Leberwerte incl. Hepatitis-Serologie bestimmt werden. Und was für die Leber gilt, trifft auch für die Niere zu, mit anderen Worten auch eine Niereninsuffizienz macht müde.
Angst vor einem Malignom
Meist haben Patienten mit einem okkulten Neoplasma zusätzliche Symptome, nämlich Gewichtsabnahme oder Husten oder Blut im Stuhl. Hat der Patient keinerlei weitere Beschwerden, so ist ein maligner Tumor sehr unwahrscheinlich. Doch ab dem 55. Lebensjahr bietet sich dann die Gelegenheit, dem Patienten eine Vorsorge-Koloskopie zu empfehlen. Eine Tumorsuche mittels Bestimmung von Tumormarkern ist aber nicht sinnvoll.
Fieber erfordert umfassende Abklärung
Klagt ein Patient zusätzlich über Fieber, so sollte man auch einmal an eine Endokarditis lenta, HIV und eine Tuberkulose denken. Bei letzterer besteht meist auch Husten mit Auswurf. Bei Verdacht auf eine solche Erkrankung empfiehlt sich ein Echo, ein HIV-Test bzw. eine Röntgen-Thorax- Aufnahme. Bei anhaltendem Fieber könnte auch eine Autoimmunerkrankung vorliegen, was mit Hilfe der Auto-AKBestimmung weiter abgeklärt werden sollte.
Eisenmangel auch ohne Anämie
Jede schwere hämatologische Systemerkrankung kann mit Müdigkeit einhergehen. Am häufigsten ist die Anämie, wobei vorrangig an eine Eisenmangel- oder eine perniziöse Anämie bei Vitamin B12- bzw. Folsäure-Mangel gedacht werden sollte. Doch ein Eisenmangel kann auch ohne Anämie zur Müdigkeit führen, da Eisen bei vielen Prozessen im Körper gebraucht wird. Um einen solchen latenten Eisenmangel nicht zu übersehen, sollte bei müden Patienten immer das Ferritin bzw. die Transferrinsättigung bestimmt werden.
Last but not least: Die Psyche
Spricht nichts für eine körperliche Ursache bzw. sind die wichtigsten Ursachen ausgeschlossen, so sollte auch an eine psychische Störung gedacht werden, nämlich ein Burnout-Syndrom. Die Abgrenzung zu einer depressiven Verstimmung ist nicht immer leicht. Meist handelt es sich um eine leichte Befindlichkeitsstörung, die auch von selbst wieder vergeht. Dann sollten Sie Ihren müden Patienten solange bei guter Laune halten, bis die Natur ihn geheilt hat, also die Müdigkeit wieder verschwunden ist. Abwarten ist bei solchen Patienten nicht immer das Schlechteste.
Dr. med. Peter Stiefelhagen, Starnberg